Wasser & Luft
Innoprojekt erforscht: Wie gefährlich sind Hitzewellen bei Herz-, Lungen- und Stoffwechselerkrankungen?
Veröffentlicht am:04.06.2025
5 Minuten Lesedauer
Christian Günster ist Forschungsbereichsleiter am WIdO, dem Wissenschaftlichen Institut der AOK. Im Interview erklärt er, wie AOK-Daten dabei helfen, Hitzefolgen bei Herz-, Lungen- und Stoffwechselerkrankungen in einem Innoprojekt zu erforschen.

© iStock / Liudmila Chernetska
Inhalte im Überblick
Forschung über Gesundheit und Klimawandel: das „KlimGesVor“-Innoprojekt der AOK

© WIdO
Christian Günster hat in Bonn Mathematik und Philosophie studiert. Seit 1990 arbeitet er am Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO), 2006 übernahm er dort die Stelle des Bereichsleiters für Qualitäts- und Versorgungsforschung. Er führt Studien zur Versorgungs- und Behandlungsqualität durch und wertet dafür Millionen von Gesundheitsdaten aus. Zudem gibt er den Versorgungs-Report des WIdO mit heraus.
Von der WHO wird der Klimawandel als größte Gesundheitsbedrohung der Menschheit angesehen. Hitzewellen sind eine Konsequenz der Erderwärmung. Sie können neben möglichen direkten Folgen wie Hitzschlag oder Dehydrierung auch starke Effekte auf Menschen mit Vorerkrankungen haben.
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Welche Effekte das konkret bei Menschen mit Erkrankungen des Herzens, der Atemwege oder der Gefäße sind, wird in einem Innovationsfonds-Projekt erforscht. Der Innovationsfonds fördert Projekte, die innovative Ansätze für die gesetzliche Krankenversicherung erproben und neue Erkenntnisse zum Versorgungsalltag gewinnen wollen.
Das Innofonds-Projekt „KlimGesVor“ (Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheitsversorgung von Patienten mit kardiovaskulären, metabolischen und respiratorischen Erkrankungen) wird vom Institut für Epidemiologie des Helmholtz-Zentrums München geleitet und in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) durchgeführt. Es läuft bis Juni 2027 und besteht aus zwei thematisch ineinandergreifenden Teilstudien.
Die Methodik des Innofonds-Projekts: So funktionieren die „KlimGesVor“-Studien
„Das WIdO setzt sich bereits seit mehreren Jahren mit den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels auseinander“, berichtet Christian Günster, Forschungsbereichsleiter des WIdO. 2021 erschien der Versorgungs-Report über Klimawandel und Gesundheit, den er mit herausgab.
Als Statistiker arbeitet Günster insbesondere mit Sekundärdatenanalysen. Hierbei handelt es sich um sehr große Datenmengen, die ursprünglich für andere Zwecke erhoben wurden, zum Beispiel zur Dokumentation und Abrechnung medizinischer Behandlungen mit den Krankenkassen. Diese können in anonymisierter Form auch zur Forschung genutzt werden.
Im „KlimGesVor“-Projekt werden Sekundärdaten der AOK analysiert: Deutschlandweit werden anonymisierte Daten über stationäre und ambulante Krankenhausaufenthalte während Hitzewellen von Menschen mit Bluthochdruck, Typ-2- Diabetes, COPD, Schlaganfällen und Herzinfarkten ausgewertet.
„Diese Daten sind besonders wertvoll, weil sie ganze Versorgungsketten darstellen“, erklärt Christian Günster. „Die Behandlungshistorien können so nachvollzogen und miteinander in Zusammenhang gebracht werden.“ Dabei geht es jedoch nicht um individuelle Behandlungsverläufe, sondern darum, übergreifende Muster in der Versorgung zu identifizieren, beispielsweise Veränderungen in der Medikation der Vorerkrankten oder die Anzahl von Krankschreibungen während besonderer Hitzetage.
Diese große Datensammlung unterstützt wiederum die Forschungsergebnisse, die in der zweiten Studie des „KlimGesVor“-Innofonds-Projekts gesammelt werden: der Augsburger Klimastudie.
In dieser kleineren Studie werden über 15 Monate hinweg 50 bis 80 Jahre alte Menschen, die an COPD, Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes leiden, regelmäßig intensiv untersucht und befragt. „Dabei geht es um Belastungen, die nicht in den Routinedaten erfasst werden, da diese allein nicht zur Behandlung führen, zum Beispiel um die Schlafqualität oder erhöhten Blutdruck während Hitzeperioden“, so Günster.
Er erläutert, wie die beiden Studien sich gegenseitig ergänzen: Normalerweise würde eine solche Panelstudie, die dieselbe Personengruppe über eine längere Zeit hinweg beobachtet, mit einer randomisierten und anonymisierten Kontrollgruppe stattfinden, die dem Einflussfaktor – hier also Hitzewellen oder Luftverschmutzungen – nicht ausgesetzt ist, so Günster. Da diese umweltbedingten Faktoren aber nicht ausgeschaltet werden können, böten die großen Sekundärdatenmengen die Möglichkeit, Muster zu erkennen und zu kontrollieren. Und während der erste Teil des Innofonds-Projekts mit der Analyse der Versorgungsdaten vor allem auf der beschreibenden Ebene bleibt, könnten durch die Ergebnisse der Augsburger Klimastudie pathophysiologische Prozesse – also die Veränderungen im Körper, die bei gesundheitlichen Störungen stattfinden – besser verstanden werden: Sie gibt einen Einblick darüber, wie die Hitzeprozesse Symptome der Erkrankungen auslösen oder verändern können.
Das Ziel des Innofonds-Projekts: Was geschieht mit den Forschungsergebnissen?
Das Ziel der „KlimGesVor“-Studien ist, mögliche Defizite in der Gesundheitsversorgung in Verbindung mit dem Klimawandel aufzuzeigen und damit letztlich eine Grundlage für die Gesundheitspolitik zu schaffen, um bessere Versorgungsmöglichkeiten zu gestalten.
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Die im Innofonds-Projekt gewonnenen Erkenntnisse seien für die AOK von großem Interesse, erklärt Günster. Die Krankenkasse sehe sich hier in einer starken Vermittlerrolle: Denn sie könne zum Beispiel über die gesundheitlichen Risiken des Klimawandels in ihrem Gesundheitsmagazin informieren oder Versicherte mit erhöhtem Risiko zukünftig sogar direkt adressieren.
Konkrete Handlungsempfehlungen, die aus dem Innofonds-Projekt abgeleitet werden können, würden auch für Ärztekammern, Kommunen, die damit Hitzeaktionspläne erstellen könnten, oder sogar Stadtplanungen eine Rolle spielen. Denn während Hitzetagen zeige sich, dass sich in betonierten Städten starke Hitzetrassen bilden, die für vorerkrankte Menschen zu Belastungen führen können.
Besonders wichtig sei die Vermittlung der Ergebnisse und Handlungsempfehlungen auch für Pflegeheime. Erste Impulse sind leicht umzusetzen: „Hier spielen Verschattung und ausreichende Flüssigkeitszufuhr eine große Rolle.“
Eine besondere Stärke des „KlimGesVor“-Projektes sieht Christian Günster in den Klimadaten, die für die Studie gemeinsam mit den Gesundheitsdaten der AOK betrachtet werden. Erstere würden vom Umweltbundesamt geliefert und umfassten auch Angaben zur Konzentration von Ozon, Feinstaub und Stickstoffdioxid. Damit ließe sich auch die Interaktion zwischen Hitzebelastung und Luftschadstoffen untersuchen. „Man vermutet, dass Luftschadstoffe unter Hitze verstärkte Gesundheitsrisiken mit sich bringen“, so Günster. Er ist selbst gespannt, was die Ergebnisse zum Beispiel für Städte bedeuten werden.
Weitere Klimawandel-Innofonds-Projekte der AOK
Die „KlimGesVor“-Studie ist nicht das einzige Innofonds-Projekt zum Thema Klimawandel und Gesundheit, an dem die AOK beteiligt ist: Aktuell laufen noch die MELIUS-Studie, die sich mit dem Einfluss von klimabedingten Umweltveränderungen auf Allergien beschäftigt, sowie das Forschungsvorhaben ALERT ITS. Dieses versucht vorherzusagen, wann und wo mehr Intensivbetten und Beatmungsgeräte während Hitzewellen benötigt werden könnten.