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Gesundheitsmagazin

Immunsystem

Myasthenia gravis erkennen und behandeln

Veröffentlicht am:30.10.2023

5 Minuten Lesedauer

Die Autoimmunerkrankung Myasthenia gravis lässt die Muskeln erschlaffen. Dank moderner Therapien haben Betroffene meist eine normale Lebenserwartung – wenn die Krankheit früh erkannt wird.

Eine junge Frau liegt erschöpft auf der Couch.

© iStock / gpointstudio

Was ist Myasthenia gravis?

Bei Myasthenia gravis (übersetzt: „schwere Muskelschwäche“), auch Myasthenie genannt, erschlaffen die Muskeln der Betroffenen, weil der Nervenimpuls nicht richtig auf den Muskel übertragen wird. Die Muskeln ermüden schneller – vor allem, wenn sie belastet werden. Myasthenie zählt zu den Autoimmunerkrankungen: Die Nervenerkrankung entsteht durch eine Fehlfunktion des körpereigenen Immunsystems, das sich gegen sich selbst richtet.

Myasthenia gravis kommt selten vor

Schätzungen zufolge sind etwa 8.000 bis 12.000 Menschen in Deutschland von der Erkrankung betroffen.

Myasthenie erwerben Betroffene im Laufe des Lebens. Menschen jeden Alters können an Myasthenia gravis erkranken. In den meisten Fällen entsteht die Krankheit jedoch erst bei Menschen ab dem 50. Lebensjahr.

Typisch für Myasthenia gravis ist: Die Muskeln ermüden bei Beanspruchung schnell und erschlaffen dadurch – für Betroffene eine große Beeinträchtigung im Alltag. Myasthenie schränkt häufig die Arbeitsfähigkeit ein. Muskelschmerzen oder Störung der Sensibilität bestehen jedoch nicht. Viele Betroffene sind durch Fatigue, also ein permanentes Erschöpfungsgefühl, eingeschränkt. In manchen Fällen müssen Patienten und Patientinnen mit Myasthenia gravis intensivmedizinisch behandelt werden, wenn durch die Ermüdung der Atemmuskeln ein Atemstillstand droht. Grundsätzlich ist die Lebenserwartung bei Myasthenie jedoch nicht eingeschränkt.

Symptome: Wie äußert sich Myasthenia gravis?

Die ersten Symptome von Myasthenia gravis betreffen oft die Augen: Die Betroffenen bemerken hängende Augenlider und sehen doppelt. Die Symptome sind bei den Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt und nicht immer gleich stark. Meist nimmt die Muskelschwäche bei Anstrengung zu, etwa wenn Betroffene eine Bewegung häufiger wiederholen.

Sind nur die Augen von der Myasthenia gravis betroffen, sprechen Fachleute von einer okulären Myasthenie. Dies ist selten der Fall. In der Regel greift die Myasthenie auf weitere Körperteile und -regionen über, zum Beispiel das Gesicht, den Oberkörper, die Arme und Beine. Es kann zu Sprach- und Schluckstörungen kommen. Manche Betroffene haben Schwierigkeiten, den Kopf zu halten, was unangenehme Nackenschmerzen auslösen kann.

Breitet sich die Myasthenia gravis auf Muskeln im gesamten Körper aus, sprechen Mediziner und Medizinerinnen von einer generalisierten Myasthenie. Sie schränkt die Beweglichkeit und die Lebensqualität der Betroffenen stark ein und ist in manchen Fällen lebensbedrohlich: Wenn die Krankheit die Muskeln der Atemwege beeinträchtigt, besteht die Gefahr, dass der Patient oder die Patientin erstickt. Bestimmte Medikamente, Begleiterkrankungen, Schwangerschaft oder Operationen können bei einer stark geschwächten Atem- und Schluckmuskulatur zu einer raschen Verschlechterung der Symptome führen. Man spricht dann von einer myasthenen Krise. Das ist ein dringender Notfall, der intensivmedizinisch behandelt werden muss.

Ursachen: Was löst Myasthenia gravis aus?

Zwischen Nerv und Muskel gibt es eine Kontaktstelle, die sogenannte Endplatte. An dieser Stelle sind Nerv und Muskelfaser nicht direkt miteinander verbunden. Stattdessen liegt dort ein Spalt. Über diesen muss das elektrische Signal, der Nervenimpuls, in ein chemisches Signal umgewandelt werden, damit sich der Muskel zusammenziehen kann. Dies geschieht über die Ausschüttung des Botenstoffs Acetylcholin.

Dieser Botenstoff bindet sich an Aufnahmestellen in der Muskelfaser, die Acetylcholin-Rezeptoren. Daraufhin öffnen sich kleine Kanäle, durch die positiv geladene Ionen strömen – das Signal ist im Muskel angekommen und er kann arbeiten.

Bei Menschen mit Myasthenia gravis ist das körpereigene Abwehrsystem fehlgesteuert und bildet Antikörper, die sich am häufigsten gegen die Acetylcholin-Rezeptoren richten. Dadurch werden diese Rezeptoren verstärkt abgebaut, der Nervenimpuls kann nicht mehr weitergeleitet werden und die Muskeln erschlaffen. Ohne Behandlung kann es infolge der Erkrankung zum Muskelschwund kommen.

Bei manchen Betroffenen entstehen Antikörper gegen andere Strukturen, etwa den Eiweißstoff Muskelspezifische Kinase (MuSK), das Transmembranprotein Lrp4 oder den Stoff Agrin, was zum gleichen Effekt führt: Die Signalübertragung auf den Muskel ist gestört.

Myasthenia gravis ist in der Regel nicht erblich bedingt. Was genau die Myasthenie auslöst, ist nicht abschließend geklärt. Forschende vermuten, dass Infektionen, etwa mit Viren oder Bakterien, die körpereigene Abwehr fehlleiten, sodass sich eine Myasthenie entwickelt.

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Wie wird Myasthenia gravis festgestellt?

Bei Anzeichen einer Myasthenia gravis stellen Arzt oder Ärztin anhand von standardisierten Tests fest, ob und wie weit die Muskulatur ermüdet ist. Eine Laboruntersuchung des Blutes gehört auch zur Diagnose. Bei vielen Betroffenen hat der Körper Antikörper gebildet, die sich gegen die Acetylcholin-Rezeptoren oder andere für die Signalübertragung wichtige Bestandteile der Endplatte richten. Die Blutwerte zeigen an, ob diese Antikörper vorhanden sind.

Teil der Diagnose ist auch eine neurophysiologische Untersuchung. Die Behandelnden messen dabei die elektrische Aktivität in den Muskeln und Nerven. Außerdem machen sie häufig eine Computertomografie (CT) des Brustkorbs, da in einigen Fällen bei Menschen mit Myasthenie eine Vergrößerung des Thymus vorliegt. Der Thymus ist ein kleines Organ, das im Brustkorb hinter dem Brustbein liegt. Er ist ein wichtiger Teil des Immunsystems. Fachleute vermuten, dass der vergrößerte Thymus an der Entstehung von Myasthenia gravis beteiligt ist.

Ein alter Mann nimmt eine Tablette mit einem Schluck Wasser aus einem Glas ein.

© iStock / Riska

Bei Myasthenia gravis helfen zum Beispiel Mittel, die die Reizweiterleitung zwischen Nerven und Muskeln verbessern oder die die Autoimmunreaktion abschwächen.

Therapie und Behandlung von Myasthenia gravis

Ziel der Therapie bei Myasthenia gravis ist es, die Muskelkraft zu verbessern und die Beweglichkeit der Betroffenen zu erhalten. Medikamente erhöhen die Konzentration von Acetylcholin im Blut und verbessern die Reizweiterleitung vom Nerv zum Muskel.

In vielen Fällen kommen zusätzlich Arzneimittel aus der Gruppe der Kortikosteroide oder Immunmodulatoren zum Einsatz. Sie beeinflussen das Immunsystem so, dass es weniger Antikörper bildet. Intensive Forschung findet weiterhin zu Arzneimitteln statt, die die Autoimmunreaktion abschwächen und so die Signalübertragung von den Nerven auf die Muskeln verbessern.

Bei einigen Patienten oder Patientinnen ist der Thymus gutartig vergrößert, was scheinbar im Zusammenhang mit der Entstehung von Myasthenia gravis steht. In diesen Fällen wird der Thymus entfernt, um den Krankheitsverlauf positiv zu beeinflussen.

Im Falle einer myasthenen Krise, bei der ein Atemstillstand droht, ist eine Notfalltherapie notwendig: Betroffene bekommen über eine Infusion sogenannte Immunglobuline, also spezielle Immunzellen aus dem Spenderblut gesunder Menschen. In einigen Fällen kann eine sogenannte Plasmapherese Teil der Behandlung sein.

Inwieweit der Alltag und die Arbeitsfähigkeit der Betroffenen eingeschränkt sind, ist auch abhängig von der immunologischen Erkrankungsaktivität und von der Behandlung. Etwa zehn Prozent der Betroffenen haben einen schwer behandelbaren Verlauf. Durch eine gut eingestellte Therapie lässt sich Myasthenia gravis in sehr vielen Fällen gut unter Kontrolle bringen. Ein großer Teil der Patienten und Patientinnen verspüren dann wenig oder sogar gar keine Symptome mehr.

Kann die Ernährung die Therapie der Myasthenia gravis unterstützen?

Einen bestimmten Ernährungsplan müssen Betroffene mit Myasthenia gravis in der Regel nicht befolgen.

Die neurologische Fachgesellschaft gibt in ihren Behandlungsleitlinien keine speziellen Ernährungsempfehlungen. Ob ungesättigte Fettsäuren sowie Vitamine und Spurenelemente wie zum Beispiel Vitamin C, Vitamin E, Zink und Selen einen zusätzlichen Beitrag bei der Bewältigung der Erkrankung leisten können, ist unklar.

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