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Zöliakie – Wenn Gluten krank macht

Veröffentlicht am:17.06.2021

4 Minuten Lesedauer

Glutenfreie Lebensmittel gibt es in fast jedem Supermarkt. Sie wurden insbesondere für Patienten mit Zöliakie entwickelt. Bei diesen reagiert der Körper auf das Klebereiweiß Gluten. Es verursacht bei ihnen eine chronische Entzündung im Darm. Für Betroffene müssen sich daher ein Leben lang glutenfrei ernähren. Besonders problematisch dabei ist, dass Gluten in vielen Getreidesorten vorkommt.

Frau mit Zöliakie schaut im Supermarkt nach glutenfreien Produkten.

© iStock / Aja Koska

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan, Direktor des Instituts für translationale Immunologie der Universität Mainz

© privat

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan ist Direktor des Instituts für translationale Immunologie der Universität Mainz mit Ambulanz für Zöliakie und Dünndarmerkrankungen. Außerdem hat er das Buch „Tägliches Brot: Krank durch Weizen, Gluten und ATI“ geschrieben.

Im Interview verrät er mehr zu Ursachen, Symptomen und Behandlung bei Zöliakie.

Handelt es sich bei Zöliakie um eine Allergie?

Nein. Bei einer Zöliakie finden autoimmunologische Prozesse statt. Der Körper produziert Antikörper, wenn er mit dem Auslöser Gluten in Berührung kommt. Das erinnert zwar an eine Allergie, bei der Erkrankung werden aber andere Immunzellen aktiviert, die direkt körpereigene Strukturen angreifen. Damit ähnelt eine Zöliakie eher einer Autoimmunerkrankung.

„Bei einer Zöliakie handelt es sich nicht um eine Allergie, sie ähnelt eher einer Autoimmunkrankheit.“

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan
Direktor des Instituts für translationale Immunologie der Universität Mainz

Welche Ursachen hat Zöliakie?

Mittlerweile ist vieles darüber bekannt, was zu einer Zöliakie führen kann. In erster Linie muss eine genetische Komponente gegeben sein. Sie ist praktisch die Grundvoraussetzung, um zu erkranken. Genauer gesagt handelt es sich dabei um die Histokompatibilitätsantigene HLA DQ2 und DQ8. Interessant ist, dass aber ein Drittel der Bevölkerung die genetische Veranlagung hat, ohne dass die Mehrzahl von ihnen eine Zöliakie entwickelt.

Neben der genetischen Veranlagung werden deshalb auch exogene Faktoren als Auslöser angenommen. Dazu zählen beispielsweise Magen-Darm-Infektionen, Veränderungen der normalen Darmbakterien, wahrscheinlich einige Medikamente und auch Stress. Auch andere genetische Veranlagungen wie aktivere Entzündungsgene und regulatorische Gene spielen eine Rolle.

„Ein Drittel der Bevölkerung trägt die Veranlagung zur Zöliakie in sich, die Mehrheit davon entwickelt sie aber nie.“

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan
Direktor des Instituts für translationale Immunologie der Universität Mainz

Woran erkenne ich eine Zöliakie?

Zöliakie ist das Chamäleon der inneren Medizin. Zwar können Patienten über intestinale Beschwerden wie Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen oder auch Verstopfung klagen, ein klassisches Leitsymptom gibt es aber nicht. Bei Kindern deutet eine Gedeihstörung auf Zöliakie hin.

Erwachsene können auch mit „unspezifischen Beschwerden“ wie Leistungsknick, Kopfschmerzen oder Gelenkschmerzen konfrontiert sein. Jemand der Zöliakie hat, ist auch nicht automatisch untergewichtig, sondern kann auch übergewichtig sein.

Reicht eine Blutuntersuchung aus oder muss sie durch eine Dünndarmbiopsie ergänzt werden?

Bei der Blutuntersuchung wird nach den Antikörpern gegen Gewebe-Transglutaminase, bei Kindern auch noch gegen Endomysium (eine Bindegewebsschicht, die die Gewebe-Transglutaminase enthält) gesucht. Antikörper gegen Gliadin sind weniger aussagekräftig. Wenn die Transglutaminase-Antikörper der IgA-Klasse mehr als 10-fach erhöht sind, gilt das als Beweis für eine Zöliakie.

Als zusätzliche Absicherung wird meist eine Dünndarmbiopsie gemacht. Damit Kinder nicht traumatisiert werden, kann bei derart stark erhöhten Antikörpern zunächst eine glutenfreie Ernährung erfolgen. Liegt eine Zöliakie vor, bessern sich die Symptome innerhalb von wenigen Wochen, wenn auf Gluten verzichtet wird.

Bei der Mehrzahl der Patienten ist jedoch auch bei erhöhten Transglutaminase–Antikörpern eine Endoskopie mit Dünndarmbiopsien notwendig. Zum Beispiel dann, wenn die Symptome nicht eindeutig sind oder die Transglutaminase-Antikörper nur leicht erhöht sind.

Frau verzichtet auf Backwaren wegen Zöliakie

© iStock / RealPeopleGroup

Zöliakie-Patienten reagieren auf Gluten. Da es in vielen Getreidesorten enthalten ist, können u.a. Backwaren zum Problem werden.

Wie wird Zöliakie behandelt?

Eine Zöliakie wird behandelt, indem Gluten strikt vermieden wird. Das bedeutet weniger als 20 mg Gluten pro Kilogramm Nahrungsmittel. Demnach darf ein Brot mit 1 kg Gewicht höchstens 20 mg Gluten enthalten. Dieser Wert gilt auch für sensible Zöliakie-Patienten als vertretbar. Normalerweise heilt eine Zöliakie mit der strikten glutenfreien Diät folgenlos ab. Das kann jedoch länger dauern, manchmal mehr als ein Jahr – während es den Patienten aber schon rasch besser geht.

Für Patienten ist es wichtig, auch Spuren von Gluten, die sogenannte Glutenkontamination, zu vermeiden, was schwierig sein kann, da die meisten verfeinerten Lebensmittel (undeklariert) Gluten enthalten können. Nicht verfeinerte Lebensmittel, als Kohlenhydratträger zum Beispiel reine Kartoffeln und Reis sind gut geeignet, da sie kein Gluten enthalten.

Bei langandauernder unbehandelter Zöliakie kann sich eine bösartige Erkrankung des Darms (T-Zell-Lymphom, Adenokarzinom) ausbilden, die schwer zu behandeln ist – dies ist zum Glück sehr selten.

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Zöliakie bei Kindern: Was sind Herausforderungen?

Da eine Zöliakie genetisch bedingt ist, können auch Eltern an Zöliakie oder häufiger bei Zöliakie vorkommenden Autoimmunerkrankungen erkrankt sein (beispielsweise der Schilddrüse oder an Typ 1 Diabetes). Zur Abklärung wird bei Angehörigen ersten Grades deshalb ebenfalls der Transglutaminase-Antikörpertest empfohlen. Eine besondere Herausforderung ist es, bei Kindern die glutenfreie Ernährung sicherzustellen.

Zuhause ist das in der Regel kein Problem. Eltern, die selbst keine Zöliakie haben, ernähren sich für ihr Kind oftmals ebenfalls glutenfrei. Im Kindergarten und in der Schule klappt es nicht immer zu 100 Prozent, Gluten zu vermeiden. Wichtig ist es, den Kindern beizubringen, worauf sie achten müssen. Schon Drei- bis Vierjährige können das verstehen.

Die Zöliakiegesellschaft (DZG) ist in Deutschland sehr aktiv und bietet ihre Unterstützung mit Kindergruppen und Ernährungsratschlägen an.

„Bereits mit vier Jahren können Kinder ihre Erkrankung verstehen und beispielsweise im Kindergarten selbst darauf achten, was sie essen.“

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Detlef Schuppan
Direktor des Instituts für translationale Immunologie der Universität Mainz

Sind Nahrungsergänzungsmittel sinnvoll, die beim Abbau von Gluten helfen?

Diese Mittel haben zu wenig Wirksamkeit. Zwar konnte in Zellkulturen gezeigt werden, dass die Enzyme Gluten abbauen können, für den Zöliakie-Patienten reicht die Wirksamkeit aber nicht aus.

Die Erkrankung ist zu komplex und Gluten kann durch die angebotenen Nahrungsergänzungsmittel nicht überall effektiv abgebaut werden. Patienten sollten sich daher nicht darauf verlassen, sondern Gluten strikt vermeiden.

Die AOK beantwortet Ernährungsfragen

Das Thema Ernährung ist sehr komplex. Das gilt erst recht für Menschen, die eine Zöliakie haben. Verunsicherungen und die Sorge, sich falsch zu ernähren, sind bei Patienten besonders präsent. Darum gibt es für alle AOK-Versicherten die Möglichkeit, im AOK-Expertenforum Ernährung Fragen zu stellen. Hier stehen Oecotrophologen, Ernährungsberater und Diätassistenten mit Rat und Tat zur Seite.

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