#Erektionsstörung am 20.07.2022

Erektionsstörungen: „Betroffene können sich meistens selbst helfen“

Mann mit Erektionsstörung hält beide Hände vor seinen Penis.
iStock / peakSTOCK

Eine erektile Dysfunktion, besser bekannt als Erektionsstörung, betrifft viele Männer. Allein bei der AOK Baden-Württemberg waren es 2020 über 68.000, die zum Arzt oder zur Ärztin gingen. Die Dunkelziffer dürfte sogar noch weit höher liegen. Eine Erektionsstörung ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu und wird so zur Belastung für die Beziehung und die Psyche. Dabei ist sie meist gut behandelbar – und manchmal hilft sie sogar, eine unbekannte Herzerkrankung früh zu erkennen.

Dr. Thomas Heyer ist Hausarzt in Stuttgart und Vorstandsmitglied im Hausärzteverband Baden-Württemberg. In unserem Interview spricht er über die Ursachen von einer Erektionsstörung, wie sie sich behandeln lässt und was Männer tun können, um einer Störung vorzubeugen beziehungsweise um die Behandlung zu unterstützen.

Dr. med. Thomas Heyer
privat

Dass der Penis mal „schlapp macht“, ist normal. Ab wann sollte Mann sich Sorgen machen?

Das ist sehr subjektiv. Eine Krankheit wird über das seelische und körperliche Unwohlsein definiert. Ich würde Betroffenen daher raten, zum Arzt zu gehen, wenn sich die Erektion so verschlechtert, dass sie sich dadurch seelisch oder körperlich belastet fühlen – sowohl in der Beziehung als auch persönlich.

Kommen viele Männer mit diesem Problem in Ihre Praxis?

Leider ist es noch so, dass sexuelle Störungen sehr schambehaftet sind. Häufiger ist es so, dass wir den Patienten im Zusammenhang mit bestimmten Krankheiten auf Erektionsstörungen ansprechen.

Welche Krankheiten sind das?

Für die Beantwortung dieser Frage hilft ein kurzer Ausflug in die Physiologie: Die Erektion wird durch eine gesteigerte Blutzufuhr in den Penis verursacht. Gleichzeitig verengen sich die Venen und drosseln so den Rückfluss.

Alle Erkrankungen, die diese Durchblutung stören können, können auch Erektionsstörungen verursachen. Dazu gehören in erster Linie:

  • Diabetes mellitus
  • Bluthochdruck
  • erhöhte Blutfettwerte

Noch häufiger sind Durchblutungsstörungen aber die Folge einer ungesunden Lebensweise, vor allem Rauchen kann die Blutgefäße schädigen.

Es gibt den saloppen Spruch: Der Penis ist das Fähnchen der koronaren Herzerkrankung. Was bedeutet das?

Bei der koronaren Herzerkrankung handelt es sich um eine Durchblutungsstörung der Herzkranzgefäße, die für die Versorgung des Herzmuskels zuständig sind. Folgen dieser Erkrankung können unter anderem ein Herzinfarkt sein. In diesem Zusammenhang können auch Erektionsstörungen auftreten. Da das in einem frühen Stadium geschehen kann, können sie also ein Hinweis auf eine lebensbedrohliche Krankheit sein.

Gibt es noch weitere Ursachen für eine erektile Dysfunktion?

Manchmal können Erektionsstörungen unter anderem auch nach Einnahme bestimmter Medikamente und Operationen an der Prostata auftreten. Hinzu kommen drei Risikofaktoren für Durchblutungsstörungen, die sich nicht beeinflussen lassen:

  • Das Geschlecht: Männer erkranken häufiger als Frauen an Durchblutungsstörungen.
  • Die Gene: Wenn der Vater oder die Mutter schon Durchblutungsstörungen in frühen Jahren hatten, ist die Wahrscheinlichkeit bei ihren Nachkommen ebenfalls erhöht.
  • Das Alter: Mit zunehmendem Alter steigt das Risiko einer Durchblutungsstörung. Auch der Testosteronspiegel, der Einfluss auf die Erektion und die Libido hat, nimmt im Alter ab.

Ist eine Erektionsstörung also ein Problem des Alters?

Es ist richtig, dass im Alter Erektionsstörungen vermehrt auftreten, aber auch in jüngeren Jahren sind sie keine Seltenheit. Der Unterschied ist die Ursache. Während bei der älteren Generation vor allem körperliche Probleme eine Rolle spielen, werden bei jüngeren Menschen Erektionsstörungen vor allem durch psychische Probleme ausgelöst. Das können sein:

  • Stress auf der Arbeit oder privat,
  • Spannungen in der Beziehung,
  • Versagensängste, also wenn Männer sich Sorgen machen, ob es heute im Bett funktioniert oder nicht.

Welchen Arzt oder welche Ärztin sollten Betroffene aufsuchen?

Hausärzte und Hausärztinnen sind im Idealfall die erste Anlaufstelle. Sie sind sowohl auf dem Gebiet der seelischen Befindlichkeitsstörungen als auch auf dem der kardiovaskulären Risikofaktoren gut geschult. Zudem haben ihre Patienten und Patientinnen ein gewisses Vertrauen zu ihnen und kennen ihre Krankengeschichte. Sie wissen etwa, ob eine Zuckerkrankheit vorliegt oder wie der Blutdruck eingestellt ist. Daher können sie den Bereich kardiovaskuläre Risikofaktoren oft besser abschätzen als andere Ärzte und Ärztinnen.

Außerdem ist es bei so einem sensiblen Thema für den Patienten in der Regel der leichtere Schritt, in die Hausarztpraxis zu gehen, in der er sich seit mehreren Jahren behandeln lässt, als in eine wildfremde Facharztpraxis.

Für den Fall, dass fachärztliches Spezialwissen gefragt ist, würde der Patient natürlich eine entsprechende Überweisung bekommen.

Wie wird eine Erektionsstörung behandelt?

Vorrangig gilt es, die Grunderkrankung, zum Beispiel Diabetes mellitus, zu behandeln. Dazu kommen weitere Maßnahmen, die häufig schon nach der Anamnese, also der Erfragung der Beschwerden und der Krankengeschichte des Patienten, eingeleitet werden. Das können Gesprächstherapien, etwa Paartherapien, oder medikamentöse Therapien sein. Dazu zählen Erektionshilfen wie Viagra. Diese stärken das Selbstvertrauen, da es wieder häufiger im Bett „klappt“. So lösen sich auch Versagensängste.

Sind diese Maßnahmen ausgeschöpft, kann ein Katheterverfahren helfen. Dafür werden die Patienten an Fachzentren geschickt, die sich darauf spezialisiert haben, Erektionsstörungen als Folge einer Durchblutungsstörung zu behandeln. Beispielsweise indem das behandelnde Fachpersonal die Blutgefäße mithilfe einer Stentimplantation dehnt.

Nach der Einnahme von Viagra ist es schon zu Todesfällen gekommen. Ist die Behandlung gefährlich?

Die Wirkstoffgruppe des Viagras (Sildenafil) kann schädlich sein, im schlimmsten Fall sogar tödlich, für Patienten, die etwa von einer koronaren Herzerkrankung betroffen sind. Darum ist es wichtig, den Patienten vor der Einnahme von Erektionshilfen aufzuklären, dass zum Beispiel eine Durchblutungsstörung am Herzmuskel vorliegen könnte. Wenn dann Symptome wie ein Engegefühl in der Brust auftreten, sollten sie die Behandlung abbrechen.

Wie hoch ist die Heilungschance bei einer Behandlung?

Es ist schwierig, konkrete Zahlen zu nennen, aber einen Großteil der Erektionsstörungen bekommt die Medizin gelöst. Doch es gibt auch Fälle, die nicht (mehr) zu behandeln sind – und Fälle, in denen der Patient gar nicht mehr behandelt werden will. Es ist auch immer eine individuelle Entscheidung. Ich habe 80-jährige Patienten, die die Erwartung an sich haben, dass sie ein Sexualleben haben müssen. Andere wiederum sagen, dass das Thema für sie durch ist. In beiden Fällen ist es wichtig, die Patienten ernst zu nehmen und ihnen Unterstützung anzubieten.

Gibt es etwas, das Betroffene tun können, um die Behandlung zu unterstützen?

Als Arzt ist man immer auf die Mithilfe des Patienten angewiesen. Ich kann den Blutdruck gut einstellen oder die Zuckerkrankheit gut behandeln. Andere Sachen, die gegen Erektionsstörungen helfen, kann ich nur empfehlen und der Patient muss sie dann umsetzen. Er kann zum Beispiel:

  • mit dem Rauchen aufhören
  • seinen Alkoholkonsum deutlich reduzieren
  • seine Ernährung umstellen
  • regelmäßige Bewegung in seinen Alltag integrieren
  • und abnehmen

Generell kann eine gesunde Lebensweise dabei helfen, das Risiko für Erektionsstörungen zu senken, das kann man nicht oft genug betonen.

Was halten Sie von Beckenbodentraining?

Das ist eine geeignete Maßnahme, die helfen kann. Aber auch hier müssen die Übungen erlernt und selbstständig konstant durchgeführt werden. Und zwar über Monate. Erst dann tritt ein spürbarer Effekt ein, wie beim Muskeltraining eben üblich.

Häufig haben Patienten die Herangehensweise ‚Ich schildere mein Problem und der Arzt macht das schon‘. Das ist aber falsch. Sie können sich am besten selbst helfen, etwa indem sie ärztliche Empfehlungen umsetzen. Es ist an uns Ärzten und Ärztinnen, ihnen das zu vermitteln.

Wie kann die Partnerin oder der Partner den Betroffenen unterstützen?

Sie oder er sollte versuchen, einfühlsam zu sein, nicht zu viel Druck auszuüben und Verständnis zu zeigen. Zusätzlich hilft es, Räume zu schaffen, in denen man intim werden kann und Zeit füreinander hat. Wir leben in einer sehr hektischen Zeit. Da bleibt nicht viel Platz für Zärtlichkeiten. Diese Räume muss man sich aktiv schaffen.

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