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Psychologie

Hilfe finden bei Suizidgedanken

Veröffentlicht am:16.02.2023

5 Minuten Lesedauer

Ich kann so nicht mehr leben – Suizidgedanken können sich durch bestimmte Äußerungen oder plötzliche Verhaltensänderungen bemerkbar machen. An wen sich Betroffene und Familienmitglieder bei Suizidgedanken wenden können.

Ein Mann mit Suizidgedanken sitzt in einem dunklem Zimmer vor dem Bett.

© iStock / Wacharaphong

Porträt von Prof. Dr. Barbara Schneider

© LVR, Kaschirina

Prof. Dr. Barbara Schneider ist Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie und Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro). Im Interview erklärt sie, wie Menschen im Umfeld des Betroffenen auf Suizidgedanken reagieren können.

Suizidgedanken sind immer ein Alarmsignal

Was sind Suizidgedanken?

Suizidalität kann sich in Form von Suizidgedanken, Lebensüberdruss oder Todeswünschen zeigen. Suizidgedanken können sich so steigern, dass Betroffene einen Plan entwickeln, wie sie sich selbst das Leben nehmen. Suizidgedanken können sich beispielsweise in einer Lebenskrise plötzlich aufdrängen. Betroffene haben dann den Gedanken: „Es gibt keinen Ausweg, ich nehme mir jetzt das Leben“. Jede Form von Suizidalität, also Lebensüberdruss, Todeswünsche oder Suizidgedanken, müssen unbedingt ernst genommen werden. In Verbindung mit Suizidalität sprechen Experten und Expertinnen im Übrigen von Selbsttötung und nicht von Selbstmord, da der Begriff „Mord“ wertend ist.

Warum entwickeln Menschen Suizidgedanken?

Suizidgedanken können im Rahmen von psychischen Erkrankungen wie Depressionen auftreten. Allerdings können auch Menschen ohne eine solche Erkrankung Suizidgedanken entwickeln. Zum Beispiel, wenn sie hohe Schulden haben, eine Scheidung durchleben, ihren Job verlieren oder eine geliebte Person stirbt. Ob sich jemand mit Gedanken an eine Selbsttötung beschäftigt, ist sehr individuell. Bei manchen Menschen kann ein einzelnes Vorkommnis den Impuls geben, bei anderen führt das Zusammenspiel aus mehreren Faktoren zu Suizidgedanken. Unabhängig von auslösenden Ereignissen oder Erkrankungen haben Menschen mit Suizidgedanken alle die gleiche Empfindung: Sie haben das Gefühl, dass es keinen Ausweg für ihre Situation gibt.

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Was deutet auf Suizidgedanken hin?

Es gibt verschiedene Anzeichen, die darauf hinweisen können, dass sich Menschen gedanklich mit einer Selbsttötung beschäftigen. Besonders schwierig ist es, wenn die Anzeichen eher indirekt sind – Außenstehenden fällt es dann schwer, sie richtig zu deuten. Ein indirektes Anzeichen könnte sein, dass Betroffene plötzlich ihr Verhalten ändern, sie also sehr zurückgezogen wirken und Verabredungen nicht mehr wahrnehmen. Manchmal bedanken sich Personen aus dem Nichts heraus: „Danke für alles, was du für mich getan hast“ – diese Aussage könnte auf Suizidgedanken und auf eine Suizidabsicht bei einer gefährdeten Person hindeuten. Manchmal werden die Absichten aber auch deutlicher – Betroffene horten dann beispielsweise Medikamente oder tragen einen Strick bei sich. Manchmal berichten Menschen Familienangehörigen, Therapeuten oder Therapeutinnen von ihren Suizidabsichten. In dem Zusammenhang gibt es einen Mythos, der besagt, dass Betroffene sich nicht das Leben nehmen, wenn sie über ihre Suizidalität reden. Das ist allerdings ein Trugschluss. Auch Menschen, die offen über ihre Suizidgedanken sprechen, können ihre Pläne in die Tat umsetzen. Sie benötigen ausreichende Hilfe.

„Auch Menschen, die offen über ihre Suizidgedanken sprechen, können ihre Pläne in die Tat umsetzen. Sie benötigen ausreichende Hilfe.“

Prof. Dr. Barbara Schneider
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro)

Menschen mit Suizidgedanken benötigen konkrete Hilfsangebote

Was können Angehörige tun, wenn Familienmitglieder Suizidgedanken haben?

Wenn Angehörige das Gefühl oder einen konkreten Verdacht haben, dass sich ein Familienmitglied mit Suizidgedanken beschäftigt, sprechen sie Betroffene am besten darauf an. Manchmal haben Angehörige, Freunde oder Freundinnen die Sorge, dass sie mit Gesprächen das suizidale Verhalten verstärken, das ist aber nicht so. Jemand, der sich selbst das Leben nehmen möchte, macht das nicht, weil er oder sie mit anderen darüber spricht. Vielmehr können Betroffene so eine wichtige Hilfestellung erhalten. Sie glauben, dass es keine Lösung für ihr Problem gibt. Oft hilft es schon, wenn Betroffene darüber sprechen können. Reicht die Unterstützung von Familienangehörigen, Freunden oder Freundinnen nicht aus, sollten die Betroffenen zusätzlich professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Therapeuten und Therapeutinnen können in der suizidalen Krise helfen und womöglich vorliegende psychische Erkrankungen erkennen. Bei akuter Suizidgefährdung stehen in den psychiatrischen Kliniken rund um die Uhr Expertinnen und Experten zur Verfügung.

Wie kann das Umfeld helfen?

Die größte Hilfe ist Offenheit und Aufmerksamkeit: Wenn Angehörige, Freunde oder Freundinnen Anzeichen wie Medikamentenansammlungen oder ähnliches sehen, sollten sie die Betroffenen auf jeden Fall direkt ansprechen. Man kann Betroffene auch immer auf niedrigschwellige Hilfsangebote hinweisen, also solche, die sie einfach in Anspruch nehmen können. Dazu zählt beispielsweise eine Beratung am Telefon – entsprechende Hotlines sind viele Stunden am Tag erreichbar.

Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Noch immer wird das Thema Suizid tabuisiert. Hinzu kommt, dass Menschen mit entsprechenden Gedanken große Scham empfinden, wenn sie darüber reden. Deshalb ist es wichtig, Betroffene mit ihrem Gefühl der Ausweglosigkeit nicht alleine zu lassen und nicht „negativ abzustempeln“. Es ist wichtig, dass Menschen Arbeitskollegen oder Arbeitskolleginnen und Nachbarn oder Nachbarinnen von ihren Gedanken berichten können. Jeder und jede von uns kann in seinem Leben von Suizidalität – selbst oder als Angehöriger – betroffen sein.

Junge Frau hat Suizidgedanken und bespricht sich mit ihrer Psychotherapeutin.

© iStock / recep-bg

Wer Suizidgedanken hat, findet Akuthilfe bei der Telefonseelsorge, langfristig ist eine Psychotherapie ein wichtiger Schritt.

Wo erhalten Betroffene bei Suizidgedanken Hilfe?

Betroffene können sich Menschen in ihrer Umgebung anvertrauen und so ein entlastendes Gespräch führen. Die Telefonseelsorge hilft Menschen anonym. Hier können Menschen mit Suizidgedanken völlig anonym von dem berichten, was sie belastet. Die Berater oder Beraterinnen sind geschult und schlagen konkrete Hilfsangebote vor. Auch der ärztliche Notdienst kann helfen. Betroffene haben jederzeit die Möglichkeit, eine psychiatrische Klinik aufzusuchen – die zugehörigen Notaufnahmen sind rund um die Uhr besetzt. Menschen mit Suizidgedanken werden dort beraten, wie sie die akute Krise überwinden können. Das geschieht aber nur dann, wenn die Person eine Gefahr für sich oder andere ist. Betroffene können sich in der Klinik beraten lassen, wie sie die akute Krise überwinden können und um Wege zu finden, die Suizidgedanken loszuwerden.

„Betroffene haben jederzeit die Möglichkeit, eine psychiatrische Klinik aufzusuchen – die zugehörigen Notaufnahmen sind rund um die Uhr besetzt.“

Prof. Dr. Barbara Schneider
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro)

Wo erhalten Angehörige bei Suizidgedanken Hilfe?

Suizidgedanken sind auch für Angehörige sehr belastend. Auch sie können sich an die Telefonseelsorge wenden, die 24 Stunden erreichbar ist. Ein Anruf ist dann sinnvoll, wenn sie sich nicht sicher sind, wie sie die Suizidgedanken ihres Familienmitglieds einordnen können – die Berater oder Beraterinnen geben Informationen zu Hilfsangeboten. Suizidalität ist häufig bei Jugendlichen ein Thema und beschäftigt daher auch Eltern. Menschen mit Suizidgedanken haben zwiespältige Gefühle: Einerseits sehen sie die Selbsttötung als einzige Lösung für ihre Situation, andererseits möchten sie nicht sterben. Damit Betroffene ihren Suizidgedanken keine Taten folgen lassen, sind deshalb immer zielgerichtete Hilfsangebote wie Gespräche oder eine therapeutische Behandlung und Diagnostik einer eventuell vorliegenden seelischen Erkrankung wichtig. Bei einer psychologischen Problematik sollten auch Angehörigen Hilfe in Anspruch nehmen.

Suizidprävention „8 Leben“

Die WHO fördert Programme für Suizidprävention.

8 Leben – Erfahrungsberichte und Wissenswertes zum Thema Suizid“ ist ein Teil des Projekts 4E („Entwicklung und Evaluation von E-Mental-Health-Interventionen zur Entstigmatisierung von Suizidalität“). Das Programm „8 Leben“ wurde ins Leben gerufen von Menschen und Wissenschaftlern sowie Wissenschaftlerinnen, die schon einmal persönliche Erfahrungen mit dem Thema Suizid gesammelt haben. Betroffene und Angehörige finden hier hilfreiche Informationen zum Thema Suizidalität.

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