Schlaf
Warum Schlaflieder wirken: Erkenntnisse aus der Wissenschaft
Veröffentlicht am:31.07.2025
5 Minuten Lesedauer
Sanfte Melodien, gesungen von vertrauten Stimmen – Schlaflieder begleiten uns von klein an. Doch was macht diese Lieder so besonders? Warum entspannen Babys weltweit bei diesen Klängen? Und welche Effekte haben Schlaflieder darüber hinaus?

© iStock / Halfpoint
Sanfte Klänge, tiefe Wirkung: die Kraft der Schlaflieder
Musik ist eine universelle Sprache, die uns auf einer tiefen, oft unbewussten Ebene berüht. Als Werkzeug kann sie ein breites Spektrum an Emotionen hervorrufen: Von zu Tränen rührenden Balladen über mitreißende Hymnen, die zu Höchstleistungen anspornen, bis hin zu subtilen Klängen, die in Filmen für Spannung sorgen. Doch Musik kann auch eine beruhigende Wirkung entfalten.
Gerade wenn es darum geht, Kinder in den Schlaf zu wiegen, greifen Eltern gerne auf die sanfte Kraft von Schlafmusik zurück: Klassiker wie „La Le Lu“, „Schlaf Kindlein schlaf“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ werden von Generation zu Generation weitergegeben und haben auch heute noch eine erstaunliche Wirkung auf Babys und Kleinkinder. Doch was genau macht Schlaflieder so effektiv? Welche Mechanismen liegen ihnen zu Grunde? Und welche positiven Auswirkungen können diese sanften Klänge auf die Entwicklung von Babys in ihren ersten Lebensmonaten haben?
Passende Artikel zum Thema
Babys reagieren von Geburt an auf Schlaflieder
Überall auf der Welt singen Eltern ihren Kindern beruhigende Musik zum Einschlafen vor. Schlaflieder sind eine Tradition, die in allen Kulturen vorkommt. Tatsächlich identifizieren Erwachsene Schlaflieder intuitiv, selbst wenn sie diese nicht kennen. Doch nicht nur Erwachsene scheinen eine angeborene Fähigkeit zu haben, Schlaflieder zu erkennen.
In einer Studie wurde die Wirkung von Schlafliedern auf 144 Babys im Alter von zwei bis 14 Monaten untersucht. Die Forscherinnen und Forscher nutzten Schlaflieder aus verschiedenen Kulturen, gesungen in Fremdsprachen wie Hopi oder Schottisch-Gälisch. Als Vergleich dienten andere fremdsprachige Lieder, beispielsweise Tanz- oder Liebeslieder. Das erstaunliche Ergebnis: Unabhängig von der Sprache oder Kultur hatten die Schlaflieder eine beruhigende Wirkung auf die Babys. Sie zeigten während des Hörens deutliche Anzeichen von Entspannung: Ihr Herzschlag nahm ab, die Pupillen verengten sich und die Erregung, gemessen an der elektrodermalen Aktivität, sank.
Sogar Frühgeborene, die zwischen der 29. und 35. Schwangerschaftswoche auf die Welt gekommen sind, profitierten von den Schlafliedern: Eine Studie aus dem Jahr 2022 verglich die Wirkung von Schlafliedern gesungen von der eigenen Mutter und klassischer Mozart-Musik auf Frühchen. Sowohl die mütterlichen Schlaflieder als auch die Mozart-Musik verbesserten Herzfrequenz, Blutdruck und Atemfrequenz. Bei den Schlafliedern der Mutter waren die Effekte aber noch deutlicher. Zudem nahm in dieser Gruppe das Trinkvolumen stärker zu als bei Mozart. Die Forscherinnen und Forscher führen das darauf zurück, dass den Babys Stimme und Lieder der Mutter bereits aus der pränatalen Zeit vertraut sind.
Die universelle Sprache der Schlaflieder
Babys scheinen von Geburt an auf bestimmte musikalische Elemente von Schlafliedern zu reagieren – unabhängig von ihrer kulturellen Prägung oder bisherigen Hörerfahrung. Tatsächlich weisen Schlaflieder weltweit ähnliche Merkmale auf:
- Langsames Tempo und sanfte Rhythmen: Schlaflieder sind typischerweise gemähchlich und haben eine weniger akzentuierte rhythmische Struktur.
- Einfache, repetitive Melodien: Die Melodien von Schlafliedern sind meist eingängig und einfach strukturiert mit wenigen Tonhöhensprüngen. Oft bestehen sie aus sich wiederholenden musikalischen Phrasen, die leicht zu verarbeiten sind.
- Weiche Klangfarbe: Schlaflieder zeichnen sich durch weiche, sanfte Klänge aus, die oft von einer einzelnen Stimme vorgetragen werden.
- Einfache Texte und Themen: Die Texte von Schlafliedern sind meist einfach und repetitiv. Häufige Themen sind die Geborgenheit in der Natur, das Behütet-Sein durch die Eltern oder das Eintauchen in eine friedliche Traumwelt.
Schlaflieder scheinen an die angeborenen Präferenzen von Babys angepasst zu sein und ihnen eine vertraute musikalische „Heimat“ zu bieten, egal wo auf der Welt sie aufwachsen.

© iStock / stock_colors
Schlaflieder für Kinder: Förderung von Bindung und Sprachentwicklung
Unabhängig davon, ob angeboren oder erlernt, ist eines klar: Schlaflieder haben viele positive Effekte, die weit darüber hinausgehen, nur Einschlafhilfen zu sein. Zum einen fördern Schlaflieder die Bindung zwischen Eltern und Kind. Das kann zum Beispiel besonders wertvoll sein, wenn die Bindung durch eine Frühgeburt beeinträchtigt wurde. Singen kann dann helfen, die Beziehung auch außerhalb des Mutterleibs zu festigen. Zum anderen unterstützen Schlaflieder die Entwicklung des Babys. Durch die Wiederholungen, Reime und vereinfachte Sprache lernt das Kind spielerisch die Muttersprache kennen. Studien zeigen, dass Kinder, denen regelmäßig vorgesungen wurde, oft einen größeren Wortschatz und bessere Sprachfähigkeiten entwickeln.
Nicht zuletzt tut das Singen der Schlaflieder auch den Eltern gut. Es baut Stress ab, lindert Ängste und sorgt für gemeinsame Glücksmomente. Gerade in belastenden Situationen kann es Kraft und Zuversicht schenken, wie das „Lullaby Project“ der Carnegie Hall in New York eindrucksvoll zeigt: Hier schreiben Eltern in Krisen, etwa in Krankenhäusern oder Gefängnissen, persönliche Schlaflieder für ihre Babys – und erleben dadurch Stärkung und Verbundenheit.
Ob gesungen oder vorgespielt, egal in welcher Sprache oder Kultur: Die Kraft der Schlaflieder scheint universell, wenn es darum geht, Babys zu entspannen und gesund ins Leben zu begleiten. Aber auch Eltern können das Ritual nutzen, um Momente der Nähe und Entspannung zu schaffen.
Wie Schlaflieder Familien stärken: das Lullaby-Projekt der Carnegie Hall
Im Rahmen des Lullaby-Projekts der Carnegie Hall in New York City schreiben Eltern gemeinsam mit professionellen Musikerinnen und Musikern persönliche Schlaflieder für ihre Babys. Ziel ist es, die Bindung zwischen Eltern und Kind stärken, die Gesundheit der Mütter zu fördern und Familien kreative Selbstwirksamkeit zu ermöglichen. Seit 2011 sind im Lullaby-Projekt über 5.000 Wiegenlieder in mehr als 40 Sprachen entstanden – auch in Krankenhäusern, Flüchtlingslagern und Gefängnissen.
Musik zum Einschlafen: mehr als nur Kinderlieder?
Babys profitieren von der beruhigenden Wirkung der Schlaflieder, wie sieht es mit Erwachsenen aus? Auch ihnen können entspannende Klänge beim Einschlafen helfen. Insbesondere für Menschen mit Schlafstörungen kann beruhigende Musik eine sinnvolle Ergänzung bei der Behandlung sein. Eine Studie zeigte, dass das tägliche Hören von beruhigender Musik über mehrere Wochen hinweg die Schlafqualität verbesserte. Selbst wenn die Lieder nicht explizit als Schlaflieder konzipiert sind, bleibt das Prinzip dasselbe: Beruhigende Musik fördert den Schlaf, indem sie Herzfrequenz und Atmung verlangsamen sowie den Blutdruck senken kann.
Aber welche Entspannungsmusik ist die beste? Ähnlich wie bei Schlafliedern für Kinder sind bestimmte musikalische Merkmale auch bei Erwachsenen besonders förderlich für den Schlaf: Sanfte Rhythmen und ein langsames Tempo von 60 bis 80 Beats pro Minute (bpm), das dem durchschnittlichen Ruhepuls ähnelt und oft als besonders beruhigend empfunden wird. Instrumentale Stücke mit wenig akzentuierter rhythmischer Struktur scheinen zudem besser zu wirken. Viele Menschen bevorzugen zum Einschlafen außerdem vertraute Melodien, die positive Assoziationen wecken. Zu Schlaflied-Klassikern wie „Guten Abend, gute Nacht“ oder „Der Mond ist aufgegangen“ ist es von da nicht mehr allzu weit.
Passende Angebote der AOK
App „AOK Schwanger“
Die App „AOK Schwanger – Gesund leben“ begleitet kompetent durch die Schwangerschaft und bietet Antworten auf die dringendsten Fragen von werdenden Müttern.
Die Inhalte unseres Magazins werden von Fachexpertinnen und Fachexperten überprüft und sind auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft.