Psychologie
Parasoziale Beziehungen: Warum sich Fan-Liebe echt anfühlt
Veröffentlicht am:29.10.2025
6 Minuten Lesedauer
Ist es normal, sich in eine Serienfigur zu verlieben? Was hinter der parasozialen Beziehung steckt, wie sie wirkt – und welche positiven Effekte sie haben kann.

© iStock / SrdjanPav
Was ist eine parasoziale Beziehung?
Eine emotionale Bindung zu einer Medienperson aufzubauen, die man gar nicht persönlich kennt, ist kein neues Phänomen. Schon lange vor Instagram, TikTok und Co. kannte man diese Form der Beziehung aus traditionellen Medien, etwa vom Mitfiebern mit Romanfiguren oder den Stars aus der Klatschpresse. Bereits in den 1950er-Jahren prägte die Forschung dafür einen Begriff: parasoziale Beziehung.
Die Wissenschaft unterscheidet dabei zwischen dem kurzfristigen Ereignis (der Interaktion) und dem langfristigen Zustand (der Beziehung):
- Parasoziale Interaktion (PSI): Sie beschreibt den Moment der gefühlten Interaktion mit einer Person in den Medien. Wer zum Beispiel im Geist auf die Frage eines YouTubers antwortet oder in einer brenzligen Situation mit einer Serienfigur mitfiebert, erlebt eine PSI.
- Parasoziale Beziehung (PSB): Entwickelt sich daraus eine längerfristige, emotionale Bindung, die über den eigentlichen Moment des Konsums hinausgeht, spricht man von einer parasozialen Beziehung. Personen in einer parasozialen Beziehung denken auch im Alltag über die Medienfigur nach, fühlen sich ihr verbunden und nehmen sie als eine Art Freundin, Freund oder Vertrauten wahr. Sogar Feindschaften oder romantische Beziehungen sind möglich.
Warum fühlen sich parasoziale Beziehungen echt an?
Dass sich parasoziale Beziehungen so echt anfühlen, liegt an einer Kombination aus psychologischen Mechanismen und biologischen Reaktionen. Es beginnt mit denselben Auslösern, die auch echte Beziehungen oder Freundschaften entfachen: Wir fühlen uns zu Medienfiguren hingezogen, die uns ähneln – sei es im Aussehen, in der Herkunft oder in den Ansichten. Oder wir sehen in ihnen nicht nur eine Freundin oder einen Freund, sondern eine Version von uns selbst, die wir gerne wären. Die Figur verkörpert dann unsere eigenen Wünsche und Ziele. Darüber hinaus können parasoziale Beziehungen auch als „sicherer Raum“ dienen, in dem wir intensive – auch romantische oder ambivalente – Gefühle und Szenarien ohne das Risiko realer Konsequenzen ausleben und testen können.
Eine biologische Erklärung dafür liefert der Neuroökonom Paul Zak. Er hat in einer Studie nachgewiesen, dass emotionale Medieninhalte, beispielsweise in Videos, die Ausschüttung des Hormons Oxytocin anregen können, was wiederum eine parasoziale Beziehung begünstigen kann. Das Hormon Oxytocin, auch als „Bindungshormon“ bekannt, ist maßgeblich für den Aufbau von Vertrauen, Empathie und Nähe in echten zwischenmenschlichen Beziehungen verantwortlich. Auch bei der nur einseitigen, parasozialen Interaktion wird es freigesetzt. Das Gehirn registriert eine soziale Bindung, obwohl sie nicht auf Gegenseitigkeit beruht.
Dieser neurobiologische Mechanismus kann erklären, warum sich die Verbindung zu einem Star, den man nicht persönlich kennt, so real und bedeutsam anfühlen kann.
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Social Media als Verstärker
Im Zeitalter von Social Media wird dieser Effekt noch verstärkt. Während die parasoziale Beziehung zu einem Filmstar früher nur einseitig war, erzeugen Plattformen wie Instagram die Illusion von Gegenseitigkeit. So zeigte eine Studie zu Instagram-Influencerinnen und -Influencern, dass die Stärke einer parasozialen Beziehung signifikant zunimmt, wenn die Followerinnen und Follower selbst aktiv werden. Das Liken und Kommentieren von Beiträgen sowie die (seltene) persönliche Antwort einer Influencerin oder eines Influencers verstärken den Eindruck einer wechselseitigen Kommunikation.
Um eine „gefühlte Intimität“ zu erzeugen, nutzen Influencerinnen und Influencer gezielte Strategien. Sie lassen ihr Publikum beispielsweise an alltäglichen Routinen teilhaben oder gehen mit der sogenannten „Self-Disclosure“ (Selbstoffenbarung) noch einen Schritt weiter: Dabei teilen sie intime Details, bewegende Erlebnisse oder persönliche Gefühle. So thematisierten in der jüngsten Vergangenheit zahlreiche YouTuberinnen und YouTuber öffentlich ihre Depressionen.
Welche Gefahren bergen parasoziale Beziehungen?
Die Kehrseite parasozialer Beziehungen zeigt sich, wenn die Sympathie in Enttäuschung umschlägt. Die Lücken im Wissen über das Idol laden die Fans mit eigenen Wünschen und Vorstellungen auf. Kommt später die echte Persönlichkeit ans Licht und entspricht nicht diesen Erwartungen, kann es zu herben Enttäuschungen kommen – zum Beispiel, wenn sich ein Idol zu einem kontroversen Thema anders äußert als erhofft. Ein abruptes Ende der Onlinepräsenz kann sogar eine Art „parasoziale Trennung“ mit echtem Trennungsschmerz auslösen.
Eine weitere Gefahr liegt im Verlust der kritischen Distanz. Die Forschung zeigt, dass die starke Bindung in einer parasozialen Beziehung zu blindem Vertrauen gegenüber dem Idol führen kann. Die Aussagen der Person werden dann nicht mehr hinterfragt und man öffnet die Tür für Beeinflussung, Fake News und Propaganda.
Zudem können parasoziale Beziehungen das Sozialleben beeinträchtigen, indem sie unrealistische Erwartungen an das eigene Umfeld schüren. Wenn sich Freundinnen, Freunde und Angehörige ständig mit dem scheinbar perfekteren Leben von Influencerinnen und Influencern messen müssen, kann ein Teufelskreis aus Enttäuschung und Unzufriedenheit entstehen. Werden die einseitigen Beziehungen langfristig als erfüllender empfunden, kann die Motivation und sogar die Fähigkeit, echte Bindungen einzugehen, abnehmen.

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Wie parasoziale Beziehungen uns stärken können
Parasoziale Beziehungen können aber auch eine positive, stärkende Kraft entfalten. Ein Beispiel dafür liefert die Fangemeinde der Serie „My Little Pony“. Eine Studie über die erwachsenen, meist männlichen Fans, genannt „Bronies“, belegt die positiven Auswirkungen auf deren Leben. So knüpften die Fans nicht nur neue Freundschaften, sondern wurden offener, toleranter und selbstbewusster. Ihre Begeisterung nutzen viele zudem als kreativen Impuls, um neue Hobbys wie Fan-Art zu entdecken oder sich neue Fähigkeiten anzueignen.
Parasoziale Beziehungen bieten also weit mehr als nur Unterhaltung. Gerade in Selbstfindungsphasen wie der Pubertät können sie zu einer wichtigen Stütze werden: Sie geben Orientierung durch inspirierende Vorbilder und stärken das soziale Netz durch ein starkes Gemeinschaftsgefühl. Zudem kann die Bindung an Medienpersonen politisches Interesse wecken und Engagement fördern, wodurch auch Menschen erreicht werden, die klassische Medien kaum noch nutzen.
Von Fan bis Fanatiker: die drei Stufen der Bewunderung
Die Intensität von Fan-Beziehungen lässt sich in drei Stufen einteilen, die in der „Celebrity Attitude Scale“ beschrieben werden. Während auf der harmlosen sozial-unterhaltsamen Stufe der Star lediglich der Unterhaltung dient, wird die Bindung auf der intensiv-persönlichen Stufe bereits stärker: Fans bewundern ihr Idol und entwickeln teils obsessive Gedanken. Wenn die Bewunderung schließlich zur Obsession wird, ist die pathologische Stufe erreicht, die zwanghafte Fantasien, extremes Verhalten oder sogar illegale Handlungen wie Stalking beinhalten kann.
Wie kann ich eine parasoziale Beziehung positiv gestalten?
Diese Tipps helfen dabei, eine parasoziale Beziehung bewusst und gesund zu gestalten:
- Klarheit gewinnen: Fragen Sie sich, was Ihnen diese Beziehung gibt. Ist es Inspiration, Trost, Unterhaltung oder das Gefühl von Zugehörigkeit? Diese Erkenntnis hilft, die Beziehung wertzuschätzen, ohne die Kontrolle zu verlieren.
- Beziehungen aufbauen: Das gemeinsame Interesse ist eine gute Basis, um neue, reale Freundschaften mit Gleichgesinnten zu schließen.
- Kritisch bleiben: Denken Sie daran, dass Influencerinnen und Influencer meist ein Geschäftsmodell verfolgen. Hinterfragen Sie Meinungen und Produktempfehlungen. Fragen Sie auch Freundinnen, Freunde oder Familie, ob diese wahrnehmen, dass Sie eine Person idealisieren oder zu viel Zeit auf deren Profil verbringen.
- Grenzen setzen: Wenn Sie merken, dass die Beziehung Sie negativ beeinflusst, hilft eine digitale Distanz. Das kann bedeuten, der Person zu entfolgen, bewusst auf Likes und Kommentare zu verzichten, feste Nutzungszeiten für Apps festzulegen oder diese sogar zeitweise zu deinstallieren.
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