Psychologie
Glaube und Psychotherapie: Was eine religionssensible Behandlung ausmacht
Veröffentlicht am:06.10.2025
5 Minuten Lesedauer
Bei psychischen Problemen scheuen manche Gläubige die eigentlich benötigte Therapie. Diese Angst ist unberechtigt. Eine zeitgemäße Psychotherapie respektiert den individuellen Glauben nicht nur, sondern bezieht ihn auch in die Behandlung mit ein.

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Hat der Glaube einen Einfluss auf die Gesundheit?
„Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten“, heißt es im Jakobusbrief des Neuen Testaments. In früheren Zeiten nahmen viele Gläubige solche und ähnliche Aussagen in religiösen Schriften durchaus wörtlich. Heutzutage ist vermutlich selbst unter tiefreligiösen Menschen nur eine Minderheit von der unmittelbaren Fähigkeit des Glaubens überzeugt, Krankheiten ohne die Unterstützung der Medizin zu heilen.
Religiosität und körperliche Gesundheit
Das schließt jedoch nicht aus, dass religiöser Glaube die Gesundheit unterstützen kann. Religiöse Menschen finden in ihrem Glauben Halt und Kraft, was sich positiv auf ihr Wohlbefinden auswirkt. Bei körperlichen Krankheiten, beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, kann der Glaube indirekt zur Genesung beitragen. Dabei spielen Lebensstilfaktoren eine wichtige Rolle. Religiöse Lehren motivieren Gläubige dazu, sich gesundheitsbewusster zu verhalten, beispielsweise indem sie weniger rauchen, Alkohol trinken oder riskantes Sexualverhalten vermeiden. Dann ist die Förderung der körperlichen Gesundheit indirekt der Religion zuzuschreiben und primär eine Folge der gesunden Lebensweise.
Religiosität und psychische Gesundheit
Was die psychische Gesundheit betrifft, so ist ein direkter Zusammenhang zwischen Religiosität und Wohlbefinden eher nachvollziehbar. Der Glaube stärkt Hoffnung und Optimismus und trägt somit zur allgemeinen Zufriedenheit bei. Religiöse Menschen fühlen sich von ihrem Gott angenommen, was ihr Selbstwertgefühl steigert. Außerdem sind sie oft Teil stabiler Gemeinschaften, erfahren in ihrem Umfeld soziale Unterstützung und fühlen sich seltener einsam. All dies sind Faktoren, die sich positiv auf die psychische Gesundheit auswirken. Der Glaube kann religiösen Menschen also einen gewissen Schutz vor psychischen Störungen und Krankheiten geben.
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Wenn Glaube und psychische Gesundheit in Konflikt geraten
Auch wenn Religiosität die psychische Gesundheit begünstigen kann, schließt das natürlich nicht aus, dass religiöse Menschen auch an psychischen Krankheiten leiden. Manchmal kann der Glaube sogar die Ursache für psychische Konflikte sein: Beispielsweise, wenn die eigene Lebensweise nicht den Ansprüchen der religiösen Überzeugung genügt. Problematisch wird es insbesondere dann, wenn die Nichterfüllung religiöser Ansprüche mit persönlichen Schuldgefühlen einhergeht. Diese vermindern den Selbstwert und können psychische Probleme begünstigen.
Psychotherapie und Glaube
Unabhängig davon, woher psychische Probleme oder Krankheiten wie Angststörungen oder Depressionen herrühren: Strenggläubige Menschen – egal, ob sie dem Christentum, Judentum, Islam, Buddhismus oder einer anderen Religion angehören – benötigen in diesen Fällen professionelle Hilfe wie alle anderen Menschen auch.

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Die besondere Rolle der Geistlichen
Es kommt jedoch vor, dass Gläubige mit psychischen Problemen sich nicht an medizinische oder psychologische Fachleute wenden, sondern sich Heilung durch ihren Glauben erhoffen. In diesem Fall suchen sie vielleicht zunächst leitende Mitglieder ihrer religiösen Gemeinschaft auf, um dort Hilfe für ihr Problem zu erhalten. Christliche Geistliche, Imame oder Rabbiner können die Kluft zwischen religiösen und säkularen Hilfsangeboten überbrücken, indem sie Gläubige ermutigen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Vertrauen in die Medizin und Psychologie gewinnen
Wenn sich religiöse Menschen nicht für eine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung öffnen, kann diese nicht erfolgreich sein. Gläubige brauchen aber keine Bedenken haben, dass ihr Glaube nicht respektiert oder gar hinterfragt wird: Aus berufsethischen Gründen sind Ärzte und Ärztinnen sowie Therapeuten und Therapeutinnen grundsätzlich verpflichtet, achtsam mit den religiösen Bedürfnissen ihrer Patienten und Patientinnen umzugehen.
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Was eine religionssensible Psychotherapie braucht
Für viele religiöse Menschen ist der Glaube ein Teil ihrer selbst. Deshalb beziehen Therapeuten und Therapeutinnen den individuellen Glauben ihrer religiösen Patienten und Patientinnen in die Therapie mit ein. Es geht also um mehr als nur den Respekt vor dem individuellen Glauben, zu dem medizinisches und psychologisches Personal ohnehin verpflichtet ist.
Religiöse Überzeugungen beeinflussen das Erleben und Bewerten von Krankheit bei streng gläubigen Patienten und Patientinnen. Manche von ihnen können psychische Erkrankungen beispielsweise auf einen strafenden Gott zurückführen. Dadurch erhält ihre Krankheit für sie auch eine moralische Dimension. Um in solchen Fällen unterstützen zu können, beziehen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen das religiös begründete Vorstellungs- und Wertesystem respektvoll in die Behandlung ein.
Streng religiöse Patienten und Patientinnen müssen also nicht befürchten, dass die Therapie ihr eigenes Wertesystem in Frage stellt. Das könnte außerdem zu Konflikten führen und den Heilungserfolg gefährden.
Zusammenarbeit zwischen Therapie und Seelsorge
Gläubige können sich darum bemühen, dass Geistliche aus ihrer religiösen Gemeinschaft und psychologische Fachleute in einen Austausch treten. Das kann die Therapie unterstützen. Denn es geht darum, Folgendes zu verstehen: Wo bieten religiöse Wertvorstellungen Anknüpfungspunkte für die Therapie, wo können sie einem Heilungserfolg im Wege stehen und wo können sie sogar die Ursache für psychische Konflikte sein? Wichtig dabei ist: Psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen unterscheiden sich grundlegend von Seelsorge und spiritueller Begleitung.
Wann eine Integration von Religion in die Therapie nicht möglich ist
Die Einbeziehung religiöser Vorstellungen und Werte in eine Psychotherapie stößt an ihre Grenzen, wenn religiös motivierte Überzeugungen nicht mit den gesellschaftlich akzeptierten Grundwerten übereinstimmen. Bei Fundamentalisten jedweder Religion kommt es vor, dass der eigene Glaube mit der Herabsetzung anderer Menschen verbunden ist, beispielsweise von Andersgläubigen, Homosexuellen und queeren Menschen oder Frauen. Eine wertegestützte Therapie akzeptiert solche Prinzipien nicht und setzt klare Grenzen. Insbesondere, wenn eine Selbst- oder Fremdgefährdung zu befürchten ist, wird entsprechend auf den Patienten oder die Patientin eingegangen.
Religiöse Menschen brauchen keine Scheu vor einer Psychotherapie haben
Egal, welchen Glauben ein Mensch hat: In Deutschland wird der Glaube der Patienten und Patientinnen von ärztlichen und psychologischen Fachleuten ernst genommen. Bedenken, dass eine Psychotherapie die eigenen religiösen Grundsätze verletzen könnte, sind unbegründet.
Auch wenn ein neutraler und religionssensibler Umgang bei professionellen Therapeuten und Therapeutinnen immer gegeben ist: Es ist nachvollziehbar, dass manche Gläubige es bevorzugen, von Gleichgläubigen behandelt zu werden. Im Bereich der christlichen Psychotherapie besteht ein vielfältiges Angebot. Außerdem gibt es regionale Beratungsstellen, die bei der Suche weiterhelfen können. Wer diesen Schritt umgehen möchte, sollte sich an geistliche Gemeindeleitungen wenden und diese bitten, bei der Auswahl geeigneter professioneller Hilfe zu unterstützen.
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