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Was ist ein absolutes Gehör?

Veröffentlicht am:06.10.2023

6 Minuten Lesedauer

Berühmte Komponisten wie Mozart oder Musikerinnen wie die Jazzsängerin Ella Fitzgerald sollen es gehabt haben: das absolute Gehör. Erfahren Sie hier, was es damit auf sich hat, und ob die Fähigkeit angeboren oder trainierbar ist.

Ein Mädchen sitzt an einem Klavier und greift mit beiden Händen in die Tasten.

© iStock / Imgorthand

Welche besondere Fähigkeit haben Menschen mit einem absoluten Gehör?

Ein absolutes Gehör ist eine besondere musikalische Gabe. Menschen mit absolutem Gehör besitzen die Fähigkeit, eine einzeln gespielte Musiknote beim Hören exakt zu bestimmen, auch ohne einen Bezugston. Spielt etwa jemand eine bestimmte Note auf einem Klavier, kann eine Person mit absolutem Gehör diese Note benennen – ohne dass andere Noten mitgespielt worden sind. Bei einer Notenfolge fällt es hingegen leichter, einzelne Töne anzugeben: Wenn die einzelnen Töne in einem Verhältnis zueinanderstehen, können sie leichter bestimmt werden.

Außerdem können Menschen mit einem absoluten Gehör eine bestimmte Note spontan singen. Bei Chören singt der Chorleiter oder die Chorleiterin einen Ton vor. Die Chormitglieder singen ihn nach, damit alle den Ton in ihrer jeweiligen Tonlage treffen. Bei einem Chor aus lauter Menschen mit absolutem Gehör wäre das nicht nötig, sondern ausreichend, die Note lediglich anzugeben. Auch dann könnten alle ein perfektes A singen.

Was ist ein relatives Gehör?

Das relative Gehör ist auch eine besondere Fähigkeit, die aber nicht so weit reicht. Menschen mit einem relativen Gehör erkennen, wie viel höher oder tiefer eine Note im Verhältnis zu einer anderen ist – ohne die genaue Tonhöhe angeben zu können. Sie identifizieren exakte Noten nur dann, wenn ein Referenzton vorgegeben ist, zu dem sie andere Noten in Bezug setzen können. Wenn etwa die Note A bekannt ist und dann weitere folgen, benennen Personen mit relativem Gehör diese weiteren Noten zum Beispiel als As, H oder Cis. Sowohl Menschen mit absolutem als auch mit relativem Gehör sind oft in der Lage, Musik ohne Notenblatt nach Gehör nachzuspielen.

Eine junge Frau übt Geige.

© iStock / Patrick Daxenbichler

Geiger oder Geigerinnen mit absolutem Gehör brauchen kein Stimmgerät, um ihr Instrument richtig einzustellen.

Kann ein absolutes Gehör auch Nachteile haben?

Ein absolutes Gehör bringt Vorteile für Musizierende, was das generelle Verständnis von Intervallen oder Harmonien betrifft. Allerdings kann mit einem absoluten Gehör auch eine erhöhte Sensibilität für akustische Reize einhergehen. Viele Menschen mit absolutem Gehör reagieren deshalb empfindlich auf „unsaubere“ Töne wie ein verstimmtes Instrument. Bei professionellen Musikern und Musikerinnen kann ein absolutes Gehör schlimmstenfalls dazu führen, dass ihre Fähigkeit zum Zusammenspiel darunter leidet.

Wie häufig ist ein absolutes Gehör?

Nach Schätzungen haben weniger als einer von 10.000 Menschen ein absolutes Gehör, also nicht einmal 0,01 Prozent. Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es nicht. Unter den prominenten Musikern und Musikerinnen haben nicht alle ein absolutes Gehör. Komponisten wie Mozart, Bach und Beethoven wird ein absolutes Gehör zugeschrieben, während zum Beispiel Wagner und Schumann darüber nicht verfügten.

Das heißt auch: Menschen brauchen kein absolutes Gehör, um musikalisch begabt zu sein.

Wie findet man heraus, ob man ein absolutes Gehör hat?

Wer online nach einem Test für absolutes Gehör sucht, hat viele Treffer. Allerdings gibt es keinen allgemein anerkannten Standard und Online-Tests sind nicht zuverlässig.

Um die Grenzen der eigenen Fähigkeiten spielerisch auszutesten, können solche Angebote geeignet sein. Wenn Sie jedoch sicher wissen möchten, ob Sie über ein absolutes Gehör verfügen, sind erfahrene Musikpädagogen und -pädagoginnen die bessere Anlaufstelle.

Wie entsteht ein absolutes Gehör?

Forschende sind sich nicht einig, ob ein absolutes Gehör angeboren oder erworben ist. Ein Problem vieler Studien in diesem Forschungsfeld: Es kann schwierig sein, genügend Teilnehmende mit absolutem Gehör zu finden, um zu verlässlichen Ergebnissen zu gelangen. In der Forschung gibt es die folgenden Theorien:

  • Alle Kleinkinder haben ein absolutes Gehör

    Einige Forschende vertreten die These: Alle Menschen werden mit einem absoluten Gehör geboren und alle Kleinkinder verfügen über ein absolutes Gehör. Diese Fähigkeit bringe aber keine alltäglichen Vorteile mit sich. Daher werde sie von kaum einem Kind genutzt und verkümmere im Verlauf der ersten Lebensjahre bei den allermeisten Menschen.

  • Eine Frage des Trainings

    Laut einer zweiten These kann sich ein absolutes Gehör nur entwickeln, wenn es in der frühen Kindheit durch intensives Trainieren gefördert wird. Bei Mozart etwa ist bekannt, wie sehr sein Vater ihn schon in jüngsten Jahren musikalisch zum Üben genötigt hat. Man kann beide Thesen verbinden: Training könnte die Fähigkeit zum absoluten Gehör aufrechterhalten.

  • Genetische Veranlagung

    Studien zum frühkindlichen Erwerb durch Training erklären eines nicht: Warum gibt es Menschen, die ein absolutes Gehör ohne ein solches Training oder ohne jegliche musikalische Bildung besitzen? Vielleicht spielt doch eine spezifische genetische Veranlagung die entscheidende Rolle. Eine Studie hat ergeben, dass es beim absoluten Gehör in manchen Familien zu Häufungen kommt. Laut dieser Theorie wäre ein absolutes Gehör wahrscheinlicher, wenn es unter den nächsten Verwandten schon vorher Fälle von absolutem Gehör gab.

  • Die Rolle der Muttersprache

    Auch die Muttersprache kann sich auf das absolute Gehör auswirken. Eine Studie hat Musikstudierende an den Konservatorien in Peking und in New York verglichen. Die chinesischen Teilnehmenden sprachen Mandarin. In dieser tonalen Sprache kann dasselbe Wort abhängig von der Tonfrequenz, in der es gesprochen wird, unterschiedliche Bedeutungen haben. Die tonalen Muttersprachler und -sprachlerinnen in der Studie besaßen rund viermal häufiger ein absolutes Gehör als die Vergleichsgruppe. Eine mögliche Erklärung: Das Potenzial für den Erwerb eines absoluten Gehörs ist universell. Es ist aber förderlich, wenn Säuglinge beim Erwerb der Muttersprache lernen, Tonhöhen mit verbalen Bezeichnungen zu verknüpfen.

Arbeitet das Gehirn bei Menschen mit absolutem Gehör anders?

Es ist noch nicht hinreichend geklärt, welche neuronalen Zusammenhänge hinter dem Tonhöhengedächtnis beim absoluten Gehör stecken. Erkenntnisse liefert eine Untersuchung, die sich mit der Hirnaktivität bei der Verarbeitung von Tönen befasst. Ihr zufolge werden bei Menschen mit absolutem Gehör bei der Wahrnehmung von Tönen sehr viel größere Bereiche im Hörzentrum des Gehirns aktiv. Außerdem arbeiten bestimmte Nervenzellen enger zusammen als bei normal Hörenden.

Eine andere Studie schwächt dieses Ergebnis ab. An ihr nahmen je fünfzig Musiker und Musikerinnen mit absolutem und relativem Gehör und 50 normal hörende Nichtmusiker und -musikerinnen teil. Die Forschenden stellten fest: Die für die akustische Reizverarbeitung zuständigen Hirnareale bei den 100 Musikern und Musikerinnen sind deutlich besser vernetzt als bei den Nichtmusizierenden. Allerdings unterschieden sich die relativ Hörenden und die absolut Hörenden nur geringfügig voneinander: Bei den absolut Hörenden sind etwas größere Hirnareale aktiv. Nicht nur absolut hörende, sondern auch musikalische Menschen mit relativem Gehör weisen Besonderheiten des Gehirns auf.

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Können Erwachsene ein absolutes Gehör erlernen?

Sowohl Verfechter und Verfechterinnen der frühkindlichen Prägung als auch der genetischen Veranlagung gehen davon aus, dass Erwachsene kein absolutes Gehör erlernen können. Die einen nehmen für dessen Erwerb ein kritisches Zeitfenster an, in dem Kinder durch Training das absolute Gehör erreichen können. Die anderen vermuten, dass nur Menschen mit einer bestimmten genetischen Veranlagung dazu in der Lage sind. Die strengste Ansicht kombiniert beides: Nur spezifisch veranlagte Menschen sind in einer begrenzten frühkindlichen Phase in der Lage, ein absolutes Gehör zu entwickeln.

Eine Studie zum Erlernen des absoluten Gehörs basiert auf dem Zusammenhang von absolutem Gehör und dem auditiven Arbeitsgedächtnis im Gehirn. Das ist die Fähigkeit, sich an Laute (in diesem Fall Musiknoten) zu erinnern und ihnen eine Bedeutung zuzuordnen. In einem achtwöchigen Lernprogramm mussten normal hörende Teilnehmende Noten nach dem Hören lernen und identifizieren. Einige Monate später konnten sie die Noten zwar nicht mehr so gut erkennen, aber immer noch besser als vor dem Training. Keiner erreichte allerdings das Niveau von Personen, die seit ihrer Kindheit über ein absolutes Gehör verfügen. Die vorsichtige Hypothese der Forschenden: Das absolute Gehör könnte formbarer sein als angenommen und bis zu einem gewissen Grad im Erwachsenenalter erlernt werden.

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