Psychologie
Zwangsstörung: Ist mein Verhalten normal?
Veröffentlicht am:22.04.2021
9 Minuten Lesedauer
Aktualisiert am: 08.05.2025
Betroffene mit einer Zwangsstörung müssen ein und denselben Ablauf immer wieder ausführen. Andere werden von bestimmten Ideen, Gedanken oder Bildern geplagt. Wann genau Ärzte von einer Zwangsstörung sprechen, lesen Sie hier.

© iStock / Kerkez
Was ist eine Zwangsstörung?
Eine Zwangsstörung ist eine psychische Erkrankung, die unterschiedlich schwer sein kann. Der veraltete Begriff Zwangsneurose wurde durch den präziseren Begriff Zwangsstörung ersetzt, weil dieser die Symptome und Ursachen genauer umschreibt. Die Erkrankung umfasst wiederkehrende, oft als sinnlos oder übertrieben empfundene Zwangshandlungen und/oder Zwangsgedanken. Betroffene müssen immer wieder denselben stereotypen Ablauf ausführen, um Unbehagen zu vermeiden. Den meisten Erkrankten ist bewusst, dass ihre Handlungen nicht sinnvoll sind, aber sie können diese Gewohnheiten nicht ablegen. Im Englischen wird diese Erkrankung als Obsessive-Compulsive Disorder (OCD) bezeichnet.
Welche Formen von Zwangsstörungen gibt es?
Zu den häufigsten Zwangshandlungen gehören Wasch- und Reinigungszwänge sowie Kontrollzwänge. Weitere Formen sind Ordnungszwänge, Zählzwänge, Sammelzwänge oder Wiederholungszwänge. Zwangsgedanken drehen sich oft um Sorgen und Ängste vor Krankheitserregern oder die Befürchtung, durch Unachtsamkeit anderen Schaden zuzufügen. Diese Gedanken können religiöse, aggressive oder sexuelle Inhalte haben.
Zwangsstörungen sind relativ verbreitet: Schätzungen zufolge entwickeln etwa 1 bis 3 von 100 Menschen im Laufe ihres Lebens eine Zwangserkrankung. Eine Zwangsstörung kann sich in jedem Alter entwickeln, beginnt jedoch meist im frühen Erwachsenenalter. Frauen sind etwas häufiger betroffen als Männer.

© iStock / Vasil Dimitrov
Welche Symptome treten bei einer Zwangserkrankung auf?
Wichtigstes Merkmal einer Zwangsstörung sind wiederkehrende Zwangsgedanken und/oder -handlungen. Zwangsgedanken sind störende bzw. intrusive Gedanken oder Bilder, die immer wieder in den Kopf der Betroffenen kommen, ohne dass sie es wollen. Sie werden als unangenehm oder beängstigend empfunden, fordern aber nicht zu Handlungen auf. Diese zwanghaften Gedanken, Bilder oder Impulse wiederholen sich ständig und lassen sich kaum abschütteln. Ein Beispiel ist die ständige Angst vor Keimen oder Infektionen oder die Sorge, sich unpassend zu verhalten. Zwanghafte Gedanken bedeuten jedoch nicht, dass Betroffene sie auch tatsächlich ausführen.
Anders bei Zwangshandlungen: Hierbei handelt es sich um Rituale, die Erkrankte immer wieder durchführen, um bedrohliche Gedanken loszuwerden und sich sicher zu fühlen. Das kann zum Beispiel bei einem Zählzwang dazu führen, dass der oder die Betroffene immer wieder bis 20 zählen muss, um für kurze Zeit Ruhe zu finden. Oft sind Zwangsgedanken und Zwangshandlungen miteinander vermischt – etwa, wenn jemand in Gedanken immer wieder die gleichen Zahlenreihen durchgeht.
Per Definition müssen die Symptome für die Diagnose Zwangsstörung mindestens zwei Wochen lang mehrere Stunden am Tag bestehen und von den Patientinnen und Patienten als störend empfunden werden.
Wie beeinflusst eine Zwangsstörung die Psyche und den Alltag?
Das Charakteristische an Zwangsstörungen ist, dass sich Betroffene ihrer irrationalen und übertriebenen Gedanken und Handlungen bewusst sind. Anfangs empfinden sie die Symptome oft nicht als sehr belastend und versuchen, dem Zwang zu widerstehen. Da Zwangshandlungen oder Zwangsgedanken kurzfristig Erleichterung bringen, ist es schwer, damit aufzuhören. Andernfalls leiden Betroffene unter Unwohlsein und Unbehagen, was viel Energie kostet und sie unfähig macht, ihren Alltag zu bewältigen.
Schwer betroffene Personen meiden nach und nach alle Aktivitäten, die ihre Zwänge verstärken könnten und ziehen sich zunehmend zurück. Dies kann zu einem Verlust des Selbstwertgefühls, Depressionen und der Unfähigkeit führen, einen normalen Alltag oder ein Arbeitsleben zu führen.
Passende Artikel zum Thema
Wann werden Zwänge zum Problem?
Jeder oder jede kennt bestimmte Alltagshandlungen, die auf den ersten Blick an Zwänge erinnern – beispielsweise, wenn man überprüft, ob die Tür auch wirklich abgeschlossen oder das Bügeleisen ausgeschaltet ist. Diese Handlungen sind nützlich, um Gefahren wie Einbruch oder Feuer zu vermeiden und können nach einmaliger Überprüfung beiseitegelegt werden. Sie verursachen keinen Stress oder Leiden. Auch gesunde Menschen haben manchmal unerwünschte Gedanken, denen sie jedoch keine große Bedeutung beimessen und die sie weitgehend ignorieren können.
Für die Diagnose Zwangsstörung ist der hohe Leidensdruck entscheidend. Betroffene empfinden ihre zwanghaften Gedanken oder Handlungen als sehr besorgniserregend und versuchen, sie mit aller Macht loszuwerden, zu ignorieren oder zu verhindern. Ein weiteres Kriterium ist das Ausmaß der zwanghaften Handlungen. Wenn man nur wenige Minuten damit verbringt, Fenster und Türen zu kontrollieren, ist das harmlos. Dauert das Ritual dagegen Stunden und fühlt sich der oder die Betroffene erst danach sicher, ist das ein Warnzeichen für eine Erkrankung.
Unterschätzte Verbreitung von Zwangsstörungen
Verschiedene Studien legen nahe, dass Zwangsstörungen zu den vier häufigsten psychischen Erkrankungen zählen. Ihre tatsächliche Verbreitung wird jedoch oft unterschätzt, da viele Betroffene ihre Symptome aus Scham verbergen.
Was sind die Ursachen von Zwangsstörungen?
Die genauen Ursachen einer Zwangserkrankung sind unklar. Vermutlich gibt es mehrere Gründe, warum manche Menschen eine Zwangsstörung entwickeln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass genetische Faktoren und eine gestörte Balance von Botenstoffen im Gehirn die Hauptursache sind. Auch ungünstige Lernerfahrungen und bestimmte Persönlichkeitsmerkmale können eine Rolle spielen. Das Zusammenspiel verschiedener Auslöser führt oft dazu, dass eine Zwangsstörung oft jahrelang bestehen bleibt.
Studien zeigen, dass Angehörige von Menschen mit einer Zwangsstörung ein höheres Risiko haben, ebenfalls daran zu erkranken. Untersuchungen zufolge verändert sich bei Betroffenen die Impulsübertragung im Gehirn. Dabei wird der Bereich, der für die exakte Ausführung einzelner Handlungen sorgt, übermäßig aktiviert. Starker Stress, Lernerfahrungen in der Kindheit oder kritische Ereignisse im Leben können ebenfalls Faktoren sein. Nicht zuletzt können auch neurologische Erkrankungen wie Epilepsie, Kopfverletzungen oder Schädigungen bestimmter Gehirnregionen eine Zwangsstörung auslösen.
Sind Zwänge gefährlich?
Zwangsgedanken und -handlungen beeinträchtigen nicht die intellektuelle Leistungsfähigkeit, können aber emotional sehr belastend sein und die Lebensqualität stark einschränken. Betroffene leiden oft unter Ängsten, Sorgen, Schuldgefühlen und Selbstzweifeln. Zwangshandlungen sind zeitaufwendig und energieraubend und können manchmal viele Stunden am Tag in Anspruch nehmen. Sie können auch körperliche Schäden verursachen – etwa, wenn sich Betroffene mit einem Waschzwang so oft und intensiv die Hände waschen, dass sie Hautekzeme entwickeln.
Die psychischen Folgen sind ebenfalls belastend. Viele Betroffene ziehen sich aus ihrem sozialen Umfeld zurück, empfinden Scham und Schuldgefühle und versuchen, ihre Symptome zu verbergen. Dadurch suchen sie oft erst spät professionelle Hilfe auf. Isolation und Einsamkeit erhöhen das Risiko, eine Depression zu entwickeln. Bei stark ausgeprägten Zwangssymptomen treten möglicherweise auch Suizidgedanken auf. Daher können schwere Zwangsstörungen durchaus gefährlich sein.
Passend zum Thema
Wie kann man Zwangsstörungen behandeln?
Eine Zwangsstörung ist meist chronisch und verschwindet nicht von allein. Deshalb ist eine gezielte und individuell abgestimmte Behandlung wichtig. Glücklicherweise gibt es gute Therapiemöglichkeiten, die die Symptome deutlich verbessern können – auch wenn die Erkrankung nicht vollständig geheilt werden kann. Am erfolgversprechendsten ist eine Kombination aus Psychotherapie und medikamentöser Behandlung.
In der kognitiven Verhaltenstherapie werden Patienten und Patientinnen mit den auslösenden Reizen konfrontiert und lernen, alternative Wege zu finden, um mit ihren Gefühlen umzugehen. Sie hinterfragen schädliche Gedanken und Überzeugungen, um wieder Kontrolle über ihr Verhalten zu erlangen. Ergänzend können Antidepressiva, insbesondere Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI), helfen. Bei Serotonin handelt es sich um einen körpereigenen Botenstoff, der Informationen zwischen Nervenzellen überträgt. SSRI regulieren die gestörte Impuls-Weitergabe im Gehirn und reduzieren die innere Anspannung, so dass viele Betroffene wieder ein weitgehend normales Leben führen können. Das Wichtigste ist, Betroffene zu motivieren und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.