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Was es bedeutet, wenn Babys und Kleinkinder fremdeln

Veröffentlicht am:22.03.2023

4 Minuten Lesedauer

Plötzlich bricht der kleine Jonas in Tränen aus, als Opa ihn auf den Arm nimmt: Er fremdelt. Während sein Großvater sich wundert, weil das doch letzten Monat noch kein Problem war, passiert in Jonas’ Gehirn ein wichtiger Entwicklungsschritt.

Kleines Kind fremdelt und versteckt sich hinter Papas Arm.

© iStock / NiDerLander

Was versteht man unter Fremdeln?

Als Fremdeln bezeichnet man ein ängstliches Verhalten gegenüber anderen Menschen, das typisch für eine bestimmte sozial-emotionale Entwicklungsphase bei Babys ist. Trotz des Begriffs „fremdeln“ bezieht es sich keineswegs nur auf fremde Menschen, auch die Großeltern oder sogar der Vater oder die Mutter können abgewiesen werden.

In den ersten sechs Monaten seines Lebens stehen für den Säugling Grundbedürfnisse wie Nahrung, Wärme, Nähe und eine trockene Windel im Vordergrund – wer diese erfüllt, ist erst einmal nicht so wichtig. So fühlt sich das Kind auch auf dem Arm der Patentante wohl und strahlt mit drei oder vier Monaten fröhlich die Bäckereifachverkäuferin an. Auch wenn Babys ihre Eltern durchaus erkennen, vor allem am Geruch an den Stimmen.

Die vertrauensselige Offenheit kippt meist in einem Alter von sechs bis acht Monaten, in Einzelfällen auch früher: Das Kind hat gelernt, bekannte von fremden Gesichtern zu unterscheiden. Es entwickelt nun ein genaues Bild von seinen engsten Bezugspersonen und reagiert auf jeden anderen Menschen plötzlich ängstlich, scheu oder mit wütender Ablehnung.

Wie genau zeigt sich das Fremdeln?

Das Fremdeln äußert sich abhängig von verschiedenen Faktoren – etwa vom Alter, den bisherigen Erfahrungen und der individuellen Persönlichkeit des Kindes. Wird es von einer weniger vertrauten Person angesprochen, wendet es sich womöglich ab und sucht den Kontakt zu seinen engsten Bezugspersonen, versteckt sich hinter deren Beinen oder macht mit Gesten klar, dass es auf deren Arm möchte. Manche Kinder reagieren nur etwas zurückhaltender auf Kontaktversuche von Fremden, andere brechen schon bei einem unerwarteten Blickkontakt in Tränen aus.

Auch der Kreis der vertrauten Personen kann unterschiedlich groß sein. Manche Babys und Kleinkinder reagieren auf Mutter, Vater, Geschwister, Großeltern und enge Freunde gleichermaßen entspannt. Viele haben hingegen auch Phasen, in denen sie einzig und allein ihre primäre Bezugsperson akzeptieren und lauthals protestieren, wenn ein anderes enges Familienmitglied sie wickeln möchte. Wichtig ist, dass die Eltern dieses Verhalten richtig einordnen können und nicht gekränkt reagieren.

Patenonkel trägt sein Patenkind auf dem Arm, das nicht fremdelt.

© iStock / Husam Cakaloglu

Die eine Woche noch auf dem Arm, dann beginnt das „große Fremdeln“: die Entwicklungsphase ist bei Kindern aber ganz normal – seien Sie also nicht traurig, wenn das Patenkind oder Kinder von Freunden fremdeln.

Wann ist das Fremdeln am stärksten?

In welchem Lebensalter ein Kind am stärksten fremdelt, ist ebenfalls individuell unterschiedlich. Im Durchschnitt zeigt sich die Skepsis gegenüber Fremden am deutlichsten im Alter zwischen 8 und 36 Monaten, mit einem Höhepunkt im 2. und 3. Lebensjahr. Die Fremdel-Phase geht bei manchen Kindern auch schon früher los. Dass frühes Fremdeln – wie manchmal behauptet – ein Zeichen für hohe Intelligenz sei, ist wissenschaftlich nicht belegt.

Gleichzeitig heißt das: Fremdeln ist auch bei einem Kleinkind mit zwei Jahren noch normal – es äußert sich dann nur etwas anders. Vielleicht grüßt das Kind auf der Straße nicht zurück oder mag sich nicht bei dem Verkäufer oder der Verkäuferin für ein geschenktes Bonbon bedanken. Das ist kein Zeichen für Unhöflichkeit. Das Kind fühlt sich im Austausch mit Fremden einfach noch unsicher. Ungefähr ab dem dritten Geburtstag nimmt das Fremdeln typischerweise deutlich ab und dem Kind fällt es leichter, Beziehungen zu nicht vertrauten Personen aufzubauen.

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Warum ist Fremdeln ein gutes Zeichen?

Das Fremdeln markiert nicht nur die Zeit, in der Babys optisch zwischen vertrauten und fremden Gesichtern unterscheiden können. Die plötzliche Angst vor Fremden markiert vielmehr einen Abschnitt in der Entwicklung des Bindungssystems.

Das Bindungsverhalten eines Kindes verändert sich mit jedem inneren Entwicklungsschritt: Es bewegt sich immerzu in einem Spannungsfeld zwischen der Suche nach Sicherheit (durch Bindung) und neugierigem Erkunden (Exploration). Je sicherer ein Kind an seine primären Bezugspersonen – also meist die Eltern – gebunden ist, desto mutiger kann es die Welt entdecken. Wenn die neuen Erfahrungen einmal zu viel werden (zum Beispiel durch Angst oder fremde Personen), holen sich die Kinder wieder Sicherheit und Geborgenheit bei ihren Bezugspersonen. Bindung und Exploration sind zwei psychische Grundbedürfnisse für Kinder und deren Erfüllung wichtig für eine gesunde Entwicklung.

Baby fremdelt nicht – was bedeutet das?

In Fachkreisen gilt das Fremdeln als wichtiger Entwicklungsschritt, der nur bei einer gestörten sozial-emotionalen Entwicklung oder Bindung zwischen Eltern und Kind komplett ausfällt. Das heißt allerdings nicht, dass Sie sich Sorgen machen müssen, wenn Ihr Kind weiterhin die Großeltern anstrahlt. Im Fremdelverhalten gibt es, wie bereits erwähnt, ein breites Spektrum: So fremdeln beispielsweise Kinder in Großfamilien, die jeden Tag viele bekannte Gesichter sehen und Stimmen hören, tendenziell weniger. Bei einigen setzt dieser Schritt auch etwas später ein und sie fremdeln erst mit einem Jahr.

Dazu kommt: Auch Babys haben unterschiedliche Persönlichkeiten. Bereits bei den Jüngsten gibt es sehr neugierige und extrovertierte, aber auch zurückhaltende und skeptische Charaktere. Zudem bringen einige Babys unangenehme Gefühle rasch mit lautem Schreien zum Ausdruck, während andere zunächst mit dezenten Gesten kommunizieren. Dadurch fällt das Fremdeln bei manch einem Kind weniger auf.

Kind fremdelt: Was tun?

Ihr Baby fremdelt bei der Oma oder der Babysitterin? Versuchen Sie zunächst, das Fremdeln als normalen und sogar wichtigen Entwicklungsschritt anzuerkennen, der sich nicht einfach überspringen lässt. Folgende Tipps können dabei helfen, mit dem Fremdeln besser umzugehen:

  • Nehmen Sie die Ängste Ihres Kindes ernst und versuchen Sie nicht, sie zu übergehen oder herunterzuspielen.
  • Wenn Ihr Baby oder Kleinkind fremdelt, geben Sie ihm „Rückendeckung“: Vom sicheren Arm aus oder an der vertrauten Hand ist der Kontakt mit Fremden viel einfacher.
  • Wichtig ist zudem, dass die betreffende Person sich nicht aufdrängt. Lassen Sie dem Kind Zeit und erklären Sie im Zweifelsfall das Verhalten Ihres Kindes.
  • Je entspannter und offener Sie selbst sich der anderen Person gegenüber verhalten, desto besser kann auch Ihr Kind sich öffnen.

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