Pflegeformen

Queer im Alter – was die Pflege für LSBTIQ*-Menschen besonders macht

Veröffentlicht am:21.11.2025

17 Minuten Lesedauer

Queere Menschen möchten auch im Alter in einem Umfeld leben, in dem sie sich nicht erklären müssen und nicht mit Vorurteilen konfrontiert werden. Was zeichnet queersensible Pflege aus und wie findet man passende Angebote?

Eine ältere Frau sitzt mit einer Decke über den Schultern auf einem Stuhl. Ihre Hände stützen sich auf einen Gehstock. Eine Pflegerin beugt sich von der Seite zu ihr herunter. Mit der rechten Hand fasst sie der Frau auf die Schulter und mit der linken auf deren linken Arm.

© iStock / kate_sept2004

Warum benötigen viele queere Menschen im Alter eine spezielle Pflege?

Wenn alte Menschen auf Pflege angewiesen sind, ist das für jeden einzelnen von ihnen eine einschneidende Veränderung – unabhängig davon, ob es sich um heterosexuelle oder homosexuelle, Menschen mit deutschen Wurzeln oder eingewanderte Menschen handelt. Dennoch rücken beim Thema Altenpflege bestimmte Personengruppen in den Fokus, die sich durch individuelle Merkmale von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden. Das ist eine Frage der Gleichberechtigung und Inklusion.

So berücksichtigt beispielsweise kultursensible Pflege die besonderen Anforderungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte. Auch Mitglieder der queeren Community haben eigene Bedürfnisse, die es in Pflegeeinrichtungen zu beachten gilt. Das leuchtet vielleicht nicht sofort ein. Schließlich unterscheiden sich lesbische, schwule, bisexuelle, transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ*) ja nicht grundlegend von heterosexuellen Menschen und von Menschen, die sich eindeutig als Mann oder Frau identifizieren.

Auch hat sich die Lebenssituation von Menschen, die unter die LSBTIQ*-Kategorien fallen, in den letzten Jahrzehnten in Deutschland deutlich verbessert. Während LSBTIQ*-Menschen noch bis in die 1990er Jahre als krank stigmatisiert oder kriminalisiert wurden, ist es heute viel einfacher, sich als lesbisch, schwul oder trans zu outen. Gesetzliche Regelungen schützen vor Diskriminierung. Warum bedarf es vor diesem Hintergrund einer „queersensiblen“ Altenpflege?

Historischer Rückblich: Straftat bis in die 1990er Jahre

Ein Blick in die Geschichte kann dabei helfen, sich diesem Thema zu nähern: Zwar sind homosexuelle Handlungen seit 1969 in Deutschland straffrei, doch der entsprechende Paragraf 175 im Strafgesetzbuch wurde erst 1994 abgeschafft. Dieser Paragraf führte homosexuelle Handlungen unter Männern (von Frauen war überhaupt nicht die Rede) als Straftatbestand auf. Homosexualität galt zudem lange als Krankheit. Erst im Jahr 1991 strich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus der Internationalen Krankheitsklassifikation (ICD-10). Transgeschlechtlichkeit wird in der WHO-Krankheitsklassifikation erst seit dem Inkrafttreten der ICD 11 im Jahr 2022 nicht mehr als Persönlichkeits- und Verhaltensstörung feingestuft.

Passende Artikel zum Thema

Furcht vor neuer Diskriminierung

Dieser geschichtliche Hintergrund bedeutet: Ältere queere Menschen wurden in ihrer persönlichen Vergangenheit häufig ausgegrenzt, kriminalisiert oder Opfer von Gewalt. Viele haben einen schwierigen Weg hinter sich, um heute ihre Identität offen leben zu können. Der Bedarf an sensibler Pflege ist daher hoch, denn viele LSBTIQ*-Menschen, die auf Angebote der institutionellen Altenhilfe angewiesen sind, scheuen die neue Umgebung. Noch stärker als andere Neubewohner und Neubewohnerinnen von Einrichtungen für ältere Menschen haben sie möglicherweise das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein. In ihrem neuen Umfeld müssen sie entweder ihre Persönlichkeit verleugnen oder sich erneut outen. Damit ist die Angst vor erneuter Diskriminierung durch das Personal oder die Mitbewohnenden verbunden.

AOK-Gesundheitschecker Felix testet im Alterssimulationsanzug, wie sich Altern anfühlt, und erhält von Experten und Senioren wertvolle Tipps für gesundes Altern.

Queersensible Altenpflege ist empathische Altenpflege

Allgemein gilt in der Altenpflege der Grundsatz, dass alle pflegebedürftigen Menschen ganzheitlich als individuelle Personen wahrgenommen und in ihren Ansprüchen und Bedürfnissen respektiert werden. Wie alle anderen möchten auch LSBTIQ*-Pflegebedürftige empathisch, individuell und professionell gepflegt werden.

Gleichzeitig wünschen sich zum Beispiel homosexuelle Menschen, auch in einer Pflegeeinrichtung weiterhin ein homosexuelles Leben zu führen. Dazu gehört die Möglichkeit, sexuelle Kontakte nach außen und innen zu knüpfen und aufrechtzuerhalten. Und das ist mehr als ein Wunsch, sondern ein Rechtsanspruch: In Deutschland hat jeder Mensch das Recht, seine Sexualität selbstbestimmt zu leben und dabei gleichberechtigt behandelt zu werden. Dieser Grundsatz leitet sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Artikel 2 des Grundgesetzes ab.

Entsprechend müssen Einrichtungen der Altenhilfe ein Umfeld schaffen, in dem LSBTIQ*-Menschen Akzeptanz und Gleichbehandlung erfahren. Dies ist etwas, das ihnen mitunter über Jahrzehnte verwehrt war. Dazu gehört, dass queere Senioren und Seniorinnen in Pflegeheimen weder erklären noch rechtfertigen müssen, warum sie bestimmte Eigenschaften oder Vorlieben haben. Beispielsweise nicht, wer sie besucht, wie sie leben und lieben oder wie sie sich kleiden.

Passende Angebote der AOK

Ein junger Mann in einem Pflegekittel rasiert einem älteren Mann mit einer Rasierklinge den Bart.

© iStock / Anchiy

Wie alle anderen möchten auch queere Menschen im Alter empathisch, individuell und professionell gepflegt werden.

Was queersensible Altenpflege auszeichnet

Ein diskriminierungsfreies Umfeld, in dem LSBTIQ*-Menschen so akzeptiert und respektiert werden, wie sie sind oder sein wollen, ist die Grundlage für queersensible Pflege. Um dies zu gewährleisten, müssen bestimmte Voraussetzungen für Einrichtungen der Altenpflege erfüllt sein. Einzelne Punkte können Interessierte auch gezielt nachfragen, um zu klären, inwieweit ein Angebot die Anforderungen erfüllt.

  • Das Personal muss für die queere Lebenswelt sensibilisiert sein. Dies wird durch Fortbildungen der Mitarbeitenden zu sexuellen und geschlechtlichen Lebensweisen und Identitäten erreicht. In pflegerischen Einrichtungen kann Pflegepersonal, das selbst LSBTIQ* ist, ein wichtiger Faktor für queere pflegebedürftige Menschen sein.
  • Kooperationen mit queeren Gruppen und Organisationen vor Ort sorgen für wichtigen Input im Pflegealltag.
  • Die Einrichtung hat klare Regeln für den Umgang mit Diskriminierung. Pflegebedürftige Menschen und deren Angehörige sowie Mitarbeitende benötigen im Falle von LSBTIQ*-betreffender Diskriminierung außerdem eine feste Vertrauens- oder Kontaktperson, an die sie sich wenden können.
  • Zusätzliche geschlechtsneutrale Sanitäranlagen, wie beispielsweise Unisex-Toiletten, vermeiden Konflikte im Zusammenleben unterschiedlicher Geschlechtsidentitäten.
  • Inter- und transgeschlechtliche Personen haben oft stigmatisierende Erfahrungen mit ärztlichem und anderem medizinischem Fachpersonal gemacht oder traumatisierende medizinische Behandlungen erlebt. Bei trans- und intergeschlechtlichen Senioren und Seniorinnen besteht aufgrund dieser schlechten Erfahrungen mit dem Gesundheitssystem die Gefahr von Re-Traumatisierungen. Ein besonders sensibler pflegerischer und medizinischer Umgang mit trans- und intergeschlechtlichen Personen ist daher von großer Bedeutung.
  • Auch der Umgang mit an Demenz erkrankten LSBTIQ*-Menschen kann besondere Sorgfalt erfordern. LSBTIQ*-Menschen mit Demenz können große Ängste und Sorgen empfinden, wenn sie sich in eine Zeit zurückversetzt fühlen, in der Homosexualität kriminalisiert wurde. So könnte eine Pflegeeinrichtung zum Beispiel als „Besserungsanstalt“ wahrgenommen werden oder das Pflegepersonal generell belastende Erinnerungen, Misstrauen und Ängste auslösen.

Wie finde ich eine LSBTIQ*-sensible Einrichtung?

Manche ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen verstehen sich als besonders queersensibel und sind auf die Bedürfnisse pflegebedürftiger LSBTIQ*-Menschen spezialisiert. Darüber hinaus gibt es zum Beispiel lesbische oder schwule Pflege-WGs und sogar ganze Seniorenheime, die ausschließlich queere Menschen aufnehmen. Die einzelnen Angebote ausfindig zu machen, ist aber gar nicht so leicht.

Der Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO) bietet mit „Queer im Alter” eine zentrale Informationsplattform an. Das Internetangebot liefert die wichtigsten Informationen für queere Senioren und Seniorinnen sowie für Einrichtungen, die queersensibel sind oder es werden wollen. Neben allgemeinen Informationen finden sich auf der Plattform unter anderem eine interaktive Karte mit LSBTIQ*-sensiblen Einrichtungen der Altenhilfe sowie eine Zusammenstellung queerer Verbände, Organisationen und regionaler Beratungsstellen mit Kontaktmöglichkeiten.

Fachlich geprüft
Fachlich geprüft

Die Inhalte unseres Magazins werden von Fachexpertinnen und Fachexperten überprüft und sind auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft.


Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?