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Gesundheitsmagazin

Selbstbewusstsein

Wer bin ich, wenn meine Gefühle mächtiger sind als mein Verstand?

Veröffentlicht am:12.08.2020

5 Minuten Lesedauer

Wir kennen sie alle: Gefühle, die so stark sind, dass sie unser Denken außer Kraft setzen. Solange es positive Gefühle sind, sehen wir das nicht als Problem. Was aber machen wir mit den negativen? Ein Gespräch mit Mareike Zimmer, Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung und Dozentin für Wirtschaftspsychologie an der Europäischen Fernhochschule in Hamburg.

Eine Frau am Strand lacht herzhaft im Sonnenuntergang.

© iStock / simonapilolla

Unsere Emotionen haben direkte Auswirkungen auf unsere Motivation, auf unsere Leistungs- und Entscheidungsfähigkeit und nicht zuletzt auf unsere Gesundheit. Insbesondere negative Emotionen können uns blockieren, uns am klaren Denken hindern und unsere Handlungsfähigkeit einschränken. Mareike Zimmer, Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung und Dozentin für Change Management, spricht hier über einen angemessenen Umgang mit negativen Gefühlen, durch den wir unser persönliches Potenzial und unser Wohlbefinden steigern können.

Ein kontrollierter Umgang mit Gefühlen sowie die Kontrolle über Emotionen ist Teil der sozialen Kompetenz, die wir verändern und erlernen können, richtig Frau Zimmer?

Ja, das ist richtig. Unsere Gefühle können wir kennenlernen, überdenken und lenken. Emotionen können optimiert werden, sodass viel Nutzen entstehen kann. Und das gilt auch für negative Gefühle, die uns in vielen Situationen nicht guttun, sofern wir sie unreflektiert ausleben. Entscheidend für einen angemessenen Umgang mit unseren Emotionen ist, dass wir unsere Gefühle nicht einfach nur so hinnehmen, als hätten wir keinerlei Einfluss auf sie.

Warum ist ein angemessener Umgang mit unseren Gefühlen überhaupt so wichtig?

Negative Emotionen wie Wut, Ärger, Neid und Eifersucht führen in den überwiegenden Fällen zu inneren Blockaden. Sie lassen uns die Realität verzerrt wahrnehmen und hindern uns am klaren Denken, wodurch unsere Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt wird. Das führt nicht selten dazu, dass wir uns auf eine Art verhalten, die uns nicht zugutekommt. Wir sagen oder tun dann beispielsweise Dinge, die uns in der Situation nicht weiterbringen oder die uns später leidtun. Wem es nicht gelingt, diese negativen Gedankenkreisel zu unterbrechen, der steigert sich immer mehr in negative Gefühle hinein und gefährdet dadurch sein Wohlbefinden und dauerhaft seine Gesundheit.

Was können wir dagegen tun?

Um den eigenen destruktiven Emotionen nicht länger hilflos ausgeliefert zu sein, sollte man sich Folgendes bewusst machen: Für jede Emotion gibt es einen Auslöser. Eine Situation, ein Wort, auch ein bestimmtes Geräusch oder ein Duft können Emotionen in uns auslösen. Welche Emotion das ist und wie stark wir sie erleben, hängt mit unseren persönlichen Erfahrungen, unserer Einstellung und Denk-weise sowie mit unserer ganz individuellen Wahrnehmung zusammen.

Was für eine Situation könnte das sein, die negative Emotionen in uns auslöst?

Wenn jemand anderer Meinung ist als wir, können wir seinen Einwand zum Beispiel als Konfrontation und Ablehnung unserer Person interpretieren und fühlen uns – ausgelöst durch unsere persönliche Denkweise in dieser Situation – verärgert, verletzt oder hilflos. Unsere individuelle Wahrnehmung der Situation löst somit negative Gefühle in uns aus, die zu einer inneren Blockade führen und unseren Handlungsspielraum in der Situation einschränken. Schaffen wir es nicht, uns von dem negativen Gefühl zu distanzieren, reagieren wir meist unangemessen. In unserem Ärger greifen wir unser Gegenüber verbal an, werden laut oder verlassen wütend den Raum. Sind wir durch den Einwand unseres Gegenübers verletzt, ziehen wir uns beleidigt zurück oder reagieren mit Vorwürfen. Alles wenig konstruktive Reaktionen.

Wie können wir denn zu konstruktiveren Reaktionen gelangen?

Anstatt die andere Meinung als Konfrontation und Ablehnung unserer Person wahrzunehmen, können wir den Einwand als andere Meinung akzeptieren und gelten lassen. Emotionen sind ein Produkt unserer persönlichen Sicht- und Denkweise. Wir sollten  uns  deshalb die Situationen vornehmen, die negative Emotionen in uns auslösen.

„Sind wir durch den Einwand unseres Gegenübers verletzt, ziehen wir uns beleidigt zurück“

Mareike Zimmer
Beraterin für Persönlichkeitsentwicklung und Dozentin für Wirtschaftspsychologie

Welche Einstellung, welche Sichtweise von uns hat Einfluss auf unsere Wahrnehmung der Situation? Und können wir unsere Einstellung ändern, eine neutrale Geisteshaltung einnehmen und uns so von negativen Emotionen befreien?

Machen wir ein einfaches Experiment: Vergleichen wir, welche Wirkung folgende zwei Sätze haben: „Heute wird bestimmt ein ganz schwieriger Tag.“ Und: „Ich habe den Gedanken, dass heute ein ganz schwieriger Tag wird.“ Vielleicht nehmen Sie wahr, dass der zweite Satz schon gar nicht mehr so kraftvoll ist und entsprechend weniger wirkt. Je mehr es uns gelingt, Abstand zu unseren Gedanken herzustellen, desto neutraler wird die Haltung, die wir im Geiste einnehmen. Und dann nehmen wir auch nicht mehr alles so persönlich. Deshalb befreien wir uns zwar nicht von negativen Emotionen, aber wir schwächen sie ab.

Welche Leistungen bietet die AOK zur Stressbewältigung an?

Die Leistungen der AOK unterscheiden sich regional. Mit der Eingabe Ihrer Postleitzahl können wir die für Sie zuständige AOK ermitteln und passende Leistungen Ihrer AOK anzeigen.

Können wir auch Abstand zu unseren Ängsten herstellen?

Das können wir dadurch erreichen, dass wir das Gefühl bewusst wahrnehmen und es – innerlich für uns oder auch laut ausgesprochen – benennen: „Ich nehme gerade Angst bei mir wahr.“ Ein negatives Gefühl zu benennen, nimmt ihm bereits die manipulative Kraft. Wir sollten uns immer klar machen, dass dieses negative Gefühl uns beeinflusst, wenn wir ihm nachgeben, dass wir aus dem negativen Gefühl heraus nicht angemessen reagieren werden. Wir sollten uns deshalb die Zeit nehmen, die wir brauchen, um Abstand zu uns selbst und unseren negativen Emotionen zu schaffen. Manchmal kann es dabei sinnvoll sein, ein Gespräch, das emotional belastend für uns ist, auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Aber haben wir denn wirklich immer die Wahl, in einer emotionalen Situation angemessen oder unangemessen zu reagieren?

Ja, wir können beeinflussen, wie wir uns in einer Situation fühlen und wie wir reagieren wollen. Schließlich sind wir selbst für unser Fühlen, Denken und Handeln verantwortlich. Sogar wenn unser Gesprächspartner uns reizen will, liegt es ganz bei uns, ob wir auf das Verhalten unseres Gegenübers eingehen. Wir können entscheiden, ob wir verärgert sind, sprachlos oder verängstigt. Das sollten wir uns klarmachen. Denn allein dieses Bewusstsein macht uns zum Regisseur unserer Gefühlswelt, nicht länger zum Statisten, der seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert ist.

Der Körperaltas unserer Emotionen

Ein Schauer läuft über den Rücken, oder die Wut steigt in den Kopf: Wie zutreffend viele Redensarten über menschliche Emotionen sind, fanden Wissenschaftler aus Finnland heraus. Für ihre Studie haben sie Probanden emotionalen Bildern oder Filmen ausgesetzt. Dann markierten die Teilnehmer auf einem Schaubild, wo sie eine Emotion körperlich am stärksten verspürt hatten. Mit diesen Angaben hat das Team um Lauri Nummenmaa von der finnischen Aalto University einen Atlas unserer Emotionen entwickelt und ihn 2014 im Fachmagazin „Proceedings“ veröffentlicht.

  • Glück

    Glück ist im gesamten Körper spürbar. Bis in die Finger- und Fußspitzen hinein bemerkten die Versuchsteilnehmer die Auswirkungen dieses Gefühls. Die Ausschüttung der sogenannten Glückshormone, die den Körper fluten, wird wie ein warmes, wohliges Kribbeln empfunden.

  • Neid

    Neid findet vor allem in unserem Kopf statt, der unter starke Spannung gerät. Auch im Brustbereich wurden Anspannungen von den Probanden verspürt. Tiefer als bis zum Herzen kommt die Empfindung kaum. Der Rest des Körpers blieb neutral.

  • Scham

    Scham fühlt sich sehr körperlich an, kaum ein anderes Gefühl ist so quälend, so überwältigend. Wir beginnen zu schwitzen, die Hitze steigt in Brust und Kopf auf, bis wir rot anlaufen. Gefühlt wird die Erregung vor allem in der oberen Körperhälfte.

  • Angst

    Angst empfanden die Probanden vor allem im Bereich des Oberkörpers, am stärksten in der Umgebung des Herzens. Angst bedeutet, dass sich der Organismus bedroht fühlt. Daher geht Angst mit Empfindungen wie Enge, Anspannung und Druck einher.

  • Ekel/ Verachtung

    Ähnlich wie bei der Wut, haben die Probanden Ekel und Verachtung als eine starke Erregung im Kopf empfunden, bei Ekel zusätzlich in den Händen. In der Emotionspsychologie wird Verachtung auch als spezielle Form des Ekels betrachtet oder als Mischung aus Ärger und Wut.

Leben mit all unseren Gefühlen. Was wir noch tun können

Natürlich wäre es für unser Wohlbefinden gut, wenn die angenehmen Empfindungen überwiegen. Entscheidend dafür ist, dass wir Bedingungen schaffen, damit sie sich leichter einstellen können. Das gelingt, indem wir auf ein gutes Verhältnis von Anspannung und Entspannung achten und gut mit unserem Körper umgehen. All dies erhöht Psychologen zufolge die Wahrscheinlichkeit, positive Gefühle zu empfinden.

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