Beziehung
Ghosting: Wenn jemand aus meinem Leben verschwindet
Veröffentlicht am:12.08.2020
5 Minuten Lesedauer
Ghosting gehört zu den größten Dating-Phänomenen des 21. Jahrhunderts. Welche Psychologie dahintersteckt und wie man mit Ghosting umgehen sollte – hier alle Antworten.

© iStock / Mixmike
Das Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich seine Nachricht öffne. Ein freches Emoji zwinkert mir entgegen, und das kleine Herz, das vor seinem Mund schwebt, nimmt mich mit auf Wolke sieben. Dieses Mal fühlt es sich richtig an – denke ich mir und schenke meinem Date wochenlang all meine Aufmerksamkeit. Mit jeder Nachricht erscheint ein breites Grinsen auf meinem Gesicht. Aber was, wenn dieses Grinsen bald verschwindet? Das Herzklopfen wird aufhören, und ich werde mit einem Haufen unbeantworteter Fragen und einem Freund weniger zurückgelassen. Ich habe das Phänomen Ghosting erlebt. Solche Erfahrungen haben bereits 20 Prozent der Deutschen einmal machen mussten.
Ghosting: Das Dating-Massenphänomen
Ghosting gehört zu den größten Dating-Phänomenen des 21. Jahrhunderts. Jemanden ohne ein Wort aus seinem Leben zu streichen, keine Nachrichten mehr zu beantworten und sich stumm zu stellen, wird in unserer digitalen Gesellschaft inzwischen täglich praktiziert. Laut einer Umfrage von Statista (Stand 2018) haben 19,7 Prozent der befragten Deutschen schon einmal Ghosting erlebt – Frauen ebenso wie Männer. Laut einer weiteren Umfrage der Dating-Plattform ElitePartner haben ganze 36 Prozent der Frauen zwischen 29 und 36 Jahren schon einmal jemanden geghostet. 19 Prozent sind es bei den Männern. Doch woher kommt dieser Trend? Warum ghosten wir? Welches psychologische Phänomen steckt dahinter und welche Tipps können uns Experten geben?
Was ist Ghosting?
Das Wort „Ghosting“ stammt aus dem Englischen und kann ins Deutsche sinngemäß als wortloser Kontaktabbruch von Beziehungen und Freundschaften übersetzt werden. Wie ein Geist („Ghost“) verschwindet ein Mensch beim Ghosting aus dem Leben. Kein Abschiedsgruß, keine erklärenden Worte, lediglich Fragen bleiben zurück. Viele Dates, aber auch Beziehungen enden auf diese Weise. Nachrichten werden nicht mehr beantwortet, Anrufe blockiert und sämtliche Verbindungen gekappt. „Es wirkt so, als hätte man es mit einem Hologramm oder einem rahmenlosen Körper zu tun gehabt, einem Gespenst oder Geist“, beschreibt die Autorin Tina Soliman in ihrem Buch „Ghosting. Vom spurlosen Verschwinden des Menschen im digitalen Zeitalter“ den Zustand.
Seit 2015 ist der Begriff Ghosting ein feststehender Begriff. Die Autoren der „Collins“-Wörterbücher beschreiben das Phänomen als „das Beenden einer Beziehung durch den plötzlichen Kontaktabbruch“. Doch Ghosting gibt es nicht erst seit 2015. Auch die Generationen vor uns erlebten das wortlose Flüchten aus Beziehungen, sagt Diplom-Psychologin und Buchautorin Nele Sehrt: „Ghosting gab es auch schon vor der aktuellen Generation. Heute fällt es wahrscheinlich häufiger auf, da jeder gut zu erreichen ist und es bei rein digitalen Beziehungen sehr einfach ist. Man kann sehen, dass jemand online ist, sich aber nicht meldet. Das war zu den Zeiten, als man noch Briefe geschrieben oder auf einen Anruf gewartet hat, anders. Wir sind heutzutage, zumindest digital, mehr vernetzt.“
Ghosting: Wer macht das?
Das Ghosting ist nicht spezifisch einem Geschlecht oder einer Altersgruppe zuzuschreiben, es steht aber eng im Zusammenhang mit der Reife- und Kommunikationsfähigkeit von Menschen, schreibt „Ghosting“-Autorin Tina Soliman. Es stimmt also nicht, dass hauptsächlich Männer Ghosting betreiben. Es sind Frauen und Männer gleichermaßen, die auf diese Weise versuchen, sich schnell und schmerzlos aus Beziehungen zurückzuziehen. Die Diplom-Psychologin Nele Sehrt beschreibt eine mögliche Ursache für das psychologische Phänomen: „Menschen, die ghosten, haben oft Schwierigkeiten, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen und eigene Bedürfnisse mitzuteilen. Sie vermeiden Konfliktsituationen und Auseinandersetzungen. Möglicherweise hat man das schon während der Beziehung oder Freundschaft gemerkt.“ Zumeist handelt es sich bei den Ghostern also um Menschen, die sich in Beziehungen nicht sehr reif verhalten, Probleme damit haben, ihre Gefühle zu kommunizieren und sich vor Auseinandersetzungen drücken.
Wann passiert Ghosting?
Die Dating-Plattform ElitePartner fasst folgende weitere typische Beispiele für Ghosting-Situationen zusammen:
- Vor dem ersten Date: Er oder sie verliert bereits vor dem ersten Treffen das Interesse und meldet sich nie wieder.
- Nach dem ersten Date: Das erste Date lief grauenvoll? Dann kann es passieren, dass er und sie sich einfach nicht mehr meldet.
- Nach dem Sex: Es hat nicht gefunkt und soll beim One-Night-Stand bleiben? Nach dem ersten Sex kommt es sehr häufig zum Ghosting.
- In einer Beziehung: Der letzte Streit ist eskaliert? Es kann sein, dass sich einer der Partner nun zurückzieht und sich nie wieder meldet.
„Angst vor Nähe, vor potenzieller Abwertung und Widerspruch, der als Bedrohung empfunden wird, Angst vor der falschen Entscheidung oder vor dem Verlust der Eigenständigkeit, enthält im Kern fast jede Geschichte, die mir erzählt wurde.“
Tina Soliman
Autorin
Welche Gründe gibt es für Ghosting?
Die Autorin Tina Soliman hat mit vielen Betroffenen gesprochen und fasst ihre Erkenntnisse wie folgt zusammen: „Angst vor Nähe, vor potenzieller Abwertung und Widerspruch, der als Bedrohung empfunden wird, Angst vor der falschen Entscheidung oder vor dem Verlust der Eigenständigkeit, enthält im Kern fast jede Geschichte, die mir erzählt wurde.“ Und weiter: „Fast alle berichten von der Angst, sich festzulegen, sich falsch zu entscheiden.“ Die Gründe fürs Ghosting gehen also tief in die Beziehungspsychologie. Ängste, Unsicherheit und fehlendes Vertrauen liegen hier meist zugrunde.
Wie kann man Ghosting verarbeiten?
Ghosting – wie sollte man damit umgehen? Betroffene sind manchmal sehr gekränkt. Sie werden mit vielen offenen Fragen zurückgelassen, auf die sie vermutlich niemals eine Antwort bekommen werden. Ziemlich schwer kann es da fallen, einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Die Diplom-Psychologin Nele Sehrt rät Betroffenen Folgendes: „Ich kann Kontakt aufnehmen und äußern, dass ich Interesse habe, das zu klären. Es kann ja auch sein, dass der andere sich verletzt fühlt und ich etwas übersehe. Wenn dieser Versuch auch nicht erwidert wird, ist Loslassen oft die bessere Option. Die Hintergründe verstehen wird man nicht – egal, wie lange man darüber nachdenkt.“ Auch die Einsicht spielt hier eine große Rolle: „Wenn der Gegenüber konfliktscheu ist und Konfrontationen aus dem Weg geht, dann kann man sich fragen: Möchte ich einen Menschen mit diesen Eigenschaften als Partner oder Freund haben? Oder ist es mir wichtiger, dass ich mich darauf verlassen kann, dass mein Gegenüber Probleme anspricht? Dann kann ich ihn leichter auch selbst verabschieden.“ Die Dating-Experten von ElitePartner beschreiben die folgenden vier Strategien, um Ghosting zu verarbeiten:
- Nicht zu emotional werden und keine Vorwürfe machen. Bei frischen Beziehungen gibt es keinerlei Verpflichtungen und Versprechen.
- Nach Vorteilen der vorzeitigen Trennung suchen, anstatt traurig zu sein. Hier hat offensichtlich etwas nicht gepasst.
- Nicht bei sich selbst die Schuld suchen. Der Täter ist vielleicht nicht reif und erwachsen genug, um die Situation besser zu bewältigen.
- Die Beziehung auch für sich beenden. Einen Schlussstrich ziehen und nach jemandem suchen, der besser zu den eigenen Wünschen und Vorstellungen passt.