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Gehirn & Nerven

Trigeminusneuralgie: Wenn der Schmerz unerträglich wird

Veröffentlicht am:12.08.2021

6 Minuten Lesedauer

Ein Windhauch reicht aus und ein elektrisierender Schmerz fährt wie ein Blitz durchs Gesicht. Diese Schmerzattacken, die bei einer Trigeminusneuralgie auftreten, zählen zu den stärksten Schmerzen, die es gibt, und können aus alltäglichen Situationen eine Qual machen. Was es mit den Schmerzen auf sich hat und welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt, lesen Sie hier.

Frau leidet unter starken Gesichtsschmerzen weil sie eine Trigeminusneuralgie hat.

© iStock / Pheelings Media

Was ist eine Trigeminusneuralgie?

Sprechen, Kauen, Schlucken – ganz alltäglich Vorgänge, die für viele gesunde Menschen Teil eines glücklichen Lebens sind. Betroffene einer Trigeminusneuralgie jedoch können sie zur Verzweiflung treiben. Sie berichten von extremen Gesichtsschmerzen, die plötzlich spontan oder auch bei der kleinsten Bewegung oder Berührung auftreten können – ein Windhauch kann schon ausreichen. Sie beschreiben die Schmerzen wie folgt:

  • blitzartig einschießend
  • extrem intensiv
  • elektrisierend
  • stechend
  • scharf

Der Trigeminusnerv (5. Hirnnerv / Drillingsnerv) ist mit seinen sensiblen Ästen verantwortlich für die Wahrnehmung und Weiterleitung von Berührungs- und Schmerzreizen im Bereich des Gesichts. Die Schmerzen sind dabei zumeist auf eine Gesichtshälfte und auf das Versorgungsgebiet des zweiten oder dritten Astes oder auf beide gemeinsam beschränkt. Nur selten ist der Stirnast beteiligt.

Grafik zur Veranschaulichung der Versorgungsgebiete des Trigeminus.

© AOK

Der Trigeminusnerv ist für die Wahrnehmung von Reizen im Bereich des Gesichts verantwortlich.

Welche Ursachen hat eine Trigeminusneuralgie?

Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (IHS) unterscheidet drei Formen der Trigeminusneuralgie:

  • Klassische Trigeminusneuralgie
    Nach heutigem Wissensstand geht die Medizin davon aus, dass für die klassischen Trigeminusneuralgie eine Kompression des Trigeminusnerven durch ein Blutgefäß im Bereich des Austritts des Nerven am Hirnstamm ursächlich ist. Es kommt zu einer Nervenschädigung, bei der eigentlich nicht-schmerzhafte Reize auf Schmerzfasern umgeleitet werden. Für den Patienten äußert sich das dann in den typischen Schmerzanfällen.
  • Sekundäre Trigeminusneuralgie
    Die Trigeminusneuralgie lässt sich als ein Symptom einer anderen Erkrankung einordnen. Dabei kann es sich beispielsweise um eine Multiple Sklerose, einen Hirntumor, Hirnmetastasen oder auch eine Gefäßmissbildung handeln. Besonders bei jüngeren Patienten sollte immer auch an eine Multiple Sklerose gedacht werden. Die Prävalenz der Trigeminusneuralgie bei MS-Patienten liegt bei etwa ein bis zwei Prozent im Gegensatz zu etwa 0,04 Prozent in der Gesamtbevölkerung.
  • Idiopathische Trigeminusneuralgie
    Liegen wiederkehrende, anfallsartige und einseitige Gesichtsschmerzattacken vor, die die Kriterien für eine Trigeminusneuralgie erfüllen, und wird weder eine klassische noch eine symptomatische Diagnose bestätigt, so spricht man von einer idiopathischen Form. Als idiopathisch werden Erkrankungen unbekannter Ursache bezeichnet.

Was löst die Schmerzen aus und wie lange dauern sie an?

Minimale Reize wie Sprechen, Rasieren, Kauen, Zähneputzen, eine Berührung, kaltes Wasser oder ein kalter Luftzug können die Schmerzen auslösen. Aber auch Stress wird zu den Auslösern (auch Triggerfaktoren) gezählt. Das macht die Krankheit zum ständigen Begleiter der Betroffenen und deren Familien. Tanzen mit Freunden, kuscheln mit dem Partner, toben mit den Kindern – schöne Momente werden zum Risiko für eine Schmerzattacke. Auch die Produktivität der Arbeit leidet, sofern sie überhaupt noch ausgeübt werden kann.

Die heftigen Schmerzattacken sind dabei kurzanhaltend. Sie dauern Sekunden bis wenige Minuten , können aber mehrmals pro Tag dicht hintereinander auftreten. Eine Trigeminusneuralgie tritt episodisch auf. Betroffene können über Wochen und Monate häufig Schmerzattacken haben und darauf über Wochen und Monate eine schmerzfreie Phase erleben.

Welche Folgen kann eine Trigeminusneuralgie haben?

Da die Schmerzattacken so heftig sind, vermeiden manche Betroffene die Nahrungsaufnahme oder nehmen nur noch Flüssiges mit einem Strohhalm zu sich. Die Folge kann ein Gewichtsverlust und Flüssigkeitsmangel sein. Auch psychisch sind die starken Schmerzen eine enorme Belastung, depressive Verstimmungen können auftreten.

Wer ist betroffen?

Die Trigeminusneuralgie ist eine seltene Erkrankung. In der Regel tritt sie erst ab dem 40. Lebensjahr auf. Frauen leiden häufiger als Männer unter dem Gesichtsschmerz. Pro Jahr erkranken in Deutschland vier von 100.000 Menschen neu an einer Trigeminusneuralgie.

Mann erleidet eine für die Krankheit Trigeminusneuralgie typische Schmerzattacke.

© iStock / SIphotography

Eine Trigeminusneuralgie zeichnet sich durch extreme einseitige Gesichtsschmerzen aus.

Wie wird die Diagnose „Trigeminusneuralgie“ gestellt?

Aufgrund der charakteristischen Symptomatik ist eine Trigeminusneuralgie für einen Neurologen in der Regel nicht schwer zu diagnostizieren. In einem ausführlichen Gespräch erkundigt sich der Arzt unter anderem über den Verlauf, die Dauer und Ausprägung sowie über die Auslöser der Gesichtsschmerzen. Es folgt eine neurologische Untersuchung. Hier grenzt der Neurologe die Trigeminusneuralgie von Erkrankungen mit ähnlichen oder nahezu gleichen Symptomen ab, wie z. B. Clusterkopfschmerzen, Erkrankungen im Bereich des Kiefers und der Nebenhöhlen, anhaltendem idiopathischem Gesichtsschmerz oder auch einer postzosterischen Neuralgie.

In der Regel reicht das zur Befunderhebung aus, selten muss der Patient anschließend zu einem geeigneten Facharzt oder Zahnarzt überwiesen werden. An die Diagnose schließt sich meistens eine medikamentöse Therapie mit Carbamazepin an, die in 50 bis 75 Prozent der Fälle effektiv ist.

So läuft die Behandlung einer Trigeminusneuralgie ab

Bei einer Trigeminusneuralgie muss individuell geklärt werden, welche Behandlungsverfahren zum Einsatz kommen.

  • Behandlung mit Medikamenten

    Zunächst wird meist eine medikamentöse Therapie eingeleitet, die in vielen Fällen bereits ausreicht, um die Schmerzen zu beheben. Eingesetzt werden Antiepileptika (zum Beispiel Carbamazepin, Oxacarbazepin oder Gabapentin). Besonders Carbamazepin erweist sich in der Regel als äußerst wirksam. Die Wirkung beruht vermutlich auf der Hemmung der Reizweiterleitung. Es hat dämpfende und beruhigende sowie antidepressive und muskelentspannende Wirkungen.

    Allerdings besteht bei diesem Medikament ein erhöhtes Risiko, dass Nebenwirkungen, wie etwa Schwindel und Müdigkeit, auftreten. Häufig kommt es auch zu allergischen Reaktionen, Veränderungen des Blutbildes und der Leberfunktion, Verringerung der Blutsalze und zu Magen-Darm-Problemen. Die Schmerztherapie wird mit einer niedrigen Dosierung begonnen und solange erhöht, bis bei dem Betroffenen keine Schmerzen mehr auftreten.

    Die Nebenwirkungen können reduziert werden, indem das Medikament auf mehrere Dosen über den Tag verteilt eingenommen wird. Die unterschiedlichen Substanzen können eventuell auch kombiniert zum Einsatz kommen. Ist der Patient vier bis sechs Wochen schmerzfrei, wird die Dosis stufenweise reduziert.

    Wenn die Schmerzen mit der medikamentösen Therapie jedoch nicht abklingen oder die Nebenwirkungen es nicht erlauben, die Therapie weiterzuführen, stehen verschiedene weitere Behandlungsansätze zur Verfügung. Patienten werden dafür in die Neurochirurgie überwiesen.

  • Mikrovaskuläre Dekompression

    Um den Kontakt zwischen Gefäß und Trigeminusnerv zu unterbrechen, wird der Schädel geöffnet und ein Kunststoffstück, zum Beispiel Teflonflies, als Puffer eingelegt. Acht von zehn Patienten sind nach dem Verfahren schmerzfrei. Weitere zwei haben danach geringere Beschwerden als vorher. Nach zehn Jahren ist die Erfolgsquote nicht mehr ganz so hoch: Sieben von zehn Behandelten sind jedoch weiterhin schmerzfrei. Bis zu 30 Prozent leiden nach dem Eingriff unter verminderter Empfindlichkeit im Gesichtsbereich des Versorgungsgebietes des Trigeminusnerven. Studien zeigen ein Wiederauftreten der Schmerzattacken bei 10 bis 30 Prozent der Patienten. Selten kann es auch zu einem Hörverlust kommen.

    Diese Methode eignet sich für Menschen, die kein erhöhtes Operationsrisiko haben, denn die Operation erfolgt unter Vollnarkose. Der Vorteil des Verfahrens: Der Trigeminusnerv wird dabei geschont und seine Funktionsfähigkeit bleibt erhalten. Bei Misserfolg ist ein Zweiteingriff möglich.

  • Perkutane Operationsverfahren

    Beim sogenannten perkutanen Operationsverfahren wird der Nervus trigeminus im Bereich des Ganglion Gasseri (sensibler Nervenknoten im Bereich der Schädelgrube) entweder thermisch, chemisch oder mechanisch geschädigt. Der Zugangsweg erfolgt durch die Haut seitlich des Mundwinkels durch eine Schädelöffnung unter Durchleuchtung.

    Bei den thermischen und chemischen Varianten wird in 90 Prozent der Fälle Schmerzfreiheit erzielt. Auch nach zehn Jahren sind acht von zehn Patienten schmerzfrei, bei der mechanischen Variante sind es sechs bis sieben von zehn Patienten. Nebenwirkungen können eine verminderte Empfindlichkeit im Gesicht und unangenehme bis schmerzhafte Missempfindungen sein.

    Diese Methode eignet sich auch für ältere Menschen oder solche, die bei einer Operation erhöhte Risiken durch eine Vorerkrankung haben. Der Patient wird nur örtlich betäubt oder in eine Kurznarkose gelegt. Eine Vollnarkose ist nicht notwendig.

  • Radiochirurgische Behandlung

    Bei diesem Verfahren, auch Gamma-Knife-Behandlung genannt, wird der Trigeminusnerv am Abgang mit einer hohen Strahlendosis einmalig bestrahlt. Das soll zu einer Teilschädigung des Nervs führen. Anders als bei der Dekompression kommt es erst nach Tagen bis Wochen zu einer Besserung der Symptomatik. Ist anfangs die Neuralgie bei 70 bis 90 Prozent der Patienten gebessert, so ist das nach fünf Jahren nur noch etwa bei der Hälfte der Patienten der Fall.

    Eine weitere Bestrahlung mit einer niedrigeren Strahlendosis ist ebenfalls möglich, auch wenn dabei nur bei der Hälfte der Patienten ein Erfolg erzielt wird. Auch ist mit einer Zunahme der sensiblen Ausfälle als Nebenwirkung zu rechnen.  Bei 10 von 100 Patienten kommt es nach der Behandlung zu unangenehmen bis schmerzhaften Fehlempfindungen. Dieses Verfahren eignet sich bei alten oder gebrechlichen Patienten, denen eine Vollnarkose nicht zuzumuten ist.

Die Erfolgsraten der unterschiedlichen Behandlungsansätze sind in der Regel hoch, es gibt aber bisher keine Therapie für die Trigeminusneuralgie, die bei jedem Betroffenen Wirkung zeigt. Zudem besteht immer die Möglichkeit, dass die Schmerzen nach einer erfolgreichen Behandlung zurückkehren.


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