Psychologie
Online trauern: neue Wege der Bewältigung von Verlusten
Veröffentlicht am:04.11.2025
5 Minuten Lesedauer
Virtuelle Gedenkseiten, Trauerforen und soziale Netzwerke schaffen Orte, an denen Menschen Gefühle ausdrücken, Beileid bekunden und Erinnerungen teilen können – unabhängig von Zeit und Raum. Studien zeigen, wie hilfreich die Onlineangebote sind.

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Trauer ist eine Reaktion auf Verluste von Menschen oder Fähigkeiten
Zum Leben gehört auch Trauer – sie ist die wohl natürlichste Antwort auf einen Verlust. Menschen trauern nicht nur, wenn eine geliebte Person stirbt. Trauer entsteht auch durch den Verlust eines gesunden Körpers. Chronische Erkrankungen bedeuten oft gesundheitliche Einschränkungen. Außerdem verändern sie Freundschaften sowie Partnerschaften, Betroffene müssen berufliche Pläne neu denken und Hobbys geraten ins Wanken. Häufig steht auch das eigene Selbstbild plötzlich auf dem Prüfstand. Diese vielen Einschnitte lösen bei Betroffenen nicht selten Trauer aus. Die Trauer zeigt sich auf vielen Ebenen – sie kann den Körper genauso belasten wie die Psyche. Um den Trauerprozess zu verstehen, haben Forschende verschiedene Modelle entwickelt. Am bekanntesten ist das von Elisabeth Kübler-Ross in den späten 1960er-Jahren vorgestellte Fünf-Phasen-Modell. Es beschreibt typische Stationen der Trauer wie Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und schließlich Akzeptanz. Daneben gibt es noch andere Trauertheorien. Allen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass zum Trauern aktives Reflektieren und Verarbeiten gehören – das kann durch Gespräche geschehen, durch Schreiben oder kreative Ausdrucksformen. Hier setzen klassische Unterstützungsangebote wie das therapeutische Schreiben und Gruppensitzungen an. Durch den Einzug der Digitalisierung in viele Bereiche des Alltags gibt es auch Online-Angebote, die trauernden Menschen helfen sollen.
Wie funktioniert die Trauer im Internet?
Heute gibt es viele Möglichkeiten, online zu trauern. Betroffene können etwa digitale Gedenkseiten auf einem Trauerportal erstellen, sich in Online-Communitys mit anderen austauschen oder spezielle Apps nutzen, die beim Abschiednehmen unterstützen. Auch internetbasierte Angebote wie Schreib- und Reflexions-Tools helfen dabei, Gefühle zu sortieren und sich mit dem Verlust auseinanderzusetzen. Künstliche Intelligenz (KI) kann noch individueller auf die Bedürfnisse Trauernder eingehen. So nutzen manche Menschen KI, um die Persönlichkeit oder Verhaltensweisen verstorbener Angehöriger zu simulieren – etwa durch Chats, die auf die Kommunikationsweise des Verstorbenen programmiert sind. Dadurch möchten Betroffene ihren Trauerprozess unterstützen.
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Helfen Chats mit künstlicher Intelligenz beim online Trauern?
Bisher gibt es nur wenige Studien, die untersuchen, wie KI-Chatbots Menschen in der Trauer unterstützen können. Manche Chatbots sind so programmiert, dass sie auf die Stimmung der Anwender und Anwenderinnen reagieren – egal, ob Traurigkeit oder kleine Momente der Freude. Sie helfen dabei, Gefühle zu sortieren und die eigene Identität zu reflektieren. Zudem kann die KI zwar keine realen sozialen Kontakte ersetzen, sie aber ergänzen. In einer Studie mit zehn trauernden Menschen half das Chatten mit der KI, sich selbst wieder besser wahrzunehmen und innere Verbundenheit herzustellen. Viele Teilnehmende schätzten, dass der Chatbot emotionale Unterstützung bot, wann immer sie diese brauchten. Wie gut Chatbots tatsächlich bei der Trauer helfen, lässt sich durch die kleine Untersuchungsgruppe aber noch nicht sicher sagen.
So unterstützen Online-Selbsthilfegruppen die Trauer im Internet
Viele trauernde Menschen suchen im Internet nach einem Weg, um sich auszutauschen. Ein Forscherteam untersuchte, wie sinnvoll in dem Zusammenhang Online-Selbsthilfegruppen sind. Dazu analysierten die Forschenden neun wissenschaftliche Studien, die sich mit dem Thema beschäftigten. Quantitative Daten reichen bisher nicht aus, um zu beurteilen, wie stark Online-Selbsthilfegruppen tatsächlich bei Trauersymptomen helfen. Die qualitativen Ergebnisse zeigen aber viele Vorteile: Trauernde fühlen sich emotional unterstützt, können ihre Trauer jederzeit offen ausdrücken und sind Teil einer verständnisvollen Gemeinschaft, die ähnliche Verluste erlebt hat. Außerdem hilft der Austausch, Informationen weiterzugeben, Erinnerungen zu teilen und das eigene Selbstbild wieder aufzubauen. Gelegentlich empfanden Teilnehmende das Lesen der Nachrichten anderer als belastend – insgesamt überwogen jedoch die positiven Erfahrungen. Online-Selbsthilfegruppen sind daher eine wertvolle Ergänzung zur Trauerberatung oder Therapie, ersetzen diese aber nicht. Die Forschenden betonen, dass weitere Studien dringend nötig sind, um die Wirkung solcher Gruppen besser einschätzen zu können.

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Passende Angebote der AOK
„Lebe Balance“
„Lebe Balance“ ist ein AOK-Kursprogramm zur Förderung der psychischen Gesundheit. Es hilft, achtsam mit sich selbst umzugehen, Wünsche und Bedürfnisse besser kennenzulernen und Alltagsherausforderungen gelassener zu meistern.
Warum trauern viele Menschen online auf Social-Media-Seiten?
Für viele, vor allem junge Menschen, sind Social Media wie Facebook, Instagram oder andere Plattformen ein wichtiger Ort, um Trauer auszudrücken und Verluste zu verarbeiten. Die digitale Trauer bietet nicht nur die Möglichkeit, Erinnerungen, Bilder oder Videos zu teilen, sondern auch eine emotionale Verbindung zu den Verstorbenen aufrechtzuerhalten – ein Prozess, der die eigene Heilung unterstützen kann. Soziale Netzwerke haben dabei eigene, online geltende Trauernormen: Nutzerinnen und Nutzer beobachten, wie andere trauern und passen ihr eigenes Verhalten daran an. Trauer wird hier als soziales Ereignis gesehen, das sichtbar gemacht werden darf. Gleichzeitig ermöglichen die Plattformen, Trauer im eigenen Tempo zu erleben – Beiträge können jederzeit erstellt, gelesen und kommentiert werden. Die Plattformen helfen auch, Kontakte zu anderen Trauernden zu knüpfen, die ähnliche Verluste erlebt haben. So entsteht ein unterstützendes Netzwerk, das Isolation und Unsicherheit lindert, besonders für jene, die Schwierigkeiten haben, Gefühle im direkten Umfeld zu teilen. Menschen nutzen Social Media, um ihre Gefühle auszudrücken, sich selbst wiederzufinden und die bekannten Trauerphasen nach Kübler-Ross zu durchlaufen – ohne dass die Plattform selbst eine zusätzliche „Phase“ vorgibt.
Die Trauer im Internet bietet Chancen, hat aber Grenzen
Online-Trauerangebote gewinnen zunehmend an Bedeutung. Sie bieten Menschen, die einen Verlust erleben, neue Möglichkeiten, Unterstützung zu finden.
Online-Trauerangebote haben viele Vorteile:
- Etwa 40 Prozent der Trauernden benötigen neben Familie und Freunden zusätzliche Hilfe, die Online-Angebote teilweise leisten können.
 - Digitale Plattformen bieten Trauernden die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen, sich weniger allein zu fühlen und ihre Gefühle auf eigene Weise zu verarbeiten. Zudem normalisiert das online Trauern die Trauerphasen und stellt Informationen zu bewährten Bewältigungsstrategien bereit.
 - Die Angebote sind flexibel und können selbstgesteuert, ehrenamtlich oder von Fachkräften begleitet genutzt werden, und decken so unterschiedliche Bedürfnisse Trauernder ab.
 
Manche Trauernde erleben Online-Angebote aber auch als herausfordernd:
- Mit Herausforderungen verbunden sind Online-Angebote etwa dann, wenn technische Schwierigkeiten auftreten, die Userinnen und User Kommentare als unsensibel empfinden oder sie das Lesen der Geschichten anderer emotional belastet.
 - Beim Einsatz von KI-Chatbots ist es für Userinnen und User manchmal schwierig, bei ethischen Fragen klare Grenzen zu ziehen, etwa beim Datenschutz.
 - Einigen Menschen fällt es auch schwer, sich die Grenzen der Angebote klarzumachen. Online-Angebote ergänzen die menschliche Unterstützung, ersetzen sie aber nicht.
 
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