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Normwerte in der Medizin: Das haben sie mit Herkunft und Geschlecht zu tun

Veröffentlicht am:25.06.2025

5 Minuten Lesedauer

Welche Laborwerte bei einem gesunden Menschen zu erwarten sind, wurde vor allem an weißen Männern untersucht. Für Frauen und Menschen anderer Herkunft passen die festgelegten Referenzbereiche nicht immer. Diese Unterschiede sind durch Studien belegt.

Älterer Mann of Colour sitzt auf einer Untersuchungsliege, jüngere Ärztin zeigt ihm etwas auf einem Tablet oder Klemmbrett.

© iStock / FatCamera

Sind Labor-Normwerte für alle Gruppen gleichermaßen aussagekräftig?

Laborwerte suggerieren: Hier liegt ein handfester Wert vor, der besagt, ob jemand gesund oder krank ist. Meist ist auf dem Bildschirm oder Ausdruck sogar markiert, welche Werte oberhalb oder unterhalb des Normbereichs liegen. Alles klar also?

Manchmal genügt tatsächlich ein Blick auf die Laborwerte, um eine anhand klinischer Symptome vermutete Verdachtsdiagnose zu bestätigen. Sehr oft ist es aber komplizierter. Weil ein einzelner Laborwert nicht für die Diagnose genügt, weil andere in Frage kommende Diagnosen ausgeschlossen werden müssen und weil die Laborwerte im Kontext der Symptome des Patienten sowie weiterer Untersuchungsbefunde eingeordnet werden müssen. Oder weil ein Laborwert vielleicht nur knapp außerhalb der festgelegten Normwerte (siehe Kasten) liegt und seine klinische Bedeutung deshalb schwer zu beurteilen ist. Oder weil die Referenzwerte für die Betroffenen gar nicht passen.

Wie werden Normwerte eigentlich festgelegt?

Misst man bei 1000 gesunden Menschen zum Beispiel die Zahl der roten Blutkörperchen, streuen die meisten Werte um einen mittleren Bereich. Niedrigere und höhere Werte kommen seltener vor, sehr niedrige und sehr hohe noch seltener – auch sie sind aber für die jeweiligen Personen normal. Für die Praxis braucht es allerdings feste Grenzen (Fachleute sprechen von Cut-off-Werten), oberhalb oder unterhalb derer man davon ausgeht, dass die Werte nicht mehr „normal“ sind. Diese wurden so gesetzt, dass nur jeweils 2,5 Prozent der Gesunden über oder unter den Werten liegen.

Laborwerte knapp außerhalb dieses Referenzbereichs sind deshalb oft schwer zu beurteilen; die Betroffenen könnten krank sein – oder zu den 5 Prozent Menschen gehören, deren Normalwerte außerhalb des festgelegten Referenzbereichs liegen. Wichtig: Alle Laborwerte sollten im Zusammenhang mit den Symptomen und anderen Untersuchungsergebnissen beurteilt werden.

Um Normwerte erst einmal zu finden, werden sehr viele gesunde Menschen untersucht. Ihre Werte werden dann als „normal“ definiert, alles andere als „nicht normal“. Weil diese Untersuchungen aber hauptsächlich an weißen Männern in Europa und Nordamerika durchgeführt wurden, gelten die Normwerte streng genommen nur für sie. Frauen wurden erst später untersucht, um eigene Werte für sie zu erheben. Bei Kindern ist die Situation noch schwieriger, da hier für unterschiedliche Lebensalter Referenzbereiche benötigt werden und die Erhebung dieser Werte mit hohen ethischen und praktischen Hürden verbunden ist. Trotzdem sind mittlerweile auch für Kinder alters- und geschlechtsspezifische Referenzbereiche für gängige Laboruntersuchungen verfügbar. Auch sehr alte Menschen wurden in den allermeisten Untersuchungen nicht berücksichtigt – und Menschen anderer Ethnien auch nicht.

Lange Zeit wusste man sehr wenig darüber, ob die bekannten Normwerte auch für Menschen anderer Ethnien passen. Inzwischen gibt es aber einige Studien, die zeigen, dass zumindest für Angehörige bestimmter Ethnien eigentlich eigene Normwerte definiert werden müssten.

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Laborwerte: Studien zeigen je nach Herkunft Unterschiede

Eine Auswertung von 38 gängigen Laborwerten bei über 3000 gesunden Probandinnen und Probanden in den USA stellte zum Beispiel signifikante ethnische Unterschiede bei fast allen Tests fest. Asiatischstämmige Teilnehmende hatten etwa höhere Normwerte für Globuline und Gesamtprotein, niedrigere für Kreatinin, Hämatokrit, Hämoglobin, mittlerer Hämoglobingehalt in den roten Blutkörperchen sowie mittleres Volumen der Blutplättchen.

Eine Übersichtsarbeit sichtete Studien zu gängigen Laborwerten, die auf ganz unterschiedliche Erkrankungen hinweisen können und unter anderem auch untersucht werden, wenn der Verdacht auf eine Krebserkrankung besteht. Die Studie fand unter anderem bei Schwarzen Männern und Frauen niedrigere Normwerte für Hämoglobin, das mittlere Zellvolumen roter Blutkörperchen und Albumin als bei Weißen, aber höhere Durchschnittswerte für den Entzündungsmarker C-reaktives Protein (CRP). Asiatinnen hatten im Schnitt niedrigere CRP-Werte für als weiße Frauen, Schwarze Männer niedrigere Hämoglobin-Werte als männliche Asiaten.

Zwei Frauen und zwei Männer unterschiedlicher ethnischer Herkunft im mittleren Lebensalter joggen fröhlich zusammen im Park.

© iStock / Ridofranz

Herkunft und Geschlecht können sich auf die Referenzwerte für Blutuntersuchungen auswirken, ein gesunder Lebensstil ist für alle gleichermaßen gut.

Wie viele Referenzwerte brauchen wir für das Blutbild?

Die meisten dieser Studien wurden in den USA durchgeführt. Sie unterscheiden in der Regel zwischen weißer, asiatischer, Schwarzer und hispanischer Bevölkerung. Weitere Ethnien, wie etwa arabischstämmige Menschen oder Angehörige der First Nations (indigene Völker in Kanada), wurden in diesen Studien meist nicht berücksichtigt. Auch das Alter spielt (abgesehen von Normwerten für Kinder) in der Regel keine zentrale Rolle bei der Festlegung von Referenzwerten für Erwachsene. Und auch ob jemand sportlich ist oder eher Couch-Potato, sich vegan oder fleischlastig ernährt, im Büro oder auf der Baustelle arbeitet – diese Faktoren können sich ebenfalls – je nach der Zusammensetzung der untersuchten Gruppe gesunder Menschen – auf die in dieser Gruppe erhobenen Normwerte auswirken. Um zu vermeiden, dass es durch solche Unterschiede zu zufälligen Ergebnisverzerrungen kommt, müssen die untersuchten Stichproben ausreichend groß sein. Zudem müssen die Stichproben repräsentativ für die untersuchte Zielgruppe sein. Damit ist gemeint, dass sie in wesentlichen Aspekten möglichst der gesamten Zielgruppe, für welche die Daten erhoben werden, entspricht, etwa der Altersverteilung.

Auf diese Weise versucht man, verlässliche Referenzwerte für Laborparameter gesunder erwachsener Menschen zu ermitteln. Die wissenschaftlichen Erkenntnise der vergangenen Jahrzehnte haben jedoch gezeigt: Es gibt signifikante Unterschiede dieser Referenzwerte für bestimmte Bevölkerungssubgruppen, wie Frauen und Männer oder Menschen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit. Deshalb ist es notwendig für diese Gruppen spezifische Referenzwerte zu ermitteln. Bei Frauen und Männern wurde das inzwischen schon relativ gut umgesetzt; für sie werden inzwischen häufig separate Normwerte angegeben. Einige Referenzwerte unterscheiden auch nach Alter der Patientin oder des Patienten.

Bezüglich der Laborreferenzwerte für Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft besteht immer noch viel Forschungsbedarf.

Normwerte: für mögliche Unterschiede sensibilisiert sein

Bei jeder ärztlichen Diagnose ist essenziell: Laborwerte und alle anderen Befunde sind immer in der klinischen Gesamtschau zu betrachten. Wie geht es der Person? Welche Symptome hat sie? Passen die Befunde zur Anamnese und zum körperlichen Untersuchungsbefund? Ein einzelner Laborwert genügt daher nicht.

Zusätzlich ist bei der Interpretation der Befunde zu bedenken, dass Labor-Referenzwerte in großen und heterogenen Stichproben ermittelt wurden. Insbesondere geringfügige Abweichungen vom Referenzbereich müssen daher nicht zwangsläufig auf das Vorliegen einer Erkrankung hindeuten. Die Abweichungen können auch dadurch bedingt sein, dass die untersuchte Person von der Normwerte-Stichprobe abweicht – zum Beispiel durch ihre ethnische Herkunft oder ein besonders hohes Lebensalter. Handelt es sich um Werte, die durch den Lebensstil beeinflussbar sind, wie zum Beispiel Zucker- oder Cholesterinspiegel, empfiehlt es sich auch bei leichten Abweichungen, gesünder zu leben.

Muss aber über Therapien mit relevanten Nebenwirkungen entschieden werden, kann Ihr Arzt oder Ihre Ärztin im Fall nur geringfügig abweichender Laborwerte auch empfehlen, die Werte zunächst einmal nur weiter im Auge zu behalten und zu beobachten, wie sie sich im zeitlichen Verlauf entwickeln. In solchen Fällen kann es auch hilfreich sein, wenn Sie Laborwerte, die eventuell schon früher bei Ihnen erhoben wurden, aufbewahren und für die Beobachtung im zeitlichen Verlauf mit heranziehen.

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