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Sichelzellkrankheit – was passiert bei verformten roten Blutkörperchen?

Veröffentlicht am:14.06.2023

5 Minuten Lesedauer

Bei der Sichelzellkrankheit sind die roten Blutkörperchen sichelartig verformt. Die Erkrankung kann schwere Organschäden zur Folge haben. Um das nach Möglichkeit zu vermeiden, ist eine frühe Diagnose der Sichelzellanämie wichtig.

Ein Kinderarzt nimmt eine Blutprobe bei einem dunkelhäutigen Mädchen.

© iStock / nd3000

Was ist die Sichelzellkrankheit?

Die Sichelzellkrankheit ist eine erbliche Erkrankung der roten Blutkörperchen (Erythrozyten). Der rote Blutfarbstoff (Hämoglobin) in den Erythrozyten ist bei Betroffenen genetisch bedingt in Struktur und Funktionsfähigkeit verändert. Sie bilden ein abnormes Hämoglobin, das sogenannte Sichelzellhämoglobin.

Zu den Aufgaben der Erythrozyten gehört es, Sauerstoff von den Lungen in alle Körperregionen zu transportieren. Dabei wird Sauerstoff an das Hämoglobin‎ gebunden. Gesunde Erythrozyten sind rund und flexibel, weswegen sie auch durch kleinste Blutgefäße gelangen und so alle Körperregionen mit Sauerstoff versorgen können. Sichelzellhämoglobin verändert seine ursprüngliche Form, nachdem es Sauerstoff abgegeben hat und selbst nicht mehr mit ihm beladen ist. Das verändert auch die Form der Erythrozyten. Durch Sichelzellhämoglobin veränderte Erythrozyten sind nicht mehr rund, sondern ähneln Sicheln. Sie sind dadurch weniger beweglich und sterben eher ab als gesunde Erythrozyten.

Was bewirken die sichelförmigen roten Blutkörperchen?

Durch die verringerte Lebensdauer der kranken Erythrozyten kommt es zu einer Blutarmut, aufgrund derer die Sichelzellkrankheit oft auch als Sichelzellanämie bezeichnet wird. In Folge der Anämie kann es zu einer allgemeinen Sauerstoffunterversorgung des Organismus kommen. Die in ihrer Form veränderten Erythrozyten sind außerdem weniger beweglich und können so einzelne Blutgefäße verstopfen. Der dadurch in den betroffenen Körperregionen auftretende erhebliche Sauerstoffmangel kann starke Schmerzen auslösen und zu Gewebe- und Organschäden bis hin zum kompletten Absterben von Gewebe führen.

Wie häufig ist die Sichelzellkrankheit?

Die Sichelzellkrankheit ist eine der weltweit häufigsten Erbkrankheiten. Menschen, die die Sichelzellanlage nur von einem Elternteil vererbt bekommen haben, ohne selbst zu erkranken, sind vermutlich gegen schwere Verläufe der Infektionskrankheit Malaria besser geschützt. Deshalb stammen Träger der Erbanlage und Erkrankte häufig aus Regionen, in denen Malaria endemisch war oder ist. Die Erkrankung wurde zunächst in Afrika, im Mittleren Osten, Indien und der Ost-Türkei beschrieben. Durch Handelsbeziehungen und Migration gelangte sie später auch nach Europa und Nordamerika und ist mittlerweile weltweit verbreitet. Nach wie vor sind afrikanische und afroamerikanische Menschen aber am häufigsten betroffen. In Deutschland leben ungefähr 3.000 bis 5.000 Menschen mit Sichelzellkrankheit, von denen die meisten aus Afrika, dem Mittleren Osten und der Türkei stammen.

Welche Ursachen hat die Sichelzellkrankheit?

Die Sichelzellkrankheit wird durch mutierte Gene für bestimmte Proteine, aus denen Hämoglobin aufgebaut ist, von Eltern auf ihre Kinder übertragen. Vererbung ist bei Sichelzellanämie die einzige Ursache: Die Krankheit ist weder ansteckend noch kann sie im Laufe des Lebens erworben werden.

Es macht bei der Sichelzellkrankheit einen großen Unterschied, ob man nur von einem oder von beiden Elternteilen ein mutiertes Gen erbt:

  • Im Fall der Vererbung von nur einem Elternteil entwickelt man keine Sichelzellkrankheit, da durch die eine gesunde Anlage ausreichend gesundes Hämoglobin gebildet wird. Allerdings wird man auch mit nur einer Anlage des Sichelzellhämoglobins selbst zum Träger des Sichelzellgens und kann es weitervererben.
  • Im Fall der Vererbung der Sichelzellanlage durch beide Elternteile, die auch als homozygote Vererbung bezeichnet wird, kann dagegen kein gesundes Hämoglobin gebildet werden. Betroffene erkranken an der Sichelzellkrankheit mit möglicherweise schweren Verläufen.

Zu einer Sichelzellerkrankung kann es aber nicht nur bei homozygoter Vererbung der Sichelzellanlage kommen, sondern auch dann, wenn von einem Elternteil die Sichelzellanlage und vom anderen Elternteil ein anderes krankhaft verändertes Hämoglobin-Gen vererbt wird. Dabei kann es sich zum einen um das Gen für die Beta-Thalassämie handeln, das zu einer verringerten oder fehlenden Hämoglobin-Bildung führt. Zum anderen kann es sich um das HbC-Gen handeln, das mit höheren Hämoglobinwerten einhergeht, aber das Blut dickflüssiger macht. Diese Kombinationen können dazu führen, dass der Verlauf der Sichelzellerkrankung weniger schwer ist.

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Welche Symptome gibt es bei der Sichelzellkrankheit?

Der Schweregrad der Krankheit kann sehr unterschiedlich sein: von fast beschwerdefreien Verläufen auch noch im Erwachsenenalter bis zu schweren Organerkrankungen schon im jungen Kindesalter.

Das wichtigste Symptom der Erkrankung ist eine chronische Anämie (Blutarmut) – daher der früher häufig benutzte Name Sichelzellenanämie. Eine Anämie bedeutet, dass der Hämoglobingehalt im Blut vermindert ist oder zu wenig Erythrozyten vorhanden sind.

Außerdem sind sogenannte Schmerzkrisen typisch für die Erkrankung: Phasen mit starken Schmerzen, die durch die Schädigung von Gewebe ausgelöst werden. Oft sind die Knochen betroffen.

Weitere mögliche Symptome sind meist Folgeerscheinungen der Anämie oder einer Gefäßverstopfung, zum Beispiel:

  • akute und chronische Organschäden; als erstes Organ ist meist die Milz betroffen, bei Kindern können sich große Blutmengen in der Milz ansammeln und zu einer schweren Blutarmut führen. Eltern betroffener Kinder lernen daher, Milzvergrößerungen zu ertasten, um entsprechende Notfälle frühzeitig zu erkennen.
  • Schädigung verschiedener weiterer Organe und Organsysteme (Herz-Kreislauf-System, Skelettsystem, Haut, Augen, Darm usw.)
  • erhöhte Anfälligkeit für Infektionen wegen der oft schon in den ersten Lebensjahren geschädigten Milz
  • Hand-Fuß-Syndrom
  • Wachstumsverzögerung
  • Gelbsucht
  • Gallensteine
  • Schlaganfälle
  • schmerzhafte Dauererektion (Priapismus)
Eine Kinderkrankenschwester lässt beim erweiterten Neugeborenen-Screening wenige Blutstropfen aus der Ferse eines Neugeborenen auf eine spezielle Papierkarte tropfen.

© iStock / isayildiz

Beim erweiterten Neugeborenen-Screening wird angeboten, Blut auf die Sichelzellkrankheit zu testen.

Wie wird die Sichelzellkrankheit diagnostiziert?

Die Sichelzellerkrankung kann durch eine Blutuntersuchung auf Sichelzellhämoglobin diagnostiziert werden. Molekulargenetische Untersuchungen geben zudem Aufschluss, ob es sich um eine kombinierte oder homozygote Form der Sichelzellerkrankung handelt.

Nur durch eine möglichst frühe Diagnose sind eine frühe Behandlung und weitere Maßnahmen wie ein erhöhter Infektionsschutz möglich. Das erhöht die Chance, dass betroffene Kinder überleben. In Deutschland wird beim sogenannten erweiterten Neugeborenen-Screening seit 2021 angeboten, das Blut auf die Sichelzellkrankheit zu testen. Am zweiten oder dritten Lebenstag werden dem Baby wenige Blutstropfen meist aus der Ferse entnommen, auf eine spezielle Papierkarte getropft und auf die Sichelzellkrankheit und weitere angeborene Störungen untersucht. Hierzulande sind geschätzt jährlich etwa 200 von rund 800.000 neugeborenen Kindern von der Sichelzellerkrankung betroffen.

Therapie der Sichelzellkankheit

Die Ursache der Sichelzellkrankheit, das fehlerhafte Hämoglobin-Gen, kann nicht geheilt werden. Mit einer Stammzelltransplantation kann es jedoch gelingen, dass Betroffene nach erfolgreicher Übertragung von Knochenmarkt gesunder Spender selbst wieder normale Blutzellen bilden können. Diese Behandlung ist jedoch risikoreich und setzt das Vorhandensein eines geeigneten Spenders voraus. Daher kommt sie nur für einen Teil der Patienten in Frage.

Neueste Gen-Forschungen zur Therapie der Sichelzellkrankheit

Es wird an einem Wirkstoff geforscht, der auf der neuartigen Gen-Editierungs-Technik CRISPR/Cas9 beruht. Ziel ist es, Stammzellen zur Produktion von gesundem Hämoglobin anzuregen, um so dem defekten Sichelzellhämoglobin entgegenzuwirken. Im Sommer 2023 befindet sich dieser Wirkstoff in der Zulassungsphase. Sollte diese erfolgreich verlaufen, stünde erstmals ein therapeutisches Mittel zur Verfügung, um die Ursache der Sichelzellkrankheit direkt zu bekämpfen.

Die Therapie der Erkrankung konzentriert sich daher bei vielen Betroffenen auf die symptomatische Behandlung der Beschwerden und auf die Vorbeugung von Folgeerkrankungen und Organschäden für die Menschen mit einer Sichelzellerkrankung besonders anfällig sind. Schwere System- und Organschäden sind lebensbedrohlich, aber bei einer optimalen Behandlung erreichen rund 90 Prozent der Betroffenen das Erwachsenenalter. Regelmäßige Kontrolluntersuchungen sind jedoch wichtig, um auf Probleme rechtzeitig reagieren zu können.

Da die Behandlung der Erkrankung komplex ist und sich die Erkenntnisse dazu rasch weiterentwickeln, gibt es spezialisierte Therapiezentren, in denen die Betroffenen durch ein erfahrenes, multiprofessionelles Behandlungsteam betreut werden.

Hinsichtlich der Lebensführung sollten Betroffene unter anderem gut auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten, große Höhen und Unterkühlung vermeiden, nur wenig Alkohol konsumieren und nicht rauchen. Für Kinder mit einer Sichelzellerkrankung sind Schutzimpfungen besonders wichtig, da sie für Infektionen sehr anfällig sind.

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