Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Muskel-Skelett-System

Spina bifida – was ein „offener Rücken“ für ein Baby bedeutet

Veröffentlicht am:28.11.2024

7 Minuten Lesedauer

Eine Spina bifida, auch „offener Rücken“, kann sich bereits in den ersten Schwangerschaftswochen beim Fötus bilden. Bei den Kindern wirkt sich diese Fehlentwicklung auf unterschiedliche Weise aus. Was Eltern zu Chancen und Risiken wissen sollten.

Zwei lachende junge Frauen an einer Uferpromenade. Eine der beiden sitzt im Rollstuhl, die andere joggt neben ihr her.

© iStock / kali9

Spina bifida: Was ist ein „offener Rücken“?

Während der Entwicklung des Nervensystems im Embryo schließt sich am Ende des ersten Schwangerschaftsmonats das Gewebe, aus dem Gehirn und Rückenmark entstehen, zu einer röhrenförmigen Struktur, dem Neuralrohr. Aus dem oberen Teil des Neuralrohrs entsteht das Gehirn, aus dem unteren das Rückenmark. Eine Fehlentwicklung des Neuralrohrs wird als Neuralrohrdefekt bezeichnet. Spina bifida, umgangssprachlich „offener Rücken“, ist ein solcher Neuralrohrdefekt. Spina bifida ist eine angeborene Fehlbildung, bei der die Wirbelsäule und – je nach Schwere – auch das Rückenmark betroffen ist.

An der Entwicklung des Neuralrohrs ist das Gewebe beteiligt, das später als Schädel und Spinalkanal das empfindliche Gehirn und das Rückenmark umgibt. In der Wirbelsäule umschließen Wirbel das Rückenmark und bilden so den Wirbelkanal. Er schützt das Rückenmark und die Rückenmarksnerven. Bei einer Spina bifida ist der Wirbelkanal nicht vollständig geschlossen.

Je nach Größe und Lage der Öffnung und je nachdem, ob und wie stark das Rückenmark und die Rückenmarksnerven betroffen sind, verläuft eine Spina bifida symptomfrei oder führt zu leichten bis schweren körperlichen Behinderungen. In Deutschland und Mitteleuropa wird etwa eines von 1.000 Babys mit Spina bifida geboren.

Formen und Schweregrade der Spina bifida

Die Ausprägung und Schwere einer Spina bifida richtet sich nach der Ausprägung der Öffnung und danach, ob die Rückenmarkshäute oder auch das Rückenmark und die Rückenmarksnerven betroffen sind. Die vier wichtigsten sind:

  • Spina bifida occulta: geschlossene Spina bifida

    Dies ist die mildeste und häufigste Form der Spina bifida. Es liegt nur eine Öffnung in der Wirbelsäule vor, die jedoch von außen nicht sichtbar ist, denn die Haut darüber ist geschlossen. In der Regel sind Rückenmark und Nerven nicht geschädigt. Und so löst diese Form der Spina bifida manchmal überhaupt keine Beschwerden aus, kann aber auch mit Beeinträchtigungen an anderer Stelle verbunden sein. So ist es möglich, dass eine Spina bifida occulta erst im späten Kindes- oder Erwachsenenalter entdeckt wird, zum Beispiel als Zufallsfund beim Röntgen – und manchmal auch gar nicht. Daher der Name Spina bifida occulta („verborgene“ Spina bifida).

    Die Diagnose ist dennoch wichtig, da die Spina bifida occulta zu einer späteren Beeinträchtigung des Rückenmarks oder zu einem sogenannten Wasserkopf führen kann. Früh erkannt, sind diese jedoch gut behandelbar.

  • Spina bifida aperta: offene Spina bifida oder offener Rücken

    Stülpen sich Rückenmarkshäute gegebenenfalls gemeinsam mit Rückenmark und Rückenmarksnerven nach außen, spricht man von einer offenen Spina bifida. In seltenen Fällen sind nur die Rückenmarkshäute betroffen, dann spricht man von einer Meningozele. Häufiger sind beim offenen Rücken auch Rückenmark und Rückenmarksnerven nach außen gestülpt, dann spricht man von einer Meningomyelozele.

  • Meningozele: Rückenmarkshäute betroffen

    Die Rückenmarkshäute (Meningen), die das Rückenmark schützend umgeben, treten bei der Meningozele durch die Öffnung in der Wirbelsäule aus. Am Rücken entsteht eine sackartige Ausstülpung, die Rückenmarksflüssigkeit, aber kein Rückenmark enthält. Oft ist das Rückenmark selbst unbeschädigt, weshalb die Symptome bei Menschen mit einer Meningozele leichter ausfallen können.

  • Myelomeningozele: auch Rückenmark und Rückenmarksnerven betroffen

    Hierbei handelt es sich um die schwerste Form der Spina bifida. Der Wirbelkanal ist meist entlang mehrerer Rückenwirbel offen. Wie bei der Meningozele kommt es zu einer sackartigen Ausstülpung am Rücken des Babys. In diesem Fall enthält der Sack nicht nur Rückenmarksflüssigkeit, sondern auch Rückenmark und Rückenmarksnerven. Nervenschäden sind daher wahrscheinlich, weshalb eine Spina aperta schwerwiegende Folgen in Form von Lähmungen haben kann. Wie schwer mögliche Lähmungen sind, hängt auch davon ab, auf welcher Höhe des Rückens der Defekt liegt.

Passende Artikel zum Thema

Antworten, Tipps und Infos rund um Ihre Schwangerschaft

Spina bifida – Häufigkeit und Ursachen

Die genaue Ursache der Spina bifida ist unbekannt. Fachleute vermuten, dass genetische und Umweltfaktoren eine Rolle spielen:

  • Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko besteht, wenn in der Familie bereits eine Spina bifida aufgetreten ist.
  • Außerdem erhöht ein Mangel an Folsäure während der Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Spina bifida zu bekommen.
  • Die Einnahme bestimmter Medikamente (unter anderem Valproinsäure/Valproat oder Carbamazepin) während der Schwangerschaft ist mit einem zusätzlichen Risiko verbunden. Diese Medikamente kommen vor allem bei der Behandlung von Epilepsie zum Einsatz.
  • Ferner steigern ein schlecht eingestellter Diabetes und Übergewicht während der Schwangerschaft die Wahrscheinlichkeit einer Spina bifida.

Schützt Folsäure vor Spina bifida?

Es ist zwar nicht geklärt, auf welche Art genau Folsäure einer Spina bifida vorbeugt – aber, dass sie es tut, ist gut erforscht. Fachleute schätzen, dass die Einnahme von Folsäurepräparaten vor der Empfängnis und in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft bis zu sieben von zehn Spina-bifida-Fällen verhindern kann. Die vorbeugende Einnahme von Folsäure hat dazu beigetragen, dass die Häufigkeit von Spina bifida im Laufe des 20. Jahrhunderts gesunken ist.

Frauen mit Kinderwunsch sollten schon vor der Schwangerschaft mit der Einnahme von Folsäure beginnen. Die empfohlene Dosis liegt bei 0,4 Milligramm pro Tag.

Symptome und Diagnose einer Spina bifida

Wie schwer die Folgen eines offenen Rückens sind, ist sehr unterschiedlich. Viele Menschen mit Spina bifida occulta leben völlig beschwerdefrei. Sind jedoch Rückenmark oder Rückenmarksnerven geschädigt, kommt es zu Lähmungen und Gefühlsstörungen, die auch die darunter liegenden Segmente des Rückenmarks betreffen. Die Lähmungen hängen daher davon ab, in welchem Bereich der Wirbelsäule und in welchem Umfang das Rückenmark des ungeborenen Kindes geschädigt worden ist.

Mögliche Beschwerden durch Spina bifida

Da die Nerven zur Blase und zum Mastdarm als letzte Nerven den Rückenmarkskanal verlassen, haben Betroffene häufig Schwierigkeiten, Urin und Stuhl zu kontrollieren. Sie leiden zudem oft an unterschiedlich stark ausgeprägten Lähmungen. Liegt die Fehlbildung bei einem höheren Lendenwirbel, können betroffene Kinder ohne Behandlung später nur selten selbstständig gehen. Je tiefer der Defekt liegt, desto größer ist die Chance, eigenständig laufen zu können. Durch Muskellähmungen kann auch ein sogenannter Klumpfuß (Pes equinovarus) entstehen. In orthopädischen Eingriffen können jedoch gesunde Muskeln so verlagert werden, dass sie die Funktion der gelähmten Muskeln übernehmen und die Kinder zumindest mit Hilfsmitteln gehfähig sind.

Neun von zehn Babys mit Spina bifida werden mit einem unterschiedlich stark ausgeprägten Hydrozephalus geboren, im Volksmund auch als „Wasserkopf“ bezeichnet. Dabei staut sich das Gehirnwasser (Liquor) und kann Druck auf das Gehirn ausüben.

Außerdem besteht bei einer Spina bifida ein erhöhtes Risiko, dass das Rückenmark mit dem Wirbelkanal verwachsen ist. Da die Wirbelsäule im späteren Leben schneller wächst als das Rückenmark, wird das Rückenmark in die Länge gezogen und kann geschädigt werden (Tethered Cord Syndrom), wodurch im späteren Leben Blasen- und Mastdarmstörungen sowie Lähmungen auftreten oder sich verschlimmern können.

Diagnose: Wie erkennt man eine Spina bifida?

Eine Spina bifida lässt sich in der Regel schon vor der Geburt durch Ultraschalluntersuchungen erkennen. Außerdem geben erhöhte Werte des Alpha-Fetoproteins im mütterlichen Blut oder im Fruchtwasser Hinweise auf die Erkrankung des Fötus. Leichte Fälle können jedoch bis zur Geburt unbemerkt bleiben. Bei Neugeborenen ist eine Spina bifida anhand der charakteristischen Symptome deutlich zu erkennen – mit Ausnahme von Fällen der Spina bifida occulta.

Wichtig für die Gesundheit von Mutter und Kind

Passende Artikel zum Thema

Eine Frau unterstützt ein ungefähr dreijähriges Mädchen beim Gehen mit einer Gehhilfe auf Rollen. Im Hintergrund ein physiotherapeutischer Therapieraum mit Bällen und einer Liege.

© iStock / aldomurillo

Kinder, die mit einer Spina bifida zur Welt kommen, leiden häufig unter Lähmungen. Eine physiotherapeutische Behandlung ist wichtig, damit sie lernen, sich so gut wie möglich selbst zu bewegen.

Behandlung einer Spina bifida

Die Behandlung hängt von der Art der Spina bifida ab. Während bei der Spina bifida occulta oft keine Behandlung nötig ist, muss die offene Spina bifida operiert werden. Dies kann schon vor der Geburt (pränatal) im Mutterleib geschehen oder spätestens innerhalb von 48 Stunden nach der Geburt.

Operation im Mutterleib

Bei einem pränatalen Eingriff operieren Chirurgen und Chirurginnen das ungeborene Kind in der Gebärmutter. Sie entfernen die Ausstülpung am Rücken und vernähen die Öffnung direkt im Mutterleib. Moderne Operationstechnik ermöglicht es, den Eingriff minimalinvasiv, also ohne große Schnitte durchzuführen. Eingriffe im Mutterleib erfordern sehr erfahrene Operationsteams in spezialisierten Zentren und sind nicht in allen Fällen sinnvoll. Die Eingriffe sind zudem auch mit Risiken für das Kind und die Mutter verbunden.

Durch die pränatale Operation können weitere Schädigungen der Nerven während der Schwangerschaft vermieden werden. Eine große Studie, bei der die Kinder nach dem Zufallsprinzip einer vorgeburtlichen beziehungsweise nachgeburtlichen Operation zugewiesen wurden, zeigte, dass vorgeburtlich operierte Kinder nach der Geburt eine deutlich bessere Beweglichkeit hatten und weniger unter Beschwerden litten.

Weitere therapeutische Begleitung

Manche Kinder mit Spina bifida benötigen trotz Operation eine langfristige Betreuung durch Physiotherapeuten und -therapeutinnen sowie Fachärzte und -ärztinnen verschiedener Disziplinen wie Orthopädie, Urologie oder Neurochirurgie. Zum Beispiel bekommen Säuglinge mit Hydrozephalus einen Shunt, eine operativ angelegte Verbindung zum Herzvorhof oder zur Bauchhöhle, über die Hirnwasser abfließen kann und nicht auf das Gehirn drückt. Bei Kindern mit offenem Rücken und Lähmungen sind häufig orthopädische Eingriffe notwendig. Beispielsweise werden zur Behandlung eines Klumpfußes gesunde Muskeln verlagert, um die Aufgaben von gelähmten Muskeln zu übernehmen. Auch wenn sich eine ausgeprägte Skoliose, also eine Fehlbildung der Wirbelsäule, entwickelt, ist eine operative Behandlung möglich. Kinder mit Lähmungen können allerdings dauerhaft auf Gehhilfen oder einen Rollstuhl angewiesen sein. Langfristige Therapiemaßnahmen zielen darauf ab, Begleitbeschwerden der Spina bifida zu lindern und den Betroffenen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?