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Psychologie

Ausgebrannt: Wie fühlt sich ein Burn-out an?

Veröffentlicht am:21.04.2022

7 Minuten Lesedauer

Ute Weers hat sich lange Zeit über ihre Arbeit definiert – und immer alles gegeben. Sich krankschreiben zu lassen, war für sie keine Option. Bis zum Zusammenbruch. Was die heute 51-Jährige im Nachhinein anders machen würde und wie sie heute einer erneuten Erschöpfung vorbeugt.

Eine Frau mit Burnout oder Depressionen liegt halb auf dem Bett und schaut mit leerem Blick auf den Boden.

© iStock / valentinrussanov

Ein Porträtfoto von Frau Weers, die zwei Burn-outs hinter sich hat.
Frau Weers hat nach ihren zwei Depressionen gelernt, dass Selbstfürsorge und Gelassenheit wichtig sind und nicht immer alles auf Anhieb erledigt werden muss.

© privat

Die Software-Trainerin Ute Weers lebt mit ihrem Ehemann und ihren drei Haustieren in Mölln, einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Die 51-Jährige hatte im Laufe ihres Arbeitslebens zwei Burn-outs mit depressiven Phasen.

Was die Erschöpfung ausgelöst hat, wie sie die Krisen überwunden und ihre eigene Work-Life-Balance wiedergefunden hat, erzählt sie im Interview.

Frau Weers, in welcher Situation befanden Sie sich, als bei Ihnen eine Depression und ein Burn-out diagnostiziert wurden?

Der direkte Auslöser für die Depression war der Tod meiner Mutter. Ich war in einer Ausnahmesituation: Ich konnte nicht mehr klar denken, war absolut hilflos und bin permanent in Tränen ausgebrochen. Diese tiefe Traurigkeit ging bei mir leider auch mit Selbstmordgedanken einher. Hätte mein Ex-Mann mir damals nicht beigestanden, wäre ich heute nicht mehr hier. Medikamente, die ich von meinem Hausarzt verschrieben bekommen habe, haben mir nicht geholfen. Deswegen wurde mir dann eine Psychotherapie verordnet, bei der zusätzlich zur Depression auch ein Burn-out diagnostiziert wurde. Zunächst dachte ich, dass ich weiterarbeiten kann, während ich die Therapie mache. Als die Therapeutin mich krankgeschrieben hat, war das ein Schock für mich. Ich habe erst mal drei Tage durchgeweint.

„Ich habe in der Arbeit immer 200 Prozent gegeben – das ist mir aber erst im Nachhinein klar geworden.“

Ute Weers
Software-Trainerin aus Mölln

Warum war die Vorstellung, nicht mehr zu arbeiten, so schlimm für Sie?

Ich habe mich über meine Arbeit, über Leistung definiert. Mir wurde von meinen Eltern anerzogen, ehrgeizig und perfektionistisch zu sein. Sich krankschreiben zu lassen, wäre in meiner Familie undenkbar gewesen. Ich war damals im Vertrieb tätig und mein Job hat mir viel Spaß gemacht. Aber er war auch mit einem permanenten Druck verbunden abzuliefern. Ich habe bei der Arbeit immer 200 Prozent gegeben – das ist mir aber erst im Nachhinein klar geworden.

Schon vor der Diagnose der Depression und des Burn-outs habe ich immer wieder Stress-Symptome ignoriert. Ich hatte Herzrasen, später sogar schwere Herz-Rhythmus-Störungen, gegen die ich Betablocker einnehmen musste. Außerdem litt ich unter Migräne, die mit Übelkeit einherging. Selbst in diesem Zustand habe ich aber immer gearbeitet, indem ich starke Medikamente eingenommen habe. Mein Körper war insgesamt geschwächt, ich war anfälliger für Erkältungen. Auch schlafen konnte ich nicht mehr gut. Die Symptome habe ich aber nie wirklich ernst genommen, mir war nur wichtig, arbeiten zu können. Erst im Nachhinein weiß ich es jetzt besser.

Konnte Ihnen die Psychotherapie helfen?

Das Problem war, dass ich auch die drei Monate Therapie nicht ernst genommen habe. Das kann ich erst aus heutiger Sicht sagen. Ich wollte unbedingt wieder arbeiten gehen und habe die Chance nicht ergriffen, wirklich an meinen Problemen zu arbeiten. Nach zwei bis drei Jahren war ich scheinbar wieder auf meinem alten Leistungsniveau und sehr stolz darauf.

Jahre später bin ich dann komplett zusammengebrochen. Ich saß bei der Arbeit und war zu nichts mehr in der Lage. Wieder wurden bei mir eine Depression und ein Burn-out diagnostiziert und ich begann erneut eine Psychotherapie. Viele Faktoren haben im Vorfeld dazu geführt, dass ich wieder über alle meine Belastungsgrenzen hinausging. Ich hatte damals die Trennung von meinem Ex-Mann hinter mir, später ist das Mietshaus abgebrannt, in dem ich gelebt habe. Ich hatte zwar eine Hausratversicherung, die alles bezahlt hat, in der neuen Wohnung habe ich mich aber fremd gefühlt wie in einer Ferienwohnung. Einige Todesfälle im Freundeskreis kamen hinzu. Schließlich hatte ich einen neuen Partner mit Kind, obwohl ich selbst nie Kinder haben wollte. Mit dem Stiefsohn gab es viele Probleme. Außerdem hatte mein neuer Partner finanzielle Probleme. Hinzu kam, dass ich in der Arbeit zusätzliche Projekte übernommen habe, weil ich glaubte, das zu schaffen und ein „Nein“ für mich nicht in Frage kam. Ein Ausgleich zum Alltag fehlte mir völlig. Ich war in dieser Zeit immer nur für andere da. Ich war immer im Modus „Ich muss, ich muss“ und irgendwann komplett überfordert und erschöpft.

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Sind Sie die zweite Psychotherapie anders angegangen?

Ja, ich habe mich nun wirklich darauf eingelassen, was leider harte Arbeit bedeutet. Man beschäftigt sich in der Therapie sehr viel mit sich selbst. Von meiner Psychotherapeutin habe ich immer kleine Aufgaben an die Hand bekommen, die mich dazu bringen sollten, das Haus zu verlassen. Das fiel mir aufgrund meiner Depression nämlich sehr schwer. Mein Selbstbewusstsein war vollständig weg. Ich habe mir auf dem Weg zum Bäcker zum Beispiel darüber Gedanken gemacht, was die Leute auf der anderen Straßenseite von mir denken. Ich konnte kein Auto und kein Fahrrad mehr fahren, weil mir alles zu schnell war. Außerdem konnte ich nachts nicht mehr richtig schlafen. An all diesen konkreten Problemen haben wir gearbeitet: Warum ich das so wahrnehme, womit es zusammenhängt und wie ich das selbst günstiger beeinflussen kann.

Was hat Ihnen besonders geholfen?

Ein wichtiger Schritt in der Therapie war, dass ich Tagebuch geschrieben habe. Das hat mir geholfen, überhaupt erst einmal an mich selbst zu denken. Ich habe mir alles von der Seele geschrieben, bis sich ein Gefühl der Leere eingestellt hat. Dieses Gefühl hat etwa zwei bis drei Monate angehalten. Es war ein langwieriger, schwerer Prozess. Am schwierigsten war für mich die Aufgabe herauszufinden: Wie geht es mir? Was sagt mir mein Körper? Was macht mich glücklich?

Eine Frau schreibt Tagebuch.

© iStock / Anna Gorbacheva

Täglich Tagebuch zu schreiben kann dabei helfen, die eigenen Gefühle und Gedanken besser wahrzunehmen und zu verstehen.

Was haben Sie über sich gelernt, was macht Sie glücklich?

Ich habe erkannt: Nicht nur im Job, auch privat war ich immer nur am Rotieren, habe gebacken, gekocht, die Wohnung geputzt, Wäsche gewaschen, bin in den Urlaub gefahren. In der Therapie habe ich gelernt, dass man Dinge erkennen, wahrnehmen und umsetzen soll.

Heute weiß ich zum Beispiel, dass ich nicht gerne verreise, da es Stress für mich bedeutet. Stattdessen lebe ich jetzt mit meinem neuen Ehemann, mit unserem Hund und zwei Katzen in einem Haus mit Garten, wo es so schön ist, dass ich nicht wegzufahren brauche, um mich wohlzufühlen. Ich habe außerdem einen positiven regelmäßigen Kontakt zu meinem Stiefsohn und seiner Mutter.

Inzwischen mache ich auch Abstriche bei der Sauberkeit. Früher hat alles astrein geglänzt, heute bin ich entspannter geworden. Es ist mir nicht mehr so wichtig.

Ich war vorher eine Maschine, für die es nur eine Option gab: Funktionieren. Heute bin ich ein Mensch. Ich kann jetzt mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse sitzen und nichts tun. Das wäre vor meinen beiden Burn-outs undenkbar gewesen. Ich lasse das Leben mehr so sein, wie es ist. Ich gehe mit meinem Mann spontan essen oder wir machen eben das, worauf wir gerade Lust haben.

Außerdem lasse ich das Auto viel öfter stehen und gehe mehr spazieren. Während ich früher mit dem Auto zum Einkaufen gehetzt bin, um meinem Ex-Mann pünktlich etwas zu essen auf den Tisch zu stellen, sage ich heute, ich laufe jetzt mal los zum Supermarkt und bin dann irgendwann wieder da. Mein jetziger Ehemann ist deutlich entspannter und verständnisvoller, das hilft mir natürlich auch sehr, selbst entspannter zu sein.

„Ich war vorher eine Maschine, für die es nur eine Option gab: Funktionieren. Heute bin ich ein Mensch. Ich kann jetzt mit einem Glas Rotwein auf der Terrasse sitzen und nichts tun.“

Ute Weers
Software-Trainerin aus Mölln

Was haben Sie beruflich nach der Depression verändert?

Auch mein berufliches Leben habe ich umgestellt: Ich arbeite nur noch vier Tage in der Woche und elf Monate im Jahr. Den Dezember nutze ich jedes Jahr, um herunterzufahren und zu entspannen. Jeder Tag, den ich frei habe, bedeutet heute für mich mehr Lebensqualität. Nach meiner zweiten Therapie wollte ich mir ursprünglich einen neuen Job suchen. Doch mein alter Arbeitgeber hat mir, als ich kündigen wollte, genau das angeboten, wofür ich mich anderswo bewerben wollte. Ich bin jetzt nicht mehr im Vertrieb tätig, sondern mache Projektarbeit, bin Schulungsleiterin und arbeite im IT-Support. Das alles kann ich aus dem Homeoffice erledigen. Mein Job stresst mich nicht mehr so. Ich kann ihn so gestalten, wie ich mir das vorstelle, und habe keine Fahrtzeit zur Arbeit mehr. Da hatte ich natürlich Glück, so einen flexiblen Arbeitgeber zu haben.

Wenn ich heute Migräne habe, was nur noch selten vorkommt, arbeite ich nicht. Ich habe etwas Wesentliches verstanden: Jeder ist im Beruf ersetzbar. Ich muss darauf hören, was mein Körper mir vermittelt. Signale, die er mir gibt, nehme ich heute ernst. Entscheidend war für mich auch der Gedanke an die eigene Sterblichkeit. Wenn ich nur 60 Jahre alt werde, will ich in meinem Leben das gemacht haben, was wesentlich war.

Das ist für mich das neue Paket zum Glücklichsein. Ich habe meine Geschichte verarbeitet, aber es war ein langer Prozess. Vor allem, weil es mir anerzogen war, Vollverdiener zu sein, um mich nicht abhängig zu machen. Meine Erziehung war auf Leistung getrimmt. Ich habe noch lange ein Glückstagebuch geführt, mich täglich abends hingesetzt und aufgeschrieben, was mir am Tag gefallen hat. Das können Kleinigkeiten sein, wie dass ich beim Einkaufen alles bekommen habe, was ich mir vorgestellt habe. Die Schreibroutine hilft aber tatsächlich dabei, dankbarer zu sein. Irgendwann musste ich nicht mehr aufschreiben, was am Tag schön war, ich denke ganz automatisch abends daran und schlafe so auch viel besser.

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