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Gesundheitsmagazin

Liebe & Sexualität

Die Sache mit der Pille

Veröffentlicht am:16.07.2021

7 Minuten Lesedauer

Happy Birthday, Anti-Baby-Pille, hieß es 2020. Denn das Verhütungsmittel wurde runde 60 Jahre alt. In den 1960ern war die Pille der größte Beschleuniger der sexuellen Revolution. Frauen jeden Alters und junge Paare erlebten ein neues Freiheitsgefühl. Heute ist die kleine Tablette hoch umstritten. In Deutschland sind derzeit 50 verschiedene Pillenpräparate auf dem Markt.

Ein Mädchen schaut sich einen Pillen-Blister an

© iStock / Brian

Der Gynäkologe Professor Dr. Günter Emons von der Universitätsfrauenklinik Göttingen und der Arzneimittelkommision spricht im Interview über die Vor- und Nachteile der Pille und über die verschiedenen Generationen des Verhütungsmittels.

Die Pille – ein Segen für alle Frauen?

Als sie erfunden wurde, empfanden viele Frauen die Pille als Segen – kann man sie heute auch noch so bezeichnen?

Die Pille hat letztendlich ermöglicht, dass Frauen selbst entscheiden konnten und können, ob sie schwanger werden oder nicht, dass sie studieren und Karriere machen können. Die WHO bezeichnet die Empfängnisverhütung mittlerweile als Menschenrecht. Die Pille ist die erste sichere Verhütungsmaßnahme – von daher kann man sie als Segen sehen, ja.

Trotzdem ist die Pille ja auch sehr negativ behaftet …

Natürlich sollte man sich immer bewusst machen, dass eine Pille Nebenwirkungen hervorrufen kann. Ein Kopfschmerzmittel mit diesen Risiken und Nebenwirkungen würde nie zugelassen werden. Die Pille wird aber immer ins Verhältnis zu einer ungewollten Schwangerschaft gesetzt.

Welche Nebenwirkungen kann eine Pille denn hervorrufen?

Zu den Nebenwirkungen können ein erhöhtes Thrombose- und Embolie-Risiko gehören. Ich möchte aber betonen, dass diese Risiken bei einer Schwangerschaft dreimal so hoch sein können wie bei der Pilleneinnahme. Die Hormone im Körper einer schwangeren Frau verändern sich, zum anderen erhöht die Umstellung des Körpers nach der Geburt dieses Risiko ebenfalls. Außerdem kann das Lustempfinden der Frau gemindert werden.

Pearl-Index

Das Maß für die Sicherheit eines Verhütungsmittels wird anhand des Pearl-Index berechnet.

Dieser Index gibt die Zahl der Schwangerschaften an, die eintreten, obwohl ein Verhütungsmittel ein Jahr lang genutzt wurde. Je kleiner die Zahl, desto sicherer ist die Verhütungsmethode. Der Pearl-Index bezieht sich auf 100 und liegt beim Kondom zwischen 2 und 12. Das heißt, dass mindestens 2 von 100 Frauen trotz richtiger Nutzung eines Kondoms schwanger werden.

Wieso wird die Pille denn trotzdem noch so oft verschrieben?

Weil sie das zuverlässigste Verhütungsmittel ist. Außerdem ist Pille nicht gleich Pille. Man sollte zwischen verschiedenen Generationen unterscheiden. Die neuen bringen durch ihre Zusammensetzung ein deutlich höheres Risiko für Blutgerinnsel in den Beinvenen, also Thrombosen, mit sich. Die Präparate der zweiten Generation erhöhen dieses Risiko um ein 2,8-Faches im Vergleich zu einer Person, die nicht hormonell verhütet, die der dritten Generation schon um  ein 3,8-Faches! Mittlerweile scheint das erkannt zu werden: Eine Studie des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte zeigte, dass zwischen Januar 2011 und März 2016 Frauenärzte weniger Pillen mit einem hohen Risiko verschrieben haben.

„Die Pillen aus der neuen Generation bringen ein höheres Risiko für Thrombosen mit als die alten Pillenarten.“

Prof. Dr. Günter Emons
Professor für translationale Gynäkologie an der Universitätsfrauenklinik Göttingen

Hat die Pille denn auch Vorteile?

Die Menstruationsschmerzen werden geringer, die Periode kommt schwächer und regelmäßig. Außerdem schützt sie die Gebärmutter vor dem Eindringen von Bakterien, indem sie den Schleim im Gebärmutterhals zäher macht. Auch vor Zysten und Endometriose kann die Pille schützen.

Eine junge Frau hat eine Pille auf ihrer Hand und hält die Pillenpackung in der anderen.

© iStock / Mindful Media

Die Anti-Baby-Pille ist das zuverlässigste Verhütungsmittel

Worin unterscheiden sich die Pillen-Generationen?

Wie viele Generationen der Pille gibt es insgesamt?

Inzwischen vier. Die Pille der ersten Generation war eine richtige „Bombe“ mit einer hohen Dosis Östrogen, die gibt es gar nicht mehr. Diese Dosen hat man heute alle reduziert. Eine „alte“ Pille der zweiten Generation ist gut und meine Pille der ersten Wahl. Sie hat das geringste Thrombose-Risiko, wirkt gegen Zysten und Eierstockkrebs und ist zuverlässig.

Warum werden überhaupt noch Pillen der neuen Generation verschrieben, wenn die alte doch viel besser ist?

Oft, weil das Versprechen einer reineren Haut lockt und das Präparat dadurch „in Mode“ ist.

Stimmt das denn?

Es stimmt, dass manche Pillen eine reine Haut unterstützen – das sind aber die, die gleichzeitig das Thromboserisiko erhöhen. Ich würde niemals die Pille ausschließlich aus kosmetischen Zwecken verschreiben – dazu ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis zu schlecht. Außerdem sind in den Pillen, die konkret reine Haut unterstützen sollen, Hormone enthalten, die gegen männliche Hormone im Gehirn arbeiten. Diese braucht aber jede Frau, da sie die Libido positiv beeinflussen.

Extrem sicher

Die Pille gehört zu den sichersten Verhütungsmitteln der Welt

Ihr Pearl-Index liegt maximal bei 0,8 – das heißt, dass eine Schwangerschaft trotz Pilleneinnahme nur sehr selten vorkommt. Laut einer aktuellen Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) greifen insgesamt 47 Prozent der sexuell aktiven Frauen zur Pille.

Pille – ja oder nein?

Wann würden Sie sie gar nicht verschreiben?

Wenn Thrombose in der Familie der Patientin eine große Rolle spielt. Ebenso wenig, wenn sie unter Migräne leidet, raucht oder stark übergewichtig ist, da beide Faktoren das Risiko für Thrombosen erhöhen. Kommt dann noch die Pille hinzu, kann das Risiko zusätzlich steigen. Leidet die Patientin unter einer Migräne, noch dazu mit Aura, also mit Sehbeschwerden, empfiehlt sich die Pille ebenfalls nicht. Laut der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft ist das absolute Schlaganfallrisiko für junge Frauen bei einer Migräne mit Aura leicht erhöht. Außerdem kann die Pille den Schmerz noch verstärken.

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Was würden Sie dann empfehlen?

Am besten wäre es, die Pille zu verschreiben, die nur das Gelbkörperhormon Progesteron, in der Pille meist künstlich als Gestagen, enthält. Dann spricht man von der Mini-Pille. Die eignet sich übrigens auch hervorragend für Frauen, die ein Kind geboren haben und stillen. Die Mini-Pille wird nicht mit einem erhöhten Thromboserisiko verknüpft. Wenn sich eine Frau eine hormonfreie Verhütung wünscht, ist die Kupferspirale die beste Wahl. Sie hat den Nachteil, dass sie die Anwenderin nicht vor dem Eindringen von Bakterien in die Gebärmutter schützt, so wie es die Pille macht. Wenn die Frau wechselnde Geschlechtspartner hat, sollte sie daher zusätzlich Kondome nutzen.

Ist die Pille denn für Frauen jedes Alters geeignet?

Eine Frau kann, bis sie in etwa 40 Jahre alt ist, eine gängige, kombinierte Pille nehmen – wenn sie nicht raucht. Danach würde ich die Mini-Pille oder alternativ die Hormonspirale empfehlen. Diese beiden Verhütungsmittel können die starken Monatsblutungen, die Frauen über 40 oft kriegen, unterdrücken. Eine kombinierte Pille weiter zu nehmen, würde das ab einem bestimmten Alter ohnehin erhöhte Thromboserisiko nur noch weiter verstärken.

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Was halten Sie alles in allem von alternativen Verhütungsmitteln?

Letztendlich soll jede Frau für sich das Mittel finden, mit dem sie sich am wohlsten fühlt. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass das Risiko für Thrombosen oder Embolien bei einem Vaginalring oder dem Hormonpflaster sogar noch höher ist, als bei der Pille. Die Konzentration der Hormone ist stärker. Außerdem enthalten sie Hormone, die auch in den neuen Generationen der Pille sind.

Sie sind also nicht generell gegen die Pille als Verhütungsmittel?

Überhaupt nicht – wenn die Patientin gesund ist. Aber wenn ich eine Pille verschreibe, würde ich nie eine der neuen Generation, also der dritten und der vierten Generation, verschreiben. Nicht alles, was neu, moderner und auch teurer ist, ist besser.

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Es muss nicht immer die Pille sein

Diese Verhütungsalternativen mit ihren Vor- und Nachteilen gibt es:

  • Minipille

    Pearl-Index: 0,5 - 3,0

    Vorteile: Sie kann auch bei einem hohen Thromboserisiko genommen werden; sie wird auch stillenden Frauen empfohlen, sowie Frauen, bei denen erhebliche Nebenwirkungen bei der Einnahme von Kombi-Pillen auftreten.

    Nachteile: Gestagene können Stimmungsschwankungen und Depressionen auslösen.

  • Hormonspirale

    Pearl-Index: 0,05 - 0,16

    Vorteile: Sie schützt drei bis fünf Jahre und sofort nach dem Einsetzen, wenn sie in den ersten sieben Tagen nach dem Zyklus eingesetzt wird.

    Nachteile: Sie ist teuer, und das Einsetzen kann schmerzhaft sein. Manchmal bleibt die Monatsblutung während der Tragezeit aus. Ebenso birgt die Hormonspirale ein minimales Thromboserisiko.

  • Vaginalring

    Pearl-Index: 1,18

    Vorteile: Den Ring kann die Nutzerin zu Hause selbst einführen.

    Nachteile: Er kann verrutschen und herausfallen. Außerdem ist er thrombosefördernder als die Pille, da die Hormonkonzentration im Ring höher ist.

  • Verhütungspflaster

    Pearl Index: 0,72 - 0,9

    Vorteile: Das Pflaster ist darauf ausgerichtet, so fest auf der Haut zu kleben, dass es sich auch beim Baden oder Schwimmen nicht lösen kann.

    Nachteile: Das Pflaster muss jede Woche erneuert werden. In der 4. Zykluswoche trägt die Frau keins. Das Pflaster erhöht das Thromboserisiko stark, da es mehr Hormone als die Pille enthält.

  • Verhütungsstäbchen

    Pearl-Index: 0 - 0,08

    Vorteile: Es wirkt für drei Jahre. 

    Nachteile: Das Stäbchen wird vom Arzt unter die Haut gesetzt, was schmerzhaft sein kann. Außerdem kann es das Thromboserisiko minimal erhöhen sowie für Kopfschmerzen, Brustspannen, Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen verantwortlich sein.

  • Dreimonatsspritze

    Pearl-Index: 0,3

    Vorteile: Schützt drei Monate lang zuverlässig.

    Nachteile: Alle drei Monate muss die Spritze aufgefrischt werden. Zudem ist die Hormonmenge in der Spritze sehr hoch, was zu Gewichtszunahme, Stimmungsveränderungen und Lustlosigkeit führen kann. Auch das Thromboserisiko wird durch die Spritze verstärkt.

  • Kupferspirale

    Pearl-Index: 0,9 - 3,0

    Vorteile: Sie ist hormonfrei und schützt direkt nach dem Einsetzen.

    Nachteile: Sie verstärkt und verlängert meistens die Blutung, die auch schmerzhafter sein kann. Selten kann es zu einer Unterleibsentzündung kommen.

  • Kondom

    Pearl-Index: 2 - 12

    Vorteile: Es ist hormonfrei und in Apotheken sowie Drogerien erhältlich. Es schützt als einziges Verhütungsmittel vor sexuell übertragbaren Krankheiten

    Nachteile: Ein Kondom kann reißen oder beschädigt sein und, zum Beispiel nach Alkoholgenuss, falsch übergezogen werden.

  • Diaphragma

    Pearl-Index: 1 - 20

    Vorteile: Auch das Diaphragma ist hormonfrei. Die Frau setzt es vor dem Geschlechtsverkehr ein.

    Nachteile: Nach dem Verkehr muss das Diaphragma sechs Stunden in der Scheide bleiben. Wird es falsch eingesetzt, haben die Spermien freie Bahn.

  • Natürliche Familienplanung

    Pearl-Index: 0,4 - 1,8

    Vorteile: Die natürliche Verhütung ist hormonfrei. Die Frau muss nichts einnehmen oder einsetzen. 

    Nachteile: Frauen sollten nur an den Tagen Geschlechtsverkehr haben, an denen es unwahrscheinlich ist, schwanger zu werden. Spontaner Sex kann zu einer Schwangerschaft führen; daher sollte zusätzlich ein Kondom genutzt werden.

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