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Gehörlos: So gelingt die gesellschaftliche Teilhabe

Veröffentlicht am:20.11.2023

6 Minuten Lesedauer

In Deutschland sind mehrere zehntausend Menschen gehörlos. Wie Gehörlosigkeit definiert wird, wie der Spracherwerb bei gehörlosen Kindern funktioniert und was das Besondere an der Gebärdensprache ist.

Mutter und Tochter sind auf einem Spielplatz und sitzen in einem kleinen Karussell, sie unterhalten sich in Gebärdensprache miteinander.

© iStock / Andrii Zastrozhnov

Was ist Gehörlosigkeit und warum ist der Begriff „taubstumm“ veraltet?

Bei einer Gehörlosigkeit können Menschen kaum oder nicht mehr hören. Wann eine Person per Definition gehörlos ist, zeigt der Grad des Hörverlustes. Gehörlose selbst definieren die Gehörlosigkeit nicht über das fehlende Hörvermögen, sondern über die Sprache und die Kultur. Für sie ist ein Mensch gehörlos, wenn dieser für die Kommunikation die Gebärdensprache bevorzugt. Heute spricht man von Gehörlosigkeit, früher auch Taubheit (Surditas) genannt. Da das Erlernen von Sprache nicht möglich ist, wenn das Hörvermögen fehlt, galten Gehörlose über Jahrhunderte hinweg als taubstumm. Dank pädagogischer Hilfestellungen wie einer gezielten Sprecherziehung können Betroffene aber gut kommunizieren. Sie sind nicht stumm. Gehörlose tauschen sich mit anderen Menschen durch Laute, schriftlich und vor allem über die sogenannte Gebärdensprache aus. Der Begriff „taubstumm“ gilt daher als ausgrenzend und veraltet.

So grenzt sich eine Schwerhörigkeit von einer Gehörlosigkeit ab

  • Schwerhörige Menschen sind nicht gehörlos, sondern verfügen über ein gewisses Hörvermögen. Allerdings ist bei ihnen das Gehör eingeschränkt – von leicht bis schwer. Mediziner und Medizinerinnen orientieren sich an festen Werten, um eine Schwerhörigkeit von einer Gehörlosigkeit abzugrenzen. Leichte Schwerhörigkeit (Lautstärke 26 bis 40 Dezibel): Personen nehmen leise Geräusche nicht mehr wahr. Flüstert ihnen ein Mensch etwas zu, ist das für sie kaum verständlich.
  • Mittlere Schwerhörigkeit (Lautstärke 41-60 Dezibel): Gespräche in „normaler“ Lautstärke sind für Menschen mit einer mittleren Schwerhörigkeit kaum verständlich – ihnen fällt es schwer, zu folgen.
  • Starke Schwerhörigkeit (Lautstärke 61-80 Dezibel): Selbst laute Geräusche und eine Kommunikation mittels lauter Stimmen sind für die Personen nicht mehr hörbar.
  • Sehr starke Schwerhörigkeit (Lautstärke ab 81 Dezibel): Sehr laute Geräusche, beispielsweise ausgelöst durch einen vorbeifahrenden Lastwagen, nehmen die Menschen nur noch als Vibration wahr.

So häufig kommt Gehörlosigkeit vor

In Deutschland gelten etwa 80.000 Menschen als gehörlos. Menschen mit Hörproblemen können einen Schwerbehindertenausweis erhalten. Laut Statistischem Bundesamt erfüllten zum Stichtag 31. Dezember 2021 hierzulande 50.160 schwerbehinderte Menschen die Kriterien für eine Gehörlosigkeit. Die überwiegende Anzahl, 29.670 Betroffene, war im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. Höher ist die Zahl der Menschen, die grundsätzlich Probleme mit dem Hören haben. Fachleute gehen davon aus, dass bis zu einem Viertel der Erwachsenen hörbeeinträchtigt sind, ältere Menschen häufiger.

Was deutet auf eine Gehörlosigkeit bei Kindern und Erwachsenen hin?

Eine Gehörlosigkeit kann ab der Geburt bestehen oder sich im Laufe des Lebens entwickeln. Bereits bei der Vorsorgeuntersuchung U2, die zwischen dem dritten und zehnten Lebenstag stattfindet, untersucht der Kinderarzt oder die Kinderärztin die Ohren mit Blick auf Fehlbildungen und angeborene Hörstörungen. Die Überprüfung des Gehörs ist in allen Vorsorgeuntersuchungen des Kindesalters vorgesehen. Auch die Eltern können testen, ob das Neugeborene auf Geräusche reagiert, etwa auf zugeflüsterte liebevolle Worte oder einen versehentlich heruntergefallenen Gegenstand. Ein anderer Hinweis auf eine Gehörlosigkeit ist, dass betroffene Kinder im Vergleich zu Gleichaltrigen erst spät damit beginnen, Laute zu bilden – eine natürliche Sprachentwicklung ist nicht möglich. Sie sind zwar körperlich dazu in der Lage, Laute zu bilden, können sie wegen ihres fehlenden Hörvermögens aber nicht kontrollieren. Haben Menschen ihr Gehör erst nach dem Erlernen der Sprache verloren, spricht man von einer postlingualen Gehörlosigkeit.

Eine Mutter hat ihren kleinen Sohn auf dem Schoß und legt ihm ein Hörgerät an.

© iStock / Kemal Yildirim

Wird eine Hörbeeinträchtigung frühzeitig erkannt, können Hörgeräte bei der Sprachentwicklung helfen.

Was sind Ursachen und Risikofaktoren für Gehörlosigkeit?

Eine Gehörlosigkeit oder Schwerhörigkeit kann unterschiedliche Ursachen haben. Bei der sogenannten Schallleitungsstörung erreichen die Schallwellen das Innenohr kaum oder nicht mehr. Liegt hingegen eine Schallempfindungsstörung vor, werden die Schallsignale im Ohr verändert oder gar nicht wahrgenommen.

  • Ursachen für eine angeborene Gehörlosigkeit: Schätzungen zufolge sind eines bis drei von 1000 Babys ab der Geburt schwerhörig oder gehörlos. Eine Rolle können genetische Ursachen spielen. Außerdem kann das Gehör im Mutterleib Schaden erleiden – etwa durch Viruserkrankungen der Schwangeren wie Röteln, die Einnahme bestimmter Arzneimittel wie Antibiotika oder der Konsum von Alkohol oder Drogen in der Schwangerschaft. Nicht zuletzt erhöht ein Sauerstoffmangel während der Geburt das Risiko für eine Gehörlosigkeit.
  • Ursachen für eine erworbene Gehörlosigkeit: Spätere Hörverluste im Kindes- und Erwachsenenalter entstehen vor allem im Rahmen von Infektionskrankheiten durch Viren und Bakterien. Selten werden Personen auch durch Schädelverletzungen, beispielsweise aufgrund eines Unfalls, gehörlos.

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Wie lässt sich Gehörlosigkeit vorbeugen und früh erkennen?

Lärm ist ein wesentlicher Risikofaktor bei der Entwicklung einer Schwerhörigkeit. Wer beispielsweise ständig laute Musik über Kopfhörer hört, gefährdet damit seine Hörfähigkeit. Die beste Maßnahme zur Vorbeugung besteht darin, das Gehör vor lauten, permanenten Geräuschquellen zu schützen. Das gilt sowohl in der Freizeit als auch bei der Arbeit. Menschen, die in lauten Umgebungen arbeiten, können das Gehör beispielsweise mit einem angepassten Gehörschutz vor einer ausgeprägten Geräuschkulisse bewahren. Der Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin stellt oberhalb eines Lärmpegels von 80 dB(A), bezogen auf acht Stunden, einen Gehörschutz zur Verfügung – das ist gesetzlich vorgeschrieben. Es gibt zahlreiche weitere Maßnahmen, um einer Gehörlosigkeit vorzubeugen. Dazu gehört beispielsweise der Verzicht auf Drogen und übermäßigen Alkohol. Die Einnahme von Medikamenten stimmen Patienten und Patientinnen am besten eng mit dem behandelnden Arzt oder der behandelnden Ärztin ab. Frauen mit einem Kinderwunsch können sich aktiv über ihren Rötelnlimpfstatus informieren und gegebenenfalls impfen lassen. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen für Babys und Kinder, die U-Untersuchungen, helfen dabei, eine Gehörlosigkeit frühzeitig zu erkennen.

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Kann man Gehörlosigkeit behandeln?

Ist noch ein restliches Hörvermögen vorhanden kann ein Hörgerät helfen, den Hörverlust auszugleichen. Hörgeräte sind so konzipiert, dass sie über ein Mikrofon Schallwellen aufnehmen und verstärken können. Anschließend leiten sie die Schallwellen ins Innenohr. Menschen mit einem Hörgerät können andere Personen wieder besser verstehen. Bei Gehörlosigkeit kommen sogenannte Cochlea-Implantate zum Einsatz. Ein Cochlea-Implantat (CI) ist eine Implantat-Prothese für das Innenohr. Sie wandelt Schallwellen in elektrische Impulse um, die den Hörnerv in der Cochlea (Hörschnecke) stimulieren. Das Cochlea-Implantat setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, darunter ein Mikrofon, ein Sprachprozessor, eine Sendespule mit Magnet und das eigentliche Implantat.

Kommunikation mit Gebärdensprache

Gehörlos sein bedeutet nicht, nicht kommunizieren zu können. Gehörlose können von den Lippen ablesen und auf eine spezielle Sprache zurückgreifen: die Gebärdensprache. Gehörlose Kinder und Erwachsene verständigen sich mit der visuellen Sprache, die eine eigene Grammatik beinhaltet. Das Besondere: die Gebärdensprache kombiniert Gebärden, Mimik und Gestik miteinander – sie nutzt die volle Kraft der Körpersprache. Die Gebärdensprache eignet sich nicht nur für Gehörlose. Viele Menschen erlernen sie in Volkshochschulen oder Gebärdensprachschulen mit Begeisterung, um zwanglos und barrierefrei miteinander zu kommunizieren. Auch wenn es sich bei der Gebärdensprache um eine mit dem § 6 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) gesetzlich anerkannte Sprache handelt, ist sie nicht international. Gehörlose Menschen unterhalten sich mit der Gebärdensprache von Land zu Land unterschiedlich, in Deutschland nutzen sie die Deutsche Gebärdensprache (DGS).

So funktioniert der Spracherwerb bei gehörlosen Kindern

Die Gebärdensprache liefert eine Basis für die Kommunikation. Kinder erwerben die Gebärdensprache automatisch in der Familie, wenn ein oder beide Elternteile die Gebärdensprache beherrschen. Hörende Eltern erlernen gemeinsam mit ihrem Kind die Sprache – das funktioniert etwa in Eltern-Kind-Kursen oder in speziellen Hausgebärdensprachkursen. Kinder, die sich vor oder im Alter der Sprachentwicklung befinden, und ein Cochlea-Implantat (CI) erhalten, können die Lautsprache in einem über Jahre angelegten Training erlernen. Es ist wichtig, dass die Kinder so früh wie möglich versorgt werden, um Störungen der Sprachentwicklung vorzubeugen. Dazu gehört auch, die Geräusche voneinander zu unterscheiden und Laute richtig zu bilden. Auf dem Weg dorthin begleiten unter anderem Mediziner und Medizinerinnen sowie Logopäden und Logopädinnen die Kinder und Eltern.

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