Sportverletzung
Handball Nationalspieler Philipp Weber: „Ich bin bereit alles zu geben “
Veröffentlicht am:21.04.2022
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Beinahe hätte eine schwere Schulterverletzung meine Karriere frühzeitig beendet. Doch nach zwei Operationen kämpfte ich mich durch die neunmonatige Reha. Was ich in der schwierigen Zeit gelernt habe, erzähle ich euch hier.
Philipp Weber: „Meine Zukunft? Ungewiss!“
Mit der A-Jugend des SC Magdeburg stehe ich im Viertelfinale um die Deutsche Meisterschaft. Ich steige zum Sprungwurf hoch, will gerade abziehen, da greift mir ein Gegner voll in den Wurfarm. Mich durchzuckt ein stechender Schmerz, mir wird kurz schwarz vor Augen. Ich krümme mich am Boden, kann unmöglich weiterspielen.
Die Diagnose im Krankenhaus: Ich habe eine Labrumläsion. Labrum was? Ärzte erklären mir, dass unser Schultergelenk durch ein Band, eine sogenannte „Gelenklippe“, stabilisiert wird. Anders gesagt: Wenn dieses Labrum reißt, hat man keine Kontrolle mehr über die Bewegungen in der Gelenkpfanne. Angeblich kann ich aber nach einer Operation und diszipliniertem Reha-Training in gut einem halben Jahr wieder Handball spielen.
Wie bitte? Ich habe gerade meinen ersten Profivertrag unterschrieben. Ein halbes Jahr ist da eine Ewigkeit. Ich kann es nicht fassen, aber es hilft ja nichts: Vor mir liegt ein behutsames Aufbautraining unter Anleitung von Physiotherapeuten. An Bälle brauche ich vorerst keine Gedanken zu verschwenden. Mein schöner Vertrag mit Empor Rostock wird wieder aufgelöst. Meine sportliche Zukunft? Ungewiss!
Der lange Weg zurück in die Bundesliga
Nach der OP geht es jedenfalls rasch mit der passiven Behandlung durch einen Physio los. Langsam, sehr langsam kehrt die Beweglichkeit ohne Schmerzen zurück. Dann geht es gut voran. Ich darf mit Gummibändern und Kabelzügen Step by Step die Belastung steigern. Jede Woche bekomme ich spezifische Übungen, um auch kleinste Muskelgruppen wieder zu aktivieren. Es geht besser und besser und die Ärzte müssen mich bremsen. An mir nagt die Ungeduld. Ich bin 18 und will zurück auf die Platte. Als ich nach sechs Monaten endlich wieder einen Handball werfen darf, spüre ich bei aller Freude, dass ich noch nicht soweit bin.
Am 8. Februar 2012 gebe ich schließlich mein ersehntes Bundesligadebüt im Trikot des SC Magdeburg. Rund ein Jahr später folgt der Super-GAU. Die exakt gleiche Verletzung bricht noch einmal aus. Ich bin völlig niedergeschlagen, wieder muss ich unters Messer. Tiefe Zweifel plagen mich. Macht das alles überhaupt noch Sinn? Ich durchlebe eine Zeit, die ich meinem ärgsten Feind nicht wünsche. Die Ärzte sagen mir: „Philipp, du musst jetzt stark sein und dir viel Zeit lassen. Wir kriegen dich hin. Aber eines müssen wir dir ehrlich sagen: Es gibt fast keinen Handballer, der nach einer dritten OP noch vernünftig aufs Tor werfen konnte.“ Oh Gott! Ich will mir das gar nicht ausmalen …
„Das Bewusstsein für die Gesundheit meines Körpers wurde auf die harte Tour extrem geschärft.“
Philipp Weber
Handball Nationalspieler
Vor mir liegen also neun Monate Reha. Ich mache tagein und tagaus die gleichen Übungen. Ich drehe mich im Hamsterrad und jede noch so kleine Abwechslung ist willkommen. In diesem Sinne lasse ich mich auch von Klaus Eder, dem Physiotherapeuten der Fußball-Nationalmannschaft, behandeln. Zeitgleich sind unter anderem Kevin-Prince Boateng und Eric Maxim Choupo-Moting in seiner Klinik in Donaustauf. Die Fußballprofis haben schon einiges hinter sich und sie sprechen mir Mut zu. ‚Bleib dran‘, sagen sie. ‚Dein Comeback wird dich stolz machen.‘ Diese Unterstützung von außen hilft mir enorm. Daher zögere ich auch keine Sekunde, als mir Marco Kleinsteuber, der Leichtathletik-Trainer des SC Magdeburg, anbietet, mit ihm und einigen Top-Athleten nach Südafrika zu fliegen. Drei Wochen gebe ich alles, denn der Kontakt zu den Einzelsportlern, ihre Einstellung, motiviert mich ungemein. Rückblickend muss ich sagen, dass ich in den beiden Reha-Phasen viel über das Leben gelernt habe. Ich empfehle jedem in einer ähnlichen Situation, den Austausch mit Gleichgesinnten und Experten zu suchen.
Pausen sind das A und O jeden Sportlers
Erst kürzlich habe ich wieder gemerkt, wie wichtig Pausen in meinem Job sind. Ich habe auf ein Trainingslager der Nationalmannschaft verzichtet, weil ich seit der Europameisterschaft im Januar unter Entzündungen in der rechten Schulter leide. Diese Entzündungen sind leider chronisch geworden und in der heißen Phase der Meisterschaft will ich deshalb nicht ausfallen. Seit einigen Wochen ziehe ich deswegen auch eine ziemlich krasse Maßnahme durch: Um die Entzündungsherde einzudämmen und die Regeneration voranzutreiben, gehe ich in eine Kältekammer. Ich ziehe eine Kompressionshose und ein Kompressionsshirt an, dazu Stirnband, Gesichtsmaske und Handschuhe. Anschließend geht es für drei Minuten in den auf Minus 90 Grad gekühlten Eisschrank. Ich muss sagen: Es ist arschkalt, aber es hilft.
„Um die Regeneration voranzutreiben, gehe ich in eine Kältekammer – es ist arschkalt, aber es hilft.“
Philipp Weber
Handball Nationalspieler
Apropos: Es gibt noch eine ganz andere ziemlich ungewöhnliche Maßnahme, die mir guttut. Seit rund einem halben Jahr mache ich neuroathletisches Training. Mit bestimmten Gleichgewichts-, Konzentrations- und Atemübungen versuche ich spezielle Hirnareale zu aktivieren und sie auf die anstehende Belastung vorzubereiten. Je besser die Kommunikation zwischen Umwelt, Gehirn und Körper funktioniert, desto größer ist meine Leistungsfähigkeit. Klar – früher dachte ich, das sei alles Hokuspokus und bringe nichts. Aber Stopp! Ich wurde auch hier eines Besseren belehrt. Letztlich ist es doch so: Egal, was man tut, alle Sinne senden ständig Informationen an unser Gehirn. Und je besser diese Informationen sind und je besser sie verarbeitet werden können, desto besser können wir unseren Körper kontrollieren.
Vom Motorcross zum Handball
Zuletzt möchte ich noch kurz erzählen, wie ich überhaupt zum Handball komme. Immer wieder werde ich nach meinen Anfängen gefragt und über die ehrliche Antwort wundern sich dann alle: Ich fand Handball am Anfang nämlich total langweilig.
Mit sieben gehe ich in meinem Dorf Glinde zum ersten Mal zum Training. Aber mit jeder Menge anderer Kinder in einer kleinen, alten Backsteinhalle herumzutoben – das ist zunächst nix für mich. Meinen Kick hole ich mir damals ganz woanders.
Ich fahre Motocross. Kein Witz. Ich lerne schon mit vier Jahren Motorrad zu fahren. Dazu muss man wissen, dass mein Bruder vier Jahre älter ist als ich und ich ihm alles nachmachen möchte. Jeder kennt die Geschichte der Schumacher-Brüder, die auf der Kartbahn in Kerpen aufgewachsen sind, bevor sie die Formel 1 eroberten. Bei uns ist es ähnlich: Am Wochenende fährt die ganze Familie samt Wohnwagen zum Motocross-Platz oder einem Rennen. Mit sechs Jahren werde ich sogar Deutscher Vizemeister und manchmal beschleicht mich ein Gedanke: Wie hätte sich wohl meine Motocross-Karriere entwickelt? Der Einzige, der damals in Deutschland besser ist als ich, ist längst ein großzügig gesponserter und in der Szene gefeierter Weltmeister. Sei’s drum – meine Körpergröße wäre sicher früher oder später ein Problem geworden.
Beim Handball-Verein SG Eintracht Glinde schwärmt meine erste Trainerin gegenüber meiner Mutter jedenfalls in den höchsten Tönen von meinem offensichtlichen Talent. Bedeutet: Sie setzt mich immer wieder vor der Halle zum Training ab. Und nach der fünften oder sechsten Einheit macht mir Handball plötzlich doch noch richtig Spaß. Dass ich dabei bleibe, ist die absolut richtige Entscheidung. Kinder, die in eine Disziplin hinein schnuppern, sollten nicht nach zwei, drei Stunden gleich wieder aufgeben. Eine Kleinigkeit kann motivieren und Leidenschaft erzeugen. Jetzt kann ich mit Magdeburg Pokalsieger werden und der Verein kann nach 21 Jahren erneut die Meisterschaft gewinnen. Ich bin bereit, alles für dieses Ziel zu geben. Aber nicht um jeden Preis. Denn die Gesundheit ist das höchste Gut.