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Gesundheitsmagazin

Psychologie

moodgym: Fitness für die Stimmung

Veröffentlicht am:10.01.2022

8 Minuten Lesedauer

Bei depressiven Symptomen ist medizinische Hilfe ratsam. Zur zusätzlichen Unterstützung und zur Vorbeugung von Depressionen gibt es aber auch Onlineprogramme wie moodgym. Kann so etwas funktionieren? Unser Autor hat den Selbsttest gemacht.

Junge, leicht depressive Frau macht Online-Therapie moodgym am Laptop.

© iStock / damircudic

Bin ich depressiv? Diese Frage habe ich mir schon öfter gestellt und da bin ich sicher nicht der Einzige. Immerhin ist jeder fünfte einmal in seinem Leben von einer Depression betroffen. Das macht es allerdings nicht leichter, diese Frage zu beantworten. Wie ordne ich eine schlechte Phase ein, in der ich schwer aus dem Bett komme, in der ich meist mies gelaunt bin und in der ich meine Fähigkeiten anzweifle? In letzter Zeit kommen solche Episoden immer häufiger vor. Ich schiebe es auf Stress und das trübe Wetter. Meine Launen blieben aber auch in meinem Freundeskreis nicht unbemerkt. Mehrfach wurde ich gefragt, ob alles okay sei. Also fing ich an, mir Gedanken zu machen. Steckt vielleicht mehr dahinter? Ich suche im Internet nach Hilfe und stoße dabei auf moodgym.

Was ist moodgym?

Trainingsprogramm zur Vorbeugung und Verringerung von depressiven Symptomen

moodgym ist ein kostenloses Onlineselbsthilfeprogramm mit nachgewiesener Wirkung. Frei übersetzt bedeutet es so viel wie „Fitness für die Stimmung“. Entwickelt wurde es von Wissenschaftlern der Australian National University. Ein Expertenteam der Universität Leipzig hat es mithilfe der AOK für den deutschen Markt angepasst. Ziel des Programms ist es, depressive Symptome zu verringern und Depressionen zu verhindern. moodgym beruht auf dem Konzept der Kognitiven Verhaltenstherapie und leitet den Nutzer zur Selbsthilfe an.

Ich bleibe anonym

Mein Laptop steht offen vor mir. Ich bin neugierig, aber auch ein bisschen nervös. Was erwartet mich? Um das herauszufinden, muss ich mich mit folgenden Angaben registrieren:

  • Benutzername
  • Altersbereich
  • Geschlecht
  • Land
  • Bundesland

Die Anmeldung erfolgt also ohne persönliche Daten. Das beruhigt schon einmal den inneren Datenschützer in mir. Der Gedanke, dass ich meine Gefühle im Internet hinterlege, hat mir von Beginn an Unbehagen bereitet. Ganz verschwunden ist es auch nicht, wie ich später feststelle. Aber jetzt kann es erst mal direkt losgehen.

Zuerst lerne ich Nullproblemo, Cyberman, Viktoria, Sorgen-Anne, Miesepeter und Anti kennen. Jeder dieser fiktiven Charaktere wird mich ab jetzt begleiten. Sie stehen für Persönlichkeitstypen mit bestimmten Eigenschaften oder Problemen – außer Nullproblemo, er fühlt sich glücklich und erfüllt. So hätte ich mich vor einigen Monaten wohl auch beschrieben, doch aktuell gleiche ich eher Miesepeter: mürrisch und überempfindlich. Die Vorstellung, dass meine miese Stimmung mehr als einfach nur schlechte Laune ist, wird immer realer. Trotzdem hoffe ich insgeheim immer noch, dass sie sich von allein wieder bessert. moodgym wird mich allerdings eines Besseren belehren.

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Die Diagnose von moodgym

Nachdem ich meine Begleiter kennengelernt habe, beginne ich, mehrere Fragebogen auszufüllen. Fragen wie „Fühlen Sie sich erschöpft und antriebslos?“ und „Fühlen Sie sich häufig besorgt?“ sollen meine depressiven Stimmungen und Angstgefühle widerspiegeln. Als Reaktion auf diese intimen Fragen kommt etwas zurück, was ich vermeintlich schon abgelegt hatte: das Unbehagen. Ich schäme mich tatsächlich, einem Onlineprogramm mein Innerstes preiszugeben, obwohl es praktisch nichts über mich weiß.

Trotzdem versuche ich, ehrlich und nach bestem Gewissen zu antworten. Die ersten neun Fragen sind geschafft. Das Ergebnis: Ich liege im mittleren Bereich. Das bedeutet, dass ich depressive Verstimmungen habe, aber nicht mehr als die meisten in meinem Alter. Klingt gar nicht so schlimm, trotzdem bin ich etwas perplex. Zwar habe ich mich bewusst mit dem Gedanken auseinandergesetzt, depressive Symptome zu haben, aber wirklich daran geglaubt habe ich nie.

Das musste ich erst mal sacken lassen. Dann habe ich die restlichen Fragebogen bearbeitet. Mit einer anderen Einstellung als vorher und ohne Scham. Ich habe angefangen, meine Gefühle ernst zu nehmen. Das Ergebnis war aber immer dasselbe.

moodgym bietet mir jetzt an, meinen Umgang mit diesen Stimmungen zu verbessern. Ich habe so meine Zweifel, ob das gelingt, aber viele der Fragen und das Ergebnis haben einen Nerv getroffen. Sie machen mich neugierig auf das, was noch kommt. Als Nächstes werde ich zu der Übersicht der fünf interaktiven Bausteine geleitet:

Fünf Schritte zum Erfolg

Schritt 01/05

Gefühle

Hier steht WIDIWIF („Was ich denke, ist, was ich fühle“) im Fokus. Das Ziel ist, eigene negative Denkmuster zu erkennen, damit sie nach und nach in positives Denken und dementsprechend auch Fühlen umgewandelt werden können.

Negative Gedanken verstehen und erkennen

Diese Bausteine kann ich jetzt nach und nach „freispielen“. Ich starte also mit dem Baustein „Gefühle“. Hier treten direkt zwei meiner Begleiter in Erscheinung. Nullproblemo und Viktoria geben mir zwei verschiedene Sichtweisen auf dieselbe Situation. Bei Viktoria ruft sie negative Gedanken hervor, bei Nullproblemo positive.

Im nächsten Schritt mache ich dann eine Übung, die mir helfen soll, negative Gedanken zu erkennen. Die ist schnell erledigt. Ich muss die Gedanken meiner beiden Begleitpersonen zu bestimmten Fragen analysieren, zum Beispiel, wie sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt einschätzen. Schon vorher weiß ich, dass Viktoria negative Gedanken hat und Nullproblemo nicht. Trotzdem hinterlässt sie ihre Spuren. Jedes Mal habe ich überlegt, was meine Gedanken zu den jeweiligen Fragen sind. Eine Nähe zu Viktoria ist nicht zu leugnen. Das erschreckt mich einerseits, erhöht aber meine Erwartungen an das Programm. Ich will wissen, wie ich meine und Viktorias Gedanken ändern kann. Also klicke ich weiter. Aber erst mal kommt noch viel Theorie. Generell finde ich moodgym etwas textlastig.

Die Übersichtsseite des Online-Programms moodgym.

© ehub Health

Das Onlineprogramm moodgym zeigt, wie Gedanken und Gefühle zusammenhängen, und gibt Strategien an die Hand, negative Gedankenmuster zu ändern.

Die Kunst der Selbstanalyse

Endlich geht es um mich. Ich muss zuordnen, welche negativen Gedanken zu mir passen, dann muss ich konkrete Situationen aufschreiben, die mich in letzter Zeit unglücklich gemacht haben, und meine Gedanken dazu. Das erste Mal fühle ich mich richtig gefordert – und gleichzeitig auch ausgebremst. Ich habe nicht erwartet, dass ich Aufwand in meine Onlinetherapie stecken muss. Doch ich lasse mich drauf ein. Schließlich sind es meine Gedanken, für die ich Alternativen brauche. Damit das funktioniert, muss ich sie identifizieren, und das will auch gelernt sein. Hausaufgaben sollen mir dabei helfen. Ich soll mir während der kommenden Woche drei Ereignisse aufschreiben, die mit positiven oder negativen Gefühlen verbunden sind.

Dieses Muster zieht sich auch durch alle Bausteine. Sie sollen insgesamt meine Selbstwahrnehmung stärken, indem ich den Zusammenhang zwischen Gedanken und Gefühlen verstehe, negative Gedanken erkenne und sie austausche. Dafür mache ich Übungen mit den Begleitpersonen, muss mich selber analysieren und etwa meine eigenen Stärken und Schwächen herausfinden und bekomme Aufgaben für den Alltag. Schnell wird auch klar, warum ich die Bausteine nur nacheinander abarbeiten kann: Sie bauen aufeinander auf. Allerdings nicht in dem Sinne, dass moodgym flexibel ist und sich aufgrund meiner Antworten verändert. Im zweiten Baustein etwa geht es darum, für die negativen Gedanken, die ich im ersten Baustein angegeben hatte, alternative Gedanken zu entwickeln.

Persönliches Fazit

Zehn Tage habe ich mich durch die Bausteine geklickt und die Strategie, die moodgym „WIDIWIF – Was ich denke, ist, was ich fühle“ nennt, verfolgt. Ich bin ohne große Erwartungen in das Programm gestartet, die kamen erst mit der Zeit und wurden am Ende auch erfüllt. Vor allem als präventive Maßnahme gegen Depressionen oder Burnout hat es mich überzeugt. Mir ist klar geworden, dass nicht zwangsläufig die Umstände zu negativen Emotionen führen, sondern die Art, wie ich sie interpretiere – und dass es nicht einfach ist, diese negative Wahrnehmung zu ändern. Aber es ist möglich. Auch das hat mir moodgym gezeigt, allerdings geht das nicht ohne Aufwand und einem hohen Maß an Eigeninitiative. Das gilt generell für Menschen, die ihre eigenen psychischen Probleme bearbeiten wollen. Ich muss bereit sein, etwas ändern zu wollen, und mich bewusst mit meinen Gedanken auseinandersetzen. Geholfen hat es, die Erkenntnisse und Übungen im Alltag auszuprobieren. Ich habe aktiv versucht, Situationen, die mich ärgern, positiv zu interpretieren. Mit Erfolg, aber ich habe auch gemerkt, wie schnell ich in alte Denkmuster verfalle, wenn ich nicht bewusst darauf achte. Mit den Denkmustern ist es also wie mit Muskeln: Nur regelmäßiges Training führt zu langfristigem Erfolg. Dafür braucht es Disziplin und eben Zeit – mehr als zehn Tage.

moodgym ist kein Arzt

Wie lange das Onlineselbsthilfeprogramm trainiert werden muss, damit sich dauerhaft etwas verändert, ist schwer zu sagen. In einer Studie, die die Wirksamkeit von moodgym behandelt, beträgt der kleinste Zeitrahmen sechs Wochen. Insgesamt 647 Teilnehmer haben Forscher und Forscherinnen von der Medizinischen Fakultät der Universität für diese Studie beobachtet. Dabei haben sie festgestellt, dass die depressive Symptomatik bei Patienten stärker zurückging als in einer Kontrollgruppe. Der Effekt war sowohl nach sechs Wochen als auch nach sechs Monaten zu erkennen. Die positiven Erkenntnisse erhalten allerdings eine wichtige Einschränkung. moodgym diente in der Studie als Zusatzangebot zu einem behandelnden Hausarzt: „Onlinebasierte Selbstmanagementprogramme ersetzen natürlich nicht die ärztliche Behandlung oder die Überweisung in eine fachspezifische Behandlung“, betont die Leiterin der Untersuchung Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller.

Diesen Anspruch stellt moodgym aber auch gar nicht. Auf der Startseite, nach den Fragebogen, eigentlich die ganze Zeit über erwähnt das Onlineprogramm, dass es keine klinische Diagnose ersetzen kann. Ab einer bestimmten Schwere der Symptome fordert es die Nutzer sogar auf, eine fachärztliche Beratung aufzusuchen.

Vor- und Nachteile von moodgym

Was das Programm natürlich nicht ersetzen kann, ist die Empathie, die von Menschen ausgeht. Zudem können therapierende Personen individuell reagieren, moodgym ist komplett automatisiert. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich mir bestimmte Antworten auf Fragen nicht eingestehen wollte und dass ich die Hausaufgaben habe schleifen lassen. Schließlich gibt es niemanden, der sie kontrolliert. Ein Mensch schafft eine soziale Verpflichtung, die es erschwert, gewisse Aufgaben nicht zu erfüllen oder nicht an Terminen teilzunehmen.

Trotzdem hat das Programm auch Vorteile gegenüber Psychotherapeuten: keine Wartezeiten und keine Terminverpflichtungen. Bei einem klassischen Therapieplatz ist das undenkbar. Laut einer Auswertung der Bundespsychotherapeutenkammer von über 300.000 Versicherungsdaten mussten 2019 rund 40 Prozent der Patienten, denen eine psychische Erkrankung attestiert wurde, drei bis neun Monate auf den Beginn ihrer Behandlung warten. moodgym hilft, diese Zeit zu überbrücken. Ein weiterer Vorteil ist, dass man immer anonym bleibt, das hilft, sich schneller zu öffnen. Wenn man dann erst mal damit angefangen hat, seine Gefühle zu teilen, fällt es auch Freunden gegenüber deutlich leichter – so war es zumindest bei mir.

Es gibt also ein Für und ein Wider für moodgym. Das Ziel muss es jetzt sein, das Beste aus den gegebenen Möglichkeiten herauszuholen, daher macht es keinen Sinn, konventionelle Therapie gegen Onlinetherapie auszuspielen. Bei der Behandlung gegen Depressionen kann moodgym Psychotherapeuten zwar nicht ersetzen, aber es kann sie unterstützen.

Eine Kurzzusammenfassung des Onlineselbsthilfeprogramms moodgym.

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