Psychologie
Gewichtsdiskriminierung in der medizinischen Praxis – das können Betroffene tun
Veröffentlicht am:17.07.2025
3 Minuten Lesedauer
Gewichtsdiskriminierung ist in der Medizin weiter verbreitet, als viele denken – und kann folgenreich sein. Welche Vorurteile kursieren im Behandlungszimmer? Und was hilft, wenn Beschwerden vorschnell aufs Gewicht geschoben werden?

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Was ist Gewichtsdiskriminierung?
Wer medizinische Hilfe sucht, möchte ernst genommen werden – unabhängig von Aussehen oder Gewicht. Doch genau hier liegt für viele Menschen mit Übergewicht oder Adipositas das Problem. Denn Vorurteile gegenüber Patientinnen und Patienten mit Übergewicht und Adipositas sind in medizinischen Einrichtungen kein Randphänomen, sondern weltweit verbreitet. Möglicherweise wird beim Wiegen abfällig über das Gewicht gesprochen oder das medizinische Personal begegnet den Betroffenen mit Vorurteilen. Ein Klischee lautet: Die Beschwerden hängen allein mit dem Körpergewicht zusammen. Diese Form der Stigmatisierung kann das Verhalten von Ärztinnen und Ärzten beeinflussen, eine objektive Diagnosestellung erschweren und eine angemessene Gesundheitsversorgung verhindern. Zudem kann sie sich negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken. Inzwischen warnen sogar wissenschaftliche Leitlinien davor, dass ein Gewichtsstigma die Gesundheit beeinträchtigen kann – etwa, weil Arztbesuche vermieden werden.
Unentdeckte Krankheiten: Warum Gewichtsdiskriminierung die Gesundheit beeinflusst
Besonders kritisch wird es, wenn medizinische Fachkräfte Symptome vorschnell mit dem Körpergewicht in Verbindung bringen, ohne andere Ursachen in Betracht zu ziehen. Die Folge: Betroffene erhalten nicht die notwendige Diagnostik. Die Erkrankung bleibt unerkannt oder wird zu spät behandelt, weil das Übergewicht als Hauptursache gilt – auch wenn das nicht zutrifft. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen zeigt sich dieser Mechanismus in der medizinischen Versorgung auf verschiedene Weise. Eine Analyse ergab, dass Fachkräfte oft weniger Zeit für Menschen mit höherem Gewicht aufbringen, ihnen seltener wichtige Untersuchungen empfehlen und medizinische Probleme vorschnell auf das Körpergewicht zurückführen.
Dann kann es passieren, dass eine Schilddrüsenunterfunktion unentdeckt bleibt, weil der Behandler oder die Behandlerin eine Gewichtszunahme oder bestehendes Übergewicht nicht als Symptom deutet. Oder eine unerkannte Schwangerschaft wird fälschlicherweise als Diabetes behandelt – vermutlich, weil Vorurteile greifen, wie zum Beispiel: Menschen mit starkem Übergewicht haben kein aktives Sexleben. Oder Menschen mit hohem Gewicht sind automatisch unfruchtbar.
Die Gewichtsdiskriminierung ist nicht nur im medizinischem Berufsalltag verbreitet, sondern beginnt schon während des Studiums. In einer Untersuchung empfahlen Medizinstudenten und -studentinnen den hochgewichtigen virtuellen Patienten und Patientinnen mit Kurzatmigkeit eher, den Lebensstil zu ändern. Die Normgewichtigen erhielten dagegen meist ein Medikament, um das Symptom zu behandeln.
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Seit einigen Jahren hat sich der Begriff „Bodyshaming“ nicht nur auf Social Media, sondern auch in der Gesellschaft sowie in Fachkreisen für die Abwertung und Diskriminierung aufgrund des Körpers etabliert. Bei Menschen mit Übergewicht wird das auch Fatshaming genannt. Doch wer erlebt Bodyshaming beziehungsweise Fatshaming? Vorurteile gegenüber Menschen mit höherem Körpergewicht betreffen alle Altersgruppen. Auch Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas erfahren Bodyshaming in ihrem Alltag. Es liegt nahe, dass sich die Vorurteile auch im Umgang mit jungen Patienten und Patientinnen zeigen – etwa bei ärztlichen Gesprächen oder Untersuchungen.

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Wer aufgrund von Übergewicht oder Adipositas in medizinischen Einrichtungen diskriminiert wird, geht oft nur ungern zum Arzt oder zur Ärztin. Frauen mit Übergewicht oder Adipositas beispielsweise nehmen seltener frauenärztliche Kontrolluntersuchungen in Anspruch. Ein Grund dafür ist Scham. Möglicherweise fühlen sich die Frauen unwohl, weil sie sich in der gynäkologischen Praxis entkleiden müssen. Doch es geht nicht nur um persönliche Unsicherheiten: In Kliniken und Praxen fehlen immer wieder Untersuchungsgeräte in einer passenden Größe. Solche Hürden können die Hemmschwelle für Frauen erhöhen – und im schlimmsten Fall zu einer verzögerten Krebsdiagnose führen.
Was kann ich tun, wenn ich Gewichtsdiskriminierung während einer medizinischen Behandlung erlebe?
Erleben Sie Bodyshaming oder Gewichtsdiskriminierung? Dann stellen Sie sich womöglich die Frage: Wie gehe ich mit dieser Erfahrung um? Ein erster Schritt ist, die eigene Wahrnehmung ernst zu nehmen: Wenn Sie den Eindruck haben, dass gesundheitliche Beschwerden nicht gründlich untersucht oder voreilig gewertet werden, dürfen und sollten Sie das ansprechen. Zudem kann es helfen, sich eine zweite Meinung einzuholen – vor allem wenn Zweifel an der Behandlung bestehen.
Die neue Leitlinie für Adipositas (Interdisziplinäre Leitlinie der Qualität S3 zur Prävention und Therapie von Adipositas) empfiehlt medizinischem Fachpersonal ausdrücklich, Patientinnen und Patienten frei von gewichtsbezogener Stigmatisierung zu behandeln sowie eine Ausstattung in Praxen und Kliniken bereitzustellen, die sich für Menschen mit Adipositas eignet. Für Betroffene bedeutet das: Wer sich diskriminiert fühlt, kann sich darauf berufen, dass auch Leitlinien eine sensible und individuelle Kommunikation fordern.
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