Liebe & Sexualität
Mit der Pille verhüten oder nicht? Was dafür und dagegen spricht
Veröffentlicht am:16.07.2021
8 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 18.06.2024
In den 1960ern beschleunigte die Anti-Baby-Pille die sexuelle Revolution. Frauen jeden Alters und junge Paare erlebten ein neues Freiheitsgefühl. Heute wird die Pille kritischer bewertet – doch warum?
Der Gynäkologe Professor Dr. Günter Emons von der Universitätsfrauenklinik Göttingen und der Arzneimittelkommision spricht im Interview über die Vor- und Nachteile der Pille und über die verschiedenen Generationen des Verhütungsmittels.
Als die Pille erfunden wurde, empfanden viele Frauen sie als Segen. Trifft das heute noch zu?
Die Pille hat letztendlich ermöglicht, dass Frauen selbst entscheiden konnten und können, ob sie schwanger werden oder nicht, dass sie studieren und Karriere machen können. Die WHO bezeichnet die Empfängnisverhütung mittlerweile als Menschenrecht. Die Anti-Baby-Pille ist die erste sichere Verhütungsmaßnahme – von daher kann man sie als Segen sehen, ja.
Wie sicher ist die Pille?
Ihr Pearl-Index liegt maximal bei 0,8 – das heißt, dass eine Schwangerschaft trotz Pilleneinnahme nur sehr selten vorkommt.
Das Maß für die Sicherheit eines Verhütungsmittels wird anhand des Pearl-Index berechnet. Dieser Index gibt die Zahl der Schwangerschaften an, die eintreten, obwohl ein Verhütungsmittel ein Jahr lang genutzt wurde. Je kleiner die Zahl, desto sicherer ist die Verhütungsmethode. Der Pearl-Index bezieht sich auf 100 und liegt beim Kondom zwischen 2 und 12. Das heißt, dass mindestens 2 von 100 Frauen trotz richtiger Nutzung eines Kondoms schwanger werden.
Trotzdem ist die Verhütungspille ja auch sehr negativ behaftet
Natürlich sollte man sich immer bewusst machen, dass eine Pille Nebenwirkungen hervorrufen kann. Ein Kopfschmerzmittel mit diesen Risiken und Nebenwirkungen würde nie zugelassen werden. Die Anti-Baby-Pille wird aber immer ins Verhältnis zu einer ungewollten Schwangerschaft gesetzt.
Welche Nebenwirkungen kann die Pille hervorrufen?
Zu den Nebenwirkungen der Pille können ein erhöhtes Thrombose- und Embolierisiko gehören. Ich möchte aber betonen, dass diese Risiken bei einer Schwangerschaft dreimal so hoch sein können wie bei der Pilleneinnahme. Die Hormone im Körper einer schwangeren Frau verändern sich, zum anderen erhöht die Umstellung des Körpers nach der Geburt dieses Risiko ebenfalls. Außerdem kann das Lustempfinden der Frau gemindert werden.
Wieso wird die Pille trotzdem noch so oft verschrieben?
Weil sie das zuverlässigste Verhütungsmittel ist. Außerdem ist Pille nicht gleich Pille. Man sollte zwischen verschiedenen Generationen der Anti-Baby-Pille unterscheiden. Die neuen bringen durch ihre Zusammensetzung ein deutlich höheres Risiko für Blutgerinnsel in den Beinvenen, also Thrombosen, mit sich.
Die Präparate der zweiten Generation erhöhen dieses Risiko um ein 2,8-Faches im Vergleich zu einer Person, die nicht hormonell verhütet, die der dritten Generation schon um ein 3,8-Faches.
„Die Pillen aus der neuen Generation bringen ein höheres Risiko für Thrombosen mit als die alten Pillenarten.“
Prof. Dr. Günter Emons
Professor für translationale Gynäkologie an der Universitätsfrauenklinik Göttingen
Hat die Pille auch Vorteile?
Es kann vorkommen, dass Menstruationsschmerzen geringer werden und die Periode schwächer sowie regelmäßig kommt. Außerdem schützt die Pille die Gebärmutter vor dem Eindringen von Bakterien, indem sie den Schleim im Gebärmutterhals zäher macht. Auch vor Zysten und Endometriose kann die Verhütungspille schützen.
Ab wann wirkt die Pille?
Wenn die Anti-Baby-Pille am ersten Tag der Regelblutung eingenommen wird, schützt sie sofort vor einer ungewollten Schwangerschaft. Falls mit der Pille an einem anderen Zyklustag begonnen wird, sollte in den nachfolgenden sieben Tagen zusätzlich verhütet werden, zum Beispiel mit Kondom.
Wie viele Generationen der Verhütungspille gibt es insgesamt?
Inzwischen vier. Die Pille der ersten Generation war eine richtige „Bombe“ mit einer hohen Dosis Östrogen, die gibt es gar nicht mehr. Diese Dosen hat man heute alle reduziert. Eine „alte“ Pille der zweiten Generation ist gut und meine Pille der ersten Wahl. Sie hat das geringste Thromboserisiko, wirkt gegen Zysten und Eierstockkrebs und ist zuverlässig.
Warum werden Pillen der neuen Generation verschrieben, wenn die alte doch viel besser ist?
Oft, weil das Versprechen einer reineren Haut lockt und das Präparat dadurch „in Mode“ ist.
Stimmt es denn, dass die Pille eine reine Haut macht?
Es stimmt, dass manche Pillen eine reine Haut unterstützen – das sind aber die, die gleichzeitig das Thromboserisiko erhöhen. Ich würde niemals die Pille ausschließlich aus kosmetischen Zwecken verschreiben – dazu ist das Nutzen-Risiko-Verhältnis zu schlecht. Außerdem sind in den Pillen, die konkret reine Haut unterstützen sollen, Hormone enthalten, die gegen männliche Hormone im Gehirn arbeiten. Diese braucht aber jede Frau, da sie die Libido positiv beeinflussen.
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Wann würden Sie die Anti-Baby-Pille gar nicht verschreiben?
Wenn Thrombose in der Familie der Patientin eine große Rolle spielt. Ebenso, wenn die betroffene Person unter Migräne mit Aura leidet, raucht oder stark übergewichtig ist, da beide Faktoren das Risiko für Thrombosen erhöhen. Kommt dann noch die Pille hinzu, kann das Risiko zusätzlich steigen.
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Was würden Sie empfehlen, wenn für Frauen die klassische Pille nicht infrage kommt, sie aber eine Pille möchten?
Am besten wäre es, die Pille zu verschreiben, die nur das Gelbkörperhormon Progesteron, in der Pille meist künstlich als Gestagen, enthält. Dann spricht man von der Mini-Pille. Die eignet sich übrigens auch für Frauen, die ein Kind geboren haben und stillen. Die Mini-Pille wird nicht mit einem erhöhten Thromboserisiko verknüpft.
Wenn sich eine Frau eine hormonfreie Verhütung wünscht, ist die Kupferspirale eine gute Wahl. Sie hat den Nachteil, dass sie die Anwenderin nicht vor dem Eindringen von Bakterien in die Gebärmutter schützt, so wie es die Pille macht. Wenn die Frau wechselnde Geschlechtspartner hat, sollte sie daher zusätzlich Kondome nutzen.
Wann wirkt die Pille nicht?
Wichtig bei der Einnahme ist, dass die Pille täglich zur gleichen Zeit eingenommen wird. Nur die Regelmäßigkeit garantiert den besten Empfängnisschutz. Wenn die Anti-Baby-Pille über zwölf Stunden später als üblich eingenommen wird, ist die Wirkung nicht mehr sicher.
Wer hin und wieder geringe Mengen Alkohol trinkt, muss sich noch keine Sorgen um die Wirksamkeit machen. Anders sieht es jedoch aus, wenn ein erhöhter Alkoholkonsum zu Erbrechen oder Durchfall führt. In diesem Fällen kann es sein, dass die Wirkung nicht mehr vollumfänglich besteht. Alkoholkonsum birgt noch ein Risiko: Es kann vorkommen, dass Frauen die Pille zu einer anderen Tageszeit einnehmen oder sie vergessen.
Ist die Pille denn für Frauen jedes Alters geeignet?
Eine Frau kann, bis sie in etwa 40 Jahre alt ist, eine gängige, kombinierte Pille nehmen – wenn sie nicht raucht. Danach würde ich die Mini-Pille oder alternativ die Hormonspirale empfehlen. Diese beiden Verhütungsmittel können die starken Monatsblutungen, die Frauen über 40 oft kriegen, unterdrücken. Eine kombinierte Pille weiter zu nehmen, würde das ab einem bestimmten Alter ohnehin erhöhte Thromboserisiko nur noch weiter verstärken.
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Was halten Sie von alternativen Verhütungsmitteln?
Letztendlich soll jede Frau für sich das Mittel finden, mit dem sie sich am wohlsten fühlt.
Ich möchte darauf hinweisen, dass das Risiko für Thrombosen oder Embolien bei einem Vaginalring oder dem Hormonpflaster höher ist als bei der Pille. Die Konzentration der Hormone ist stärker. Außerdem enthalten sie Hormone, die auch in den neuen Generationen der Pille sind.
Sie sind also nicht generell gegen die Pille als Verhütungsmittel?
Nicht, wenn die Patientin gesund ist. Aber wenn ich eine Pille verschreibe, würde ich nie eine der neuen Generation, also der dritten und der vierten Generation, verschreiben. Nicht alles, was neu, moderner und auch teurer ist, ist besser.
Diese Verhütungsalternativen zur Pille gibt es
Seit einigen Jahren lassen sich immer weniger Mädchen und Frauen die klassische Anti-Baby-Pille, die mit einem höheren Thromboserisiko einhergeht, verschreiben: 2013 wurden noch 65 Prozent dieser risikoreichen Arzneimittel verordnet, 2022 nur noch 48 Prozent. Das geht aus einer 2023 veröffentlichten AOK-Analyse hervor.
Der Trend hin zu risikoärmeren Varianten wie der Mini-Pille verstetigt sich. Es gibt aber noch weitere Methoden, um zu verhüten. Hier ein Überblick der Verhütungsalternativen mit ihren Vor- und Nachteilen:
Minipille
Pearl-Index: 0,5 – 3,0
Vorteile: Die Mini-Pille kann auch bei einem hohen Thromboserisiko genommen werden; sie wird auch stillenden Frauen empfohlen, sowie Frauen, bei denen erhebliche Nebenwirkungen bei der Einnahme von Kombi-Pillen auftreten.
Nachteile: Gestagene können Stimmungsschwankungen und Depressionen auslösen.
Hormonspirale
Pearl-Index: 0,05 – 0,16
Vorteile: Die Hormonspirale schützt drei bis fünf Jahre und sofort nach dem Einsetzen, wenn sie in den ersten sieben Tagen nach dem Zyklus eingesetzt wird.
Nachteile: Sie ist teuer, und das Einsetzen kann schmerzhaft sein. Manchmal bleibt die Monatsblutung während der Tragezeit aus. Ebenso birgt die Hormonspirale ein minimales Thromboserisiko.
Vaginalring
Pearl-Index: 1,18
Vorteile: Den Vaginalring kann die Nutzerin zu Hause selbst einführen.
Nachteile: Er kann verrutschen und herausfallen. Außerdem ist er thrombosefördernder als die Pille, da die Hormonkonzentration im Ring höher ist.
Verhütungspflaster
Pearl Index: 0,72 – 0,9
Vorteile: Das Verhütungspflaster ist darauf ausgerichtet, so fest auf der Haut zu kleben, dass es sich auch beim Baden oder Schwimmen nicht lösen kann.
Nachteile: Das Pflaster muss jede Woche erneuert werden. In der vierten Zykluswoche trägt die Frau keins. Das Pflaster erhöht das Thromboserisiko stark, da es mehr Hormone als die Pille enthält.
Verhütungsstäbchen
Pearl-Index: 0 – 0,08
Vorteile: Das Verhütungsstäbchen wirkt für drei Jahre.
Nachteile: Das Stäbchen wird vom Arzt unter die Haut gesetzt, was schmerzhaft sein kann. Außerdem kann es das Thromboserisiko minimal erhöhen sowie zu Kopfschmerzen, Brustspannen, Gewichtszunahme und Stimmungsschwankungen führen.
Dreimonatsspritze
Pearl-Index: 0,3
Vorteile: Die Dreimonatsspritze schützt drei Monate lang zuverlässig.
Nachteile: Alle drei Monate muss die Spritze aufgefrischt werden. Zudem ist die Hormonmenge in der Spritze sehr hoch, was zu Gewichtszunahme, Stimmungsveränderungen und Lustlosigkeit führen kann. Auch das Thromboserisiko wird durch die Spritze verstärkt.
Kupferspirale
Pearl-Index: 0,9 – 3,0
Vorteile: Die Kupferspirale ist hormonfrei und schützt direkt nach dem Einsetzen.
Nachteile: Sie verstärkt und verlängert meistens die Blutung, die auch schmerzhafter sein kann. Selten kann es zu einer Unterleibsentzündung kommen.
Kondom
Pearl-Index: 2 – 12
Vorteile: Kondome sind hormonfrei und in Apotheken sowie Drogerien erhältlich. Das Kondom schützt als einziges Verhütungsmittel vor sexuell übertragbaren Krankheiten.
Nachteile: Ein Kondom kann reißen oder beschädigt sein und, zum Beispiel nach Alkoholgenuss, falsch übergezogen werden.
Diaphragma
Pearl-Index: 1 – 20
Vorteile: Das Diaphragma ist hormonfrei. Die Frau setzt es vor dem Geschlechtsverkehr ein.
Nachteile: Nach dem Verkehr muss das Diaphragma sechs Stunden in der Scheide bleiben. Wird es falsch eingesetzt, haben die Spermien freie Bahn.
Natürliche Familienplanung
Pearl-Index: 0,4 – 1,8
Vorteile: Die natürliche Verhütung ist hormonfrei. Die Frau muss nichts einnehmen oder einsetzen.
Nachteile: Frauen sollten nur an den Tagen Geschlechtsverkehr haben, an denen es unwahrscheinlich ist, schwanger zu werden. Spontaner Sex kann zu einer Schwangerschaft führen; daher sollte zusätzlich ein Kondom genutzt werden.