Gehirn & Nerven
Hirnerkrankung Chorea Huntington: Symptome und Ursachen
Veröffentlicht am:21.10.2025
6 Minuten Lesedauer
Bewegungen lassen sich nicht mehr kontrollieren, intellektuelle Fähigkeiten gehen verloren, die Persönlichkeit verändert sich: Das sind typische Symptome der Hirnerkrankung Chorea Huntington. Erfahren Sie mehr über Ursachen und Behandlung!

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Was ist Chorea Huntington?
Chorea Huntington ist eine sehr seltene Hirnerkrankung, die an die nächste Generation weitervererbt werden kann. Bisher ist sie nicht heilbar. In Deutschland sind etwa 10.000 Menschen an Chorea Huntington erkrankt. Pro Jahr kommen einige hundert neue Fälle dazu. Nach und nach sterben bei den Betroffenen Nervenzellen im Gehirn ab, sodass bestimmte Bereiche im Gehirn zugrunde gehen. Das betrifft zum Beispiel Bereiche, die wichtig sind, um die Muskeln zu steuern, psychische sowie kognitive Funktionen auszuführen.
Die neurodegenerative Erkrankung wurde von dem Arzt George Huntington entdeckt und im Jahr 1872 von ihm wissenschaftlich beschrieben. Sie wird auch als Huntington-Krankheit, Huntington’sche Erkrankung oder Morbus Huntington bezeichnet. Ursache ist ein Gendefekt. Auf dem Chromoson 4 befindet sich das sogenannte Huntingtin-Gen. Dieses Gen liefert quasi den Bauplan für das Protein Huntingtin. Über Funktion und Aufgaben des Proteins ist zwar wenig bekannt, es spielt aber eine wichtige Rolle bei der Hirnerkrankung. Hat sich das Huntingtin-Gen verändert, wird das Protein nicht korrekt hergestellt und vermehrt mutiertes Huntingtin gebildet. Dieses schädigt die Nervenzellen und deren kompliziertes Zusammenspiel.
Vererbung und Verlauf der Erkrankung
Chorea Huntington wird autosomal dominant vererbt. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder eines erkrankten Elternteils ebenfalls die Krankheit bekommen, liegt bei 50 Prozent. Entscheidend ist, ob das veränderte Gen an die Nachkommen weitergegeben wurde. Ist das der Fall, erkrankt auch das Kind. Bisher ist es noch nicht möglich, den Ausbruch zu verhindern. In Deutschland sollen laut Schätzungen etwa 30.000 Menschen das veränderte Gen in sich tragen.
Die ersten Symptome von Chorea Huntington treten meistens im Alter zwischen 30 und 50 Jahren auf. Es gibt allerdings auch Fälle mit Erkrankungsbeginn in der Jugend oder im Alter. Wie schnell die Erkrankung dann voranschreitet, ist individuell verschieden. Expertinnen und Experten unterscheiden verschiedene Stadien:
- Das prämanifeste Stadium ist die Phase, in der die Träger und Trägerinnen des veränderten Huntingtin-Gens noch keine Symptome zeigen.
- Die prodromale Phase ist eine Art Vorläuferstadium mit ersten leichten Symptomen.
- Das manifeste Stadium ist die letzte Phase mit zunehmenden und schwerwiegenden körperlichen und geistigen Veränderungen.
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Welche Symptome zeigen sich bei Chorea Huntington?
Bei Chorea Huntington verändert sich das Verhalten und psychische Probleme treten auf. Betroffene können immer reizbarer, aggressiver oder enthemmter werden. Andere Betroffene werden ängstlicher oder depressiver. Sie können auch zu Wutausbrüchen, Misstrauen oder Kontrollzwang neigen oder sie kränken andere ohne ersichtlichen Grund. All das wird von Angehörigen oft als Veränderung der Persönlichkeit wahrgenommen. Auch Wahnvorstellungen sind möglich.
Typisch sind zudem motorische Störungen. Kopf, Arme, Beine, Hände und Rumpf lassen sich im Lauf der Zeit immer schlechter koordinieren. Sie beginnen zu zucken und machen unwillkürliche Bewegungen. Im Gesicht wirkt dies wie Grimassen schneiden. Der Gang Betroffener mit ausgeprägten Bewegungsstörungen erinnert an ein Tänzeln. Daher kommt auch ein Teil des Namens der Erkrankung. Der Begriff „Chorea“ leitet sich vom griechischen Wort „choreia“ ab, das auf Deutsch Tanz bedeutet. Im Mittelalter wurde die Erkrankung auch Veitstanz genannt.
Eine Folge der Erkrankung kann der Verlust der Kontrolle über die Zungen- und Schlundmuskulatur sein. Ein weiteres Symptom ist hastiges Essen. Speisen werden heruntergeschlungen, ohne sie zu zerkauen, oder sie werden nur leicht im Mund zerkleinert. Das erschwert die Nahrungsaufnahme. Je weiter die Erkrankung voranschreitet, desto unverständlicher wird die Sprache. Manchmal entwickeln Betroffene auch eine Demenz.
European Huntington’s Disease Network (EHDN)
Das European Huntington’s Disease Network< (EHDN) mit Sitz in Ulm ist ein unabhängiges und gemeinnütziges Netzwerk. Es wurde 2003 gegründet und setzt sich dafür ein, die Forschung zur Huntington-Krankheit zu fördern, klinische Studien durchzuführen und die Versorgung und Betreuung von Erkrankten zu verbessern.
Genetische Analyse bringt Gewissheit
Molekulargenetische Untersuchungen können zum einen bei Menschen mit Huntington-Symptomen gemacht werden, um die Diagnose zu sichern – das ist eine diagnostische Untersuchung. Jedoch möchten auch einige Menschen mit einem erkrankten Elternteil oder Verwandten wissen, ob die Hirnerkrankung auch bei ihnen zukünftig auftreten wird. Das nennt man eine prädiktive Untersuchung. Mithilfe der Chorea-Huntington-Mutationsanalyse kann festgestellt werden, ob sie das veränderte Gen besitzen, das Ursache der Hirnerkrankung ist oder eine genetische Veranlagung für den späteren Ausbruch der Erkrankung besteht. Um sowohl einen hohen Schutz hinsichtlich informationeller Selbstbestimmung (zum Beispiel das Recht auf Nicht-Wissen) als auch hinsichtlich Nicht-Diskrimierung (zum Beispiel Abschluss von Versicherungen) zu gewährleisten, gilt in Deutschland das Gendiagnostikgesetz. Es regelt außerdem die Pflichten und Qualitätsstandards für den Ablauf der Beratung und Testung. Eine ausführliche Beratung und Bedenkzeit vor Durchführung der Untersuchung ist notwendig. Für die molekulargenetische Untersuchung wird Blut abgenommen und dann im Labor die Erbsubstanz extrahiert. Anschließend wird sie auf genetische Veränderungen (Mutationen) untersucht. So lässt sich der Verdacht auf die Huntington-Erkrankung bestätigen oder entkräften. Seit 1993 ist es möglich, den Gendefekt auf Chromosom 4 mithilfe eines Bluttestes nachzuweisen.

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Wie wird Chorea Huntington behandelt?
Bisher kann die Huntington-Erkrankung nicht geheilt werden. Nur für einzelne Symptome, zum Beispiel Depressionen, Angst- oder Bewegungsstörungen, ist eine Therapie möglich: mit Medikamenten und ohne. Bei Bewegungsstörungen, Verhaltensauffälligkeiten oder Depressionen kann der behandelnde Arzt oder die behandelnde Ärztin geeignete Medikamente verschreiben.
Die Behandlung wird individuell auf die Schwere der Symptome und die Bedürfnisse des einzelnen Patienten und der Patientin abgestimmt. Außerdem sind eine Ergotherapie, eine Logopädie und eine Physiotherapie wichtig, um die Sprach-, Bewegungs- und geistigen Funktionsfähigkeiten der Betroffenen zu stärken und diese möglichst lange zu erhalten. An neuen Behandlungsmöglichkeiten wird geforscht. Ein künftiger Weg könnte sein, die Funktion des mutierten Gens wiederherzustellen, das ist aber derzeit noch nicht absehbar.
Passende Angebote der AOK
AOK-Clarimedis: medizinische Informationen am Telefon
Clarimedis ist das medizinische Info-Telefon der AOK. An 365 Tagen im Jahr stehen AOK-Versicherten Fachärztinnen und Fachärzte sowie medizinische Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachrichtungen bei Clarimedis zur Verfügung.
Leben mit der Erkrankung: Austausch mit anderen
Mit der Huntington-Erkrankung zu leben und den Alltag zu meistern, ist für Betroffene und ihre Angehörigen eine große Herausforderung – körperlich, psychisch und oft auch finanziell. Manchmal erleben sie Ausgrenzung, soziale Isolation oder den Verlust des Arbeitsplatzes. In der Familie kann es häufiger zu Konflikten kommen. Gerade junge Menschen fühlen sich oft allein gelassen, weil sie niemanden haben, mit dem sie über die eigene Erkrankung oder die eines Familienangehörigen sprechen können. Durch den Austausch mit anderen können sie neue Kraft schöpfen und neue Perspektiven entwickeln. Ansprechpartner und -partnerinnen oder eine Gesprächsgruppe in der Nähe sind zum Beispiel über die Deutsche Huntington-Hilfe zu finden.
Spezielle Zentren und Kliniken bieten Unterstützung
Im Verlauf der Erkrankung brauchen Betroffene nach und nach immer mehr Hilfe und Pflege. Dinge, die sie bisher noch ganz normal erledigen konnten, sind plötzlich kaum oder gar nicht mehr möglich. Zum Beispiel das Autofahren, das Anziehen, die Mund- und Zahnpflege, das Treppensteigen im Haus oder das Essen. Sie brauchen dann – wie ihre Angehörigen – Hilfe und Unterstützung. Über Hilfsangebote, die Behandlung, Pflege, richtige Ernährung oder den Umgang mit Verhaltensänderungen informieren Huntington-Zentren und Kliniken sowie die Deutsche Huntington-Hilfe. Wichtige Ansprechpartner für Betroffene und Angehörige sind zudem Selbsthilfegruppen, die es bundesweit gibt.
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