Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Liebe & Sexualität

Panda-Syndrom – nur kuscheln, nie Sex?

Veröffentlicht am:20.03.2023

7 Minuten Lesedauer

Paare, die gerne miteinander kuscheln, aber selten miteinander schlafen, haben nicht automatisch ein Beziehungsproblem. Womöglich liegt das sogenannte Panda-Syndrom vor. So äußert es sich und dann ist es Zeit, etwas zu ändern.

Junges Paar kuschelt gemütlich auf dem Sofa und einer Decke.

© iStock / mediaphotos

Eric Hegmann auf einer Brücke in der Hamburger Speicherstadt, die linke Hand am Geländer, die rechte Hand in der Hosentasche.

© Robert Hilton

Eric Hegmann ist Paartherapeut und Co-Gründer der Modern Love School, die Onlinekurse rund um das Thema Liebe anbietet. Im Interview erklärt er, welche Gründe es für das Panda-Syndrom gibt und wie Paare ihr Sexleben wieder auffrischen können.

Was ist das Panda-Syndrom?

Bei dem Panda-Syndrom handelt es sich um einen Kunstbegriff. Auch wenn es vielleicht so klingt, steht die Bezeichnung nicht für eine Erkrankung. Vielmehr sagt der Begriff aus, dass in einer Beziehung die Leidenschaft zugunsten von Nähe und Kuscheln aufgegeben wird. Meistens passiert das schleichend und einvernehmlich. Wenn ein Partner oder eine Partnerin aber sagt: „Mir ist das zu wenig Sex, da müssen wir etwas tun“ fällt die Situation nicht mehr vollständig in die Kategorie klassisches Panda-Syndrom – hier herrscht schließlich keine Einigkeit. Allerdings gibt es keine Klassifikation, die festlegt, wann das Syndrom in jedem Fall vorliegt – Paartherapeuten und Paartherapeutinnen stellen also keine Diagnose anhand von Symptomen. Was bei Betroffenen allerdings auffällt, ist, dass die Sexaktivitäten deutlich nachlassen oder sogar ganz ausbleiben – das Kuscheln steht aber hoch im Kurs. Das Syndrom hat seinen Namen übrigens völlig zu Recht von den tierischen Vorbildern: Pandas paaren sich nur für eine sehr kurze Zeit im Jahr, allerdings kuscheln sie gerne.

Wie kommt es zu der „Flaute im Bett“?

Es gibt viele verschiedene Gründe, warum ein Mensch kein sexuelles Verlangen mehr nach dem Partner oder der Partnerin verspürt. Wenn man kaum oder nicht mehr miteinander schläft und stattdessen lieber kuschelt, kann etwa eine biologische Komponente eine Rolle spielen. Etwa nach zwei bis drei Jahren Beziehung nimmt der Anteil an Erregungshormonen und Begeisterungshormonen ab. Einfach deshalb, weil Frauen und Männer die Beziehung nicht mehr als so neu und aufregend empfinden wie am Anfang – das ist völlig normal. Stattdessen übernehmen Bindungshormone wie Oxytocin die Führung. Die Produktion von Oxytocin wird beim Sex, aber auch beim Kuscheln angekurbelt. Durch das Hormon fühlen sich Menschen wohl und geborgen. Alle Paare sind früher oder später also mit einer veränderten hormonellen Zusammensetzung konfrontiert. Was sie daraus machen, ist aber unterschiedlich. Einige Paare entscheiden sich dafür, Kuscheln nun an die erste Stelle zu stellen, andere nutzen beispielsweise Sextoys, um ihr Sexleben aufzupeppen.

Es gibt aber noch eine andere mögliche Ursache für die Flaute im Bett: eine größer werdende Distanz in der Beziehung. Alle Menschen pflegen neben der Liebesbeziehung noch andere Beziehungen, zum Beispiel zu Freunden oder Freundinnen. Fangen Betroffene nun an, mit diesen die Themen zu besprechen, die sie früher ausschließlich mit dem Partner oder der Partnerin thematisierten, kann die Liebesbeziehung an Exklusivität verlieren. Die emotionale Bindung kann dann nachlassen, wodurch eine Distanz entsteht. Paare müssen sich nun noch mehr engagieren, um diese Distanz zu überwinden und Sexualität zu initiieren.

Das Panda-Syndrom gibt es in Langzeitbeziehungen, doch das muss kein Problem sein

Schleicht sich die Panda-Mentalität eher in langjährige Beziehungen ein?

In einer Kurzzeitbeziehung gibt es in der Regel kein Panda-Syndrom. Hier kann eher unterschiedliches sexuelles Verlangen in der Beziehung vorliegen und womöglich einen Störfaktor ausmachen. Das Panda-Syndrom trifft also tatsächlich eher Langzeitpaare. Neben der Veränderung des Hormonverhältnisses gibt es bei den Betroffenen aber noch eine andere wichtige Beobachtung. Paare, die über eine lange Zeit intim miteinander sind, einigen sich – meist stillschweigend – auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.D as bedeutet, sie wählen Stellungen oder Sexualpraktiken, die ihnen den größtmöglichen Nutzen bringen. Doch auch wenn beispielsweise die Missionarsstellung immer zum Orgasmus führt, empfinden Paare das immer gleiche Vorgehen in der Regel irgendwann als fade. Das Problem: Um Neues zu probieren, müssen sie ihre Komfortzone verlassen. Gerade Paaren, die viel Stress im Alltag haben, gelingt das oft nicht – sie empfinden die Neuausrichtung im Sexualleben als anstrengend und lassen es dann lieber ganz sein. Auch das ist bei vielen Langzeitpaaren der Grund, warum es zu der Panda-Mentalität kommt.

Ein Mann schenkt seiner Frau einen Blumenstrauß und küsst sie sanft auf die Wange.

© iStock / jacoblund

Freundlichkeit und Aufmerksamkeit im Alltag können zu mehr Intimität mit dem Partner oder der Partnerin führen.

Kann das Panda-Syndrom die Beziehung gefährden?

Bei dem klassischen Panda-Syndrom sind beide mit dem fehlenden oder stark heruntergefahrenen Sexualleben einverstanden und kuscheln lieber. Eine Gefährdung in Form einer Trennung wegen fehlender Sexualität ist also nicht wahrscheinlich. Eine Beziehung ohne Sex kann funktionieren, sofern beide diese Form der Intimität nicht vermissen. Allerdings kann sich das auch ganz schnell ändern. Zum Beispiel dann, wenn dem Partner oder der Partnerin ein Arbeitskollege oder eine Arbeitskollegin plötzlich positiv auffällt. Dann kann die schlummernde Libido erwachen und den Wunsch nach Sexualität verstärken. Unabhängig davon, ob das Panda-Syndrom die Beziehung gefährdet, gibt es vieles, das für regelmäßigen Sex spricht. Geschlechtsverkehr stärkt die Bindung, dient der Kommunikation und gibt Bestätigung.

„Eine Beziehung ohne Sex kann funktionieren, sofern beide diese Form der Intimität nicht vermissen.“

Eric Hegmann
Paartherapeut und Co-Gründer der Modern Love School

Es gibt keine eindeutige Definition für das Panda-Syndrom

Woran merken Paare, dass sie Pandas sind?

Da es keine festen Kriterien für das Panda-Syndrom gibt, kann das Phänomen sowohl auf Paare zutreffen, die gar keinen Sex mehr haben als auch auf jene, die beispielsweise einmal im Quartal intim sind. Ziehen beide Partner und Partnerinnen das Kuscheln stetig dem Geschlechtsverkehr vor, kann das für eine Panda-Mentalität sprechen. Die Feststellung ist aber nicht unbedingt notwendig. Eine Beziehung, auch eine Sexualbeziehung, ist sehr individuell. Wie oft Menschen Sex haben und wie das sexuelle Verlangen aussieht – all das unterscheidet sich von Paar zu Paar. Viel wichtiger als eine Bezeichnung ist, dass sich Paare einig sind und zufrieden mit der Beziehung sind.

Passende Artikel zum Thema

Hat das Panda-Syndrom auch Vorteile für Paare?

Tatsächlich hat die Panda-Mentalität auch einige Vorteile. Paare können gezielt das Kuschelhormon Oxytocin nutzen, um ihre Bindung zu stärken und sich wohlzufühlen. Einige Partner und Partnerinnen befreien sich mit der Panda-Mentalität auch von den Erwartungen, die von außen auf sie einwirken können. Die Gesellschaft thematisiert die Sexualität oft und an vielen Stellen. Magazine für Frauen und Männer geben beispielsweise Sextipps und Umfragen konfrontieren uns mit aktuellen Zahlen – so erfahren wir beispielsweise, wie häufig Menschen hierzulande in der Woche Geschlechtsverkehr haben. All diese Informationen können bei Paaren Stress auslösen. Vor allem dann, wenn sie sich eigentlich kein solch aktives Sexleben wünschen. Mit dem Zugeständnis, ein Panda zu sein, können sie sich von diesen gesellschaftlichen Erwartungen gewissermaßen loslösen.

Was können Paare aktiv gegen das Panda-Syndrom tun?

Handlungsbedarf besteht grundsätzlich nur, wenn Unzufriedenheit in der Beziehung herscht – schließlich ist Kuscheln anstatt Sex nicht zwangsläufig schlecht. Sind sich beide jedoch einig, dass sie zukünftig mehr Sex haben möchten, gibt es mehrere Ansätze. Zunächst ist es wichtig, dass Beteiligte herausfinden, ob sie generell keine Lust mehr auf Sex verspüren oder vielleicht eher nicht mehr auf den Partner oder die Partnerin. Um dieser Frage näher auf den Grund zu gehen und verletzende Äußerungen zu vermeiden, eignet sich ein moderiertes Gespräch im Rahmen der Sexualtherapie. Ein allgemeiner Hinweis kann sein, dass zum Beispiel ein Mann andere Frauen oder Männer anziehend findet, sich Sex mit dem eigenen Partner oder der Partnerin aber nicht vorstellen kann.

Liegt es aus der Perspektive der Beteiligten nicht an ihrem Gegenüber, kann eine Verabredung zum Sex sehr hilfreich sein. Es ist nämlich ein Ammenmärchen, dass Sex immer spontan stattfinden muss. Paare können bei Sexdates Vertrautes mit neuen Situationen verknüpfen und so die Leidenschaft entfachen. Beispiele sind erregende Rollenspiele oder der Einsatz von Sextoys. Die Sexdates könnten auch abwechselnd, mal von der Frau und mal von dem Mann, organisiert werden – das bringt eine besondere Kreativität und Dynamik ins Spiel. Außerdem gebe ich meinen Kunden und Kundinnen immer gerne folgenden Satz mit auf den Weg: „Alles, was Sie im Alltag für Ihren Partner oder Ihre Partnerin tun, gehört zum Vorspiel“. Die Sichtweise prägte der Beziehungsexperte Dr. John Gottman. Tatsächlich ist es so, dass mehr Freundlichkeit zu mehr Intimität führt.

„Außerdem gebe ich meinen Kunden und Kundinnen immer gerne folgenden Satz mit auf den Weg: „Alles, was Sie im Alltag für Ihren Partner oder Ihre Partnerin tun, gehört zum Vorspiel“.“

Eric Hegmann
Paartherapeut und Co-Gründer der Modern Love School

Für wen bietet sich eine Sexualtherapie an?

Einige Menschen, die sexuell unzufrieden in ihrer Beziehung sind, nehmen eine Sexualtherapie in Anspruch, um die Gründe zu erforschen. Dabei lohnt es sich, viel früher anzusetzen. Meiner Meinung nach ist eine Sexualtherapie für jeden Menschen empfehlenswert – und zwar bereits dann, wenn sie noch nicht nötig ist. Der Grund: Personen, die emotional aufgeladen sind, können nicht so effektiv an Sexualproblemen arbeiten, als wenn sie stressfrei in die Therapie kommen. Sagen Paare also „Wir brauchen eigentlich keine Sexualberatung“, wäre das genau der richtige Zeitpunkt, um eine solche in Anspruch zu nehmen und etwas auszuprobieren. Ein Paartherapeut oder eine Paartherapeutin begleitet und moderiert die Gespräche, gibt neue Impulse und Handlungsvorschläge. All das kann Panda-Paaren helfen, mehr über ihre Sexualität zu lernen, sie wieder aufzunehmen und auszubauen.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?