Psychologie
Was ist emotionale Intelligenz?
Veröffentlicht am:05.11.2025
6 Minuten Lesedauer
Gefühle erkennen, im Job nicht aus der Fassung geraten, im Alltag empathisch sein: Emotionale Intelligenz soll zeigen, wie wir besser mit uns und anderen umgehen. Kann man emotionale Intelligenz messen oder gar erlernen? Was die Forschung dazu sagt.

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Die Definition der emotionalen Intelligenz
Emotionale Intelligenz (EI) beschreibt die Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen, auszudrücken, zu verstehen und zu bewältigen. Der Begriff wird im Alltag und in der Wissenschaft sehr unterschiedlich verstanden. Forschende sind sich bisher nicht einig, wie emotionale Intelligenz genau definiert oder gemessen werden sollte. Manche Modelle, die sogenannten gemischten oder traitbasierten Ansätze, fassen unter emotionaler Intelligenz Kompetenzen und Fertigkeiten zusammen, mit denen Menschen ihre Umweltanforderungen unterschiedlich gut bewältigen. Häufig beziehen die Ansätze auch Persönlichkeitseigenschaften wie Optimismus, Selbstbewusstsein oder Impulsivität mit ein. Diese Modelle erfassen Forschende im Normalfall über Selbstberichte. Dieses Konzept der EI stößt aber auf Kritik, weil es sich meist unzureichend von anderen Konzepten, etwa emotionaler Stabilität oder emotionaler Kompetenz, abgrenzen lässt und somit schwer messbar ist. Enger gefasste, fähigkeitsbasierte Modelle konzentrieren sich auf konkrete Fähigkeiten: das Erkennen eigener und fremder Gefühle, das Unterscheiden verschiedener Emotionen und die Nutzung dieser Informationen, um Handlungen zu steuern. Diese Modelle können Forschende über Leistungstests erfassen.
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Was ist der Unterschied zwischen EQ und IQ?
Der emotionale Intelligenzquotient (EQ) soll zeigen, wie gut Menschen ihre eigenen Gefühle und die anderer erkennen, verstehen und gezielt einsetzen. Der Intelligenzquotient (IQ), dagegen misst kognitive Fähigkeiten wie logisches Denken, Problemlösen und Merkfähigkeit. Während der IQ vor allem auf analytische Fähigkeiten abzielt, geht es beim EQ um den Umgang mit Emotionen und sozialen Situationen. Fähigkeitsbasierte Modelle der emotionalen Intelligenz betrachten den EQ nicht als Gegenspieler, sondern als zusätzliche Dimension zur klassischen Intelligenz.
Drei wichtige Bausteine der emotionalen Intelligenz
Emotionale Intelligenz wird als ein vielschichtiges Konzept beschrieben, das aus mehreren Bausteinen besteht. Die amerikanischen Psychologen Mayer und Salovey unterscheiden in ihrem „Four Branch Model“ vier Bereiche. Ein Bereich, die Nutzung von Emotionen, ist weniger gut belegt. Deshalb arbeiten aktuelle Modelle meist nur mit den drei übrigen Facetten:
- Emotionswahrnehmung: Die Fähigkeit, genau zu erkennen, welche Emotionen man selbst oder andere gerade erleben.
- Emotionsverständnis: Die Fähigkeit, die Entstehung, Veränderung und den Zusammenhang von Emotionen zu verstehen.
- Emotionsregulation: Die Fähigkeit, Emotionen bei sich oder anderen zu verstärken, abzuschwächen oder zu kontrollieren.
Dabei unterscheiden Forschende, ob es um die eigenen Emotionen oder die von anderen Menschen handelt – die Wissenschaft konzentriert sich überwiegend auf die zweite Variante.
Wie hilft emotionale Intelligenz im Alltag?
Es liegt nahe, dass emotionale Intelligenz im Alltag nützlich ist. Sie kann Menschen theoretisch dabei helfen, Emotionen besser zu händeln. Emotionen begegnen Menschen schließlich fast überall: Im Job, in der Schule und vielen weiteren Bereichen. Tatsächlich zeigen Studien, dass höhere EI-Werte häufiger mit besserer Arbeitsleistung und bestimmtem Führungsverhalten einhergehen – etwa dem transformationalen Führungsverhalten, bei dem Führende inspirieren, motivieren und fördern. Einige Unternehmen berücksichtigen emotionale Intelligenz deshalb in ihren Jobanzeigen und bieten gezielte Trainings an, um die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden zu stärken. Die emotionale Intelligenz ist nicht wichtiger für den beruflichen Erfolg als andere Fähigkeiten oder Eigenschaften, es wird jedoch angenommen, dass sie Unterschiede im Leistungsvermögen erklärt. Auch bei Kindern und Jugendlichen kann EI sinnvoll sein. Untersuchungen zeigen, dass Lehrkräfte bei Kindern mit höherer emotionaler Intelligenz tendenziell weniger schulische Probleme beobachten. Wie groß dieser Effekt tatsächlich ist und welche Bedeutung er im Vergleich zu anderen Einflüssen hat, bleibt jedoch unklar.
Unterschiedliche Ansätze zur Messung der emotionalen Intelligenz
Es gibt mittlerweile einige Versuche, die emotionale Intelligenz zu messen – je nach Test werden damit unterschiedliche Aspekte abgedeckt. Fähigkeitsbasierte Modelle arbeiten vor allem mit Leistungstests, bei denen es richtige und falsche Antworten gibt. Ziel ist die Emotionserkennung. Im Rahmen des Tests sehen sich Teilnehmende beispielsweise Fotos von Menschen an, die bestimmte Emotionen ausdrücken – die Testperson soll diese korrekt erkennen. Oftmals legen Experten und Expertinnen die „richtigen“ Antworten fest, der Ansatz heißt „Consensus Scoring“. Das Problem: Das Verfahren scheint objektiv, obwohl Experten und Expertinnen sich bei der Bewertung auch uneinig sein können. Varianten wie das sogenannte Morphing messen hingegen etwa, wie schnell jemand eine Emotion einordnet – Gesichter erscheinen zunächst verschwommen und werden nach und nach klarer, bis die Testperson die Emotion erkennt. Gemischte Modelle setzen dagegen auf Selbstauskunftsfragebögen. Die Befragten bewerten, wie sehr bestimmte Aussagen auf sie zutreffen. Solche Fragebögen sind grundsätzlich zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen geeignet. Doch hier kann es zu Verzerrungen kommen: Menschen bringen damit nicht selten zum Ausdruck, wie sie gerne wären, statt wie kompetent sie tatsächlich im Umgang mit Emotionen und sozialen Situationen sind.

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Kann man emotionale Intelligenz erlernen?
Untersuchungen zeigen, dass Menschen ihre emotionalen Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grad trainieren können. Wer gezielt daran arbeitet, kann Fortschritte bei der emotionalen Intelligenz im Alltag spürbar einsetzen – etwa im Umgang mit anderen oder beim Stressabbau. Wie stark sich die Kompetenzen entwickeln, hängt vom betrachteten Bereich ab: Persönlichkeitseigenschaften wie emotionale Stabilität verändern sich eher langsam, während das Wissen über Emotionen leichter erweitert werden kann. Verschiedene Institute geben Kurse zur Weiterentwicklung – sie sollen die Selbstwahrnehmung, das Selbst- und Beziehungsmanagement und das soziale Bewusstsein stärken. Außerdem gibt es zahlreiche Ratgeber zu dem Thema. Die Wirkung dieser Weiterbildungsmaßnahmen ist jedoch nicht wissenschaftlich erwiesen.
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Das Konzept der emotionalen Intelligenz lässt viele Fragen offen
Emotionale Intelligenz klingt nach dem Schlüssel zum Erfolg, bleibt wissenschaftlich aber umstritten. Viele Studien prüfen, ob mehr EI automatisch bessere Leistungen bringt. Nur wenige Studien beschäftigen sich damit, welche Folgen fehlende emotionale Fähigkeiten haben. Gerade in Berufen mit viel „Emotionsarbeit“, etwa in der Pflege oder Pädagogik, können emotionale Fähigkeiten Vorteile bringen. Interessant sind auch Unterschiede zwischen Gruppen. Frauen schneiden in Studien häufig besser ab – möglicherweise, weil sie Emotionen anders wahrnehmen oder verarbeiten. Die Erforschung dieser und anderer Faktoren, die Testergebnisse beeinflussen, wie Alter und Erfahrungsjahre, könnte die Sicht auf die emotionale Intelligenz und die Anwendbarkeit erweitern.
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