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Wenn Künstliche Intelligenz Leben rettet

Veröffentlicht am:21.12.2020

7 Minuten Lesedauer

Smart Hospital – das ist laut Forschern die Zukunft des Krankenhauses. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff und was bedeutet es, wenn Patienten künftig von künstlicher Intelligenz untersucht werden? Ein Gespräch mit den führenden Experten des Uniklinikums Essen.

Künstliche Intelligenz: Tablet zeigt medizinischen Content, wird in zwei Händen gehalten.

© iStock / alvarez

Prof. Dr. Jochen Werner ist Ärztlicher Direktor und Vorstandsvorsitzender der Universitätsmedizin Essen und engagiert sich für Digitalisierung.

Prof. Dr. Michael Forsting ist Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie am Uniklinikum Essen.

Unsere Welt befindet sich in einem steten Wandel: Wissenschaftler liefern immer neue Forschungsansätze, arbeiten an Innovationen und versuchen mithilfe von Künstlicher Intelligenz effizienter und schneller zu arbeiten. Und dieser Fortschritt ist nicht nur im Alltag, in den Medien oder der Forschung sichtbar, sondern auch in der Medizin. 2015 startete die Universitätsmedizin Essen die Initiative „Smart Hospital“. Mit dem Einsatz Künstlicher Intelligenz sollen Abläufe deutlich effizienter und vernetzter ablaufen. Im Fokus dabei immer: der Mensch. Dieses Zukunftsmodell ist keine Science-Fiction-Idee, sondern ein durchdachtes Konzept. Mit Blick auf den Pflegenotstand und den Ärztemangel kann gerade in diesem Bereich eine Entlastung der Ärzte und Pflegekräfte stattfinden. Durch die Vereinfachung von bürokratischen Prozessen bleibt mehr Zeit für den Patienten. 

„Mehr Menschlichkeit, mehr Empathie und moderne Arbeitsplätze.“

Smart Hospital
Die Zukunft der Krankenhäuser

Das bestätigt der ärztliche Direktor und Vorstandsvorsitzende der Universitätsmedizin Essen, Prof. Dr. Jochen A. Werner, und ergänzt: „Neben der Steigerung der Effektivität des Gesundheitssystems geht es vor allem um eines: Mehr Menschlichkeit, mehr Empathie sowie moderne Arbeitsplätze für unsere Beschäftigten.“ Indem ein reibungsloser Austausch mit allen Akteuren des Gesundheitssystems stattfindet, werden Therapien verbessert und die Diagnose-Qualität steigt. „Im Smart Hospital wandelt sich die Kernaufgabe der medizinischen Versorgung von einem ‚Reparaturbetrieb‘ hin zu einer lebenslangen, ganzheitlichen Betreuung der Menschen mit dem Ziel, Krankheiten erst gar nicht entstehen zu lassen oder zumindest so früh wie möglich zu behandeln.“ Der Mensch als Patient, als Angehöriger und insbesondere als Mitarbeiter steht im Zentrum aller Anstrengungen. 

Und das wiederum soll auch das Arzt-Patient-Verhältnis verbessern. Basis dieses Prozesses ist die elektronische Patientenakte, in der die Patientendaten digital vorliegen – sie sorgt für einen schnelleren Zugang zu den Daten und eine mögliche Diagnose auf Basis der verschiedenen Untersuchungen. Ein Beispiel, woran schnellere Diagnosemöglichkeiten erkennbar sind, ist das digitale Übertragungssystem zwischen der Klinik und dem regionalen Rettungsdienst: „Durch dieses System werden bereits prähospital alle wichtigen Informationen über einen Patienten in die Klinik übertragen, während er noch in seiner Wohnung oder im Krankenwagen ist“, betont Prof. Dr. Werner. 

Weitere Anwendungsbereiche sind digitale Service- und Informationscenter, die vollautomatische Medikamentenvorbereitung oder der Einsatz Künstlicher Intelligenz in der Radiologie. Eine Arbeitsgruppe in der radiologischen Diagnostik nutzt Daten, um mit maschineller Unterstützung Diagnosen bei bestimmten Lungenerkrankungen mit einer höheren Trefferquote zu stellen. Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle Radiologie und Neuroradiologie, Prof. Michael Forsting, erklärt dieses Modell:

Was bedeutet der Begriff Smart Hospital?

Ein Smart Hospital vereinfacht verschiedene Strukturen in der Medizin, ermöglicht eine bessere Diagnose und gleichzeitig eine intensivere Betreuung des Patienten.

Künstliche Intelligenz- Frau wird untersucht.

© iStock / andresr

Künstliche Intelligenz: Die Zukunft der Krankhäuser

Inwiefern?

Um ein Smart Hospital aufbauen zu können, müssen wir uns der Digitalisierung öffnen. Es geht hierbei darum, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Alle Prozesse im Krankenhaus sollen durch Künstliche Intelligenz so „smart“ gemacht werden, dass sie weder den Mitarbeiter noch den Patienten in irgendeiner Form behindern. Man könnte auch sagen, es ist das ideale Krankenhaus und der Weg dahin führt für uns über viel Digitalisierung. 

Wie äußert sich die denn konkret?

Nehmen wir einen Diabetiker. Früher musste er den Blutzucker regelmäßig messen lassen und Insulin gespritzt bekommen. Heute erfolgt dies digitalisiert: Der Patient hat in der Regel einen Sensor angebracht, der den Blutzucker regelmäßig misst. Eine Insulinpumpe spritzt dann die richtige Menge an Insulin. Genau das ist individualisierte oder personalisierte Medizin. 

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Und wie sieht es bei Ihnen im Klinikalltag aus?

In der Klinik haben wir sogenannte „Algorithmen“ trainiert, um bestimmte medizinische Tätigkeiten per Künstlicher Intelligenz (KI) durchführen zu können. Unter Algorithmen verstehen wir hier einen Rechenvorgang oder eine Struktur nach einem bestimmten und sich wiederholenden Schema. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?

Mit dieser Technik bestimmen wir hier am Uniklinikum Essen beispielsweise das Knochenalter. Das macht man in der Regel bei Kindern und meistens deshalb, um zu prüfen, ob sie kleinwüchsig sind oder sehr groß werden. In der Hand gibt es viele kleine Knochen – hier wird anhand von Röntgenbildern geschaut, ob die Knochenkerne in einem bestimmten Alterskorridor liegen. Dafür haben wir einen Computer-Algorithmus trainiert, der das automatisch erkennt. Er irrt sich nie. 

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Also wird die diagnostische Sicherheit erhöht?

Genau, und noch dazu arbeiten wir viel schneller und effizienter. Wenn wir genau diese Anwendungen haben wollen, geschieht das nur dort, wo es einen Bedarf gibt. Nämlich, wo menschliche Fehler passieren können. Das ist zum Beispiel auch bei Untersuchungen von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) der Fall.

Künstliche Intelligenz - Gespräch zwischen dem Arzt und Patienten

© iStock / Cecilie_Arcurs

Künstliche Intelligenz als Hilfe in der Medizin

Wie funktioniert hier die Behandlung mithilfe KI?

Patienten kriegen alle drei bis sechs Monate eine Kontroll-MRT-Untersuchung. Mit diesem bildgebenden Verfahren prüfen wir, ob sich neue Entzündungsherde im Gehirn entwickeln. Ist dies der Fall, muss die Therapie verändert werden. Um das zu entscheiden, zählt ein Radiologe die Zahl der weißen Flecken im Gehirn, die Entzündungsherde. Eine Aufgabe, bei der ein Radiologe schnell den Überblick verlieren kann. 

Gibt es weitere Schwierigkeiten?

Ja. Noch dazu sind wir so fokussiert auf die Herde, dass wir schneller andere Stellen, zum Beispiel ein Aneurysma, also eine krankhafte Erweiterung einer Arterie, übersehen. Das ist ein typischer Fehler in der Radiologe, der sogenannte „Satisfaction of Search“ – man ist glücklich, etwas gefunden zu haben, übersieht dabei aber andere Schwachstellen. Wenn aber Künstliche Intelligenz diese Herde zählt, hat der Radiologe Zeit, auf jene Punkte zu achten, auf die der Algorithmus noch gar nicht trainiert ist. So werden zahlreiche Fehler reduziert. 

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Spannend, aber für einen Laien manchmal schwer nachvollziehbar ...

Das stimmt. Es funktioniert so: Wenn wir dem Patienten ein Kontrastmittel geben, wollen wir die Blutgefäße ganz genau sehen können. Dem Algorithmus zeigen wir ein Bild mit Kontrastmittel und ein Bild ohne Kontrastmittel, und kennzeichnen das helle Gefäß als Entzündungsherd. Die Künstliche Intelligenz wird mit diesen beiden Bildern darauf trainiert, das erkrankte Gefäß auch zu erkennen, wenn gar kein Kontrastmittel gegeben wurde und das Bild unscharf ist. Ein Mensch könnte dies nicht erkennen, der Computer hingegen schon. 

Arbeitet KI dann anhand eines einzigen Beispiels?

Nein, auf gar keinen Fall. Dieses Prinzip wenden wir mit Millionen von Datensätzen an – sodass der Algortihmus sich alle möglichen Strukturen merkt. Es werden jetzt bereits Anwendungen erforscht, die beispielsweise das Mammografiescreening übernehmen. Also die Röntgenuntersuchung der weiblichen Brust zur Früherkennung von Brustkrebs. Und auch im Bereich des Lungen-Screenings wird es zukünftig solche Algorithmen geben. 

„Mithilfe Künstlicher Intelligenz können wir die passende Therapie schneller finden.“

Smart Hospital
Die Zukunft der Krankenhäuser

Inwiefern?

Machen wir ein Screening zur Früherkennung von Lungenkrebs, sprechen wir von 600 bis 800 Bildern pro Lunge, die der Radiologe auswerten muss. Das kann eine einzelne Person gar nicht zu hundert Prozent garantieren, die Datensätze schon.

Gibt es weitere Krankheitsbilder, bei denen diese Methode helfen kann?

Künstliche Intelligenz - Frau wird in das MRT geschoben.

© iStock / izusek

Ja, Sie können sich das im Grunde für jede Krankheit vorstellen. Es wird künftig auch wichtige Entwicklungen zur Analyse von Prostatakarzinomen geben. Es existieren bereits Arbeitsgruppen, die daran forschen, weil es ein extrem wichtiges Thema ist. Durch Künstliche Intelligenz können Radiologen dann besser einschätzen, ob das Karzinom nur beobachtet oder direkt operiert werden sollte.

Vor welche Probleme stellt Sie das Smart Hospital?

Das Konzept steckt voller Herausforderungen. Die erste und wichtigste Herausforderung ist aber die Komponente Mensch. Denn der Mensch mag Veränderungen nicht. Wir arbeiten am Uniklinikum Essen jetzt seit circa fünf Jahren daran, ein solches Smart Hospital zu etablieren. Anfangs war es schwierig, die Mitarbeiter von der Thematik zu überzeugen. Aber mittlerweile arbeiten wir erfolgreich mit der elektronischen Patientenakte und sind deswegen auch von dem Konzept überzeugt. 

„Mithilfe künstlicher Intelligenz werden alle Diagnosen eines Patienten gebündelt, sodass wir schneller die passende Therapie finden können. All das wird sich immer weiterentwickeln und effizienter werden. Dieses System ist eine große Chance.“

Smart Hospital
Die Zukunft der Krankenhäuser

Gibt es auch Kritik an dem Konzept?

Ja. Viele Skeptiker kritisieren das Risiko solcher digitalen Akten. Eines der Hauptargumente ist, dass wir uns dadurch für Hacker angreifbar machen würden. Natürlich besteht heutzutage immer ein gewisses Risiko. Aber sehen Sie es mal so: Früher konnten Sie eine Krankenakte viel leichter in einem Archiv klauen. Sich heute in ein System zu hacken, ist schwieriger. Denn unsere Daten sind extrem gut geschützt. Diese Sorge ist also eher unbegründet. 

Wie sieht das Krankenhaus der Zukunft aus?

Ich glaube, dass wir in Zukunft in großen Kliniken so etwas wie eine Superdiagnostik aufbauen. Dort bekommen wir aus allen möglichen Quellen diagnostische Informationen von einem Patienten. Mithilfe künstlicher Intelligenz werden alle Diagnosen eines Patienten gebündelt, sodass wir schneller die passende Therapie finden können. All das wird sich immer weiterentwickeln und effizienter werden. Dieses System ist eine große Chance. 

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