Psychologie
Sexuelle Gewalt: ein Erste-Hilfe-Leitfaden für Betroffene und Angehörige
Veröffentlicht am:11.06.2025
5 Minuten Lesedauer
Ein gewaltsamer sexueller Übergriff verursacht großes Leid bei Betroffenen. Die Folgen können gravierende psychische Beschwerden oder ein verändertes Selbstbild sein. Wo Betroffene Hilfe erhalten und was das Umfeld tun kann.

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Was umfasst sexuelle und sexualisierte Gewalt?
Jede sexuelle Handlung, die Personen gegen den Willen eines Menschen durchführen, fällt unter die sexuelle Gewalt. Täter und Täterinnen nutzen dabei ihre Macht oder Autorität – sie befriedigen ihre Bedürfnisse auf Kosten anderer Menschen. Sexuelle Gewalt liegt auch dann vor, wenn Betroffene nicht wissentlich zustimmen können. Das trifft etwa auf Kinder und Personen mit körperlichen, psychischen oder kognitiven Einschränkungen zu. Der Begriff „sexualisierte Gewalt“ hebt sich von der „sexuellen Gewalt“ ab. Während bei der sexuellen Gewalt der Sex im Vordergrund steht, üben Täter und Täterinnen bei der sexualisierten Gewalt vor allem eines aus: Macht. Sexuelle Handlungen sind hier ein Mittel zum Zweck. Betroffene in Abhängigkeitsverhältnissen sind besonders oft Opfer sexualisierter Gewalt – das können pflegebedürftige Menschen in betreuten Einrichtungen oder Frauen am Arbeitsplatz sein. Doch wann beginnt sexuelle Gewalt gegen Frauen, Männer und Kinder?
Folgendes zählt zu den sexuellen Übergriffen:
- Vergewaltigungen
- Sexuelle Nötigung, etwa das Eindringen mit Gegenständen, Fingern oder dem Penis in Vagina, After oder Mund
- Sexuelle Belästigung, wie anzügliche Anspielungen, obszöne Gesten, aufdringliche Blicke, unangemessene Berührungen oder das Versenden von sexuellen Inhalten
- Sexuelle Ausbeutung, dabei nutzt eine Person ihre berufliche Stellung, um von ihr abhängige Menschen auszunutzen
Wer sind Opfer und Ausübende sexueller Gewalt?
Jeder Mensch kann sexueller oder sexualisierter Gewalt begegnen – unabhängig von Alter, Geschlecht oder Nationalität. Die Weltgesundheitsorganisation stuft sexualisierte psychische oder physische Gewalt als bedeutendes Gesundheitsrisiko für Frauen ein. Forschungen zufolge hat jede dritte Frau in Europa nach dem 15. Lebensjahr bereits körperliche oder sexualisierte Gewalt erlebt – laut Befragungen trifft das auf 40 Prozent der hierzulande lebenden Mädchen und Frauen zwischen 16 und 85 Jahren zu. Auch wenn mehrheitlich Mädchen und Frauen betroffen sind, gibt es auch sexuelle Übergriffe auf Jungen und Männer. Die Geschehnisse spielen sich in verschiedenen Lebensbereichen und an unterschiedlichen Orten ab: zu Hause, am Arbeitsplatz, im Freundeskreis, auf Feierlichkeiten, in betreuten Einrichtungen oder in Partnerschaften und Ehe. Bei den Tätern und Täterinnen gibt es kein eindeutiges Profil – sie stammen aus allen Schichten, haben verschiedene sexuelle Vorlieben und können unauffällig erscheinen. Häufig sind Männer und männliche Jugendliche in sexuelle Übergriffe involviert, doch auch Frauen üben sexuelle Gewalt aus. Die meisten Täter und Täterinnen machen das nicht aus einer psychischen Erkrankung heraus – sie planen ihre Übergriffe und sind sich ihrer Handlungen bewusst.
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Die möglichen Spätfolgen sexueller Misshandlung
Sexuelle Übergriffe lösen körperliches und psychisches Leid aus. Mehrere Faktoren bestimmen darüber, zu welchen Spätfolgen die Ereignisse führen. Entscheidend ist etwa, wie schwerwiegend die sexualisierte oder sexuelle Gewalt ist und wie lange sie andauert. Manche Personen sind über Wochen, Monate oder sogar Jahre Opfer der Taten. In einigen Fällen ist das Erlebte besonders traumatisch, etwa wenn Elternteile die Gewalt ausüben. Ausschlaggebend ist zudem, wie gut Betroffene durch ein familiäres oder soziales Umfeld aufgefangen werden.
Zu den Auswirkungen der Übergriffe zählen unter anderem:
- Geschlechtskrankheiten
- Ängste, Gefühlstaubheit, Schlafstörungen
- Essstörungen
- Depressionen
- Suchtprobleme
- Selbstverletzungen bis hin zu Selbstmordgedanken
- Sexualprobleme und Schwierigkeiten, Beziehungen einzugehen
- Vertrauensprobleme
- Wiederkehrende Erinnerungen an das Erlebnis (Flashbacks)
Welche Auffälligkeiten deuten bei Betroffenen auf sexuelle Übergriffe hin?
Ein aufmerksames Umfeld ist mit Blick auf sexuelle Gewalt wichtig. So können auch Taten an hilflosen Menschen wie Kindern oder Pflegebedürftigen aufgedeckt werden. Zwar sind Spuren wie Blutergüsse im Intimbereich ein Hinweis auf Gewalttaten – meistens sind aber keine eindeutigen Verletzungen vorhanden. Betroffene können durch Verhaltensänderungen auffallen. Sie sind etwa ängstlich, aggressiv, ziehen sich zurück oder haben psychosomatische Symptome wie Kopfschmerzen oder Hauterkrankungen. Wenn sich eine Person plötzlich anders verhält, deutet das aber nicht automatisch auf sexuelle Gewalt hin – die Beschwerden können durch andere psychische Belastungen oder Erkrankungen entstehen. Manchmal erscheinen Betroffene unverändert. Sie halten das Geschehene aus Scham geheim. Besonders entscheidend ist nun eine vertrauensvolle Person, die vorsichtig nachfragt.

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Prävention: Wie kann man sexualisierter Gewalt vorbeugen?
Nicht selten kämpfen Opfer sexueller und sexualisierter Gewalt mit Schuld- und Schamgefühlen. Doch weder ein Verhalten noch ein Kleidungsstil sind die Ursache sexueller Übergriffe – Schuld trifft allein den Täter oder die Täterin. Doch wie kann man sexueller Gewalt vorbeugen? Für die Prävention gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Entscheidend sind die Sensibilisierung der Gesellschaft für das Thema sexuelle Gewalt und die Weiterbildung möglicher Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, wie Mediziner und Medizinerinnen. Um Kinder und Jugendliche zu schützen, existieren verschiedene Präventionsinitiativen, wie „Trau dich!“. Hier werden Eltern, Fachkräfte und Kinder zielgruppengerecht aufgeklärt. In Selbstverteidigungskursen erlernen Teilnehmende, wie sie Gefahrensituationen vermeiden und richtig reagieren. Ein wichtiger Teil der Prävention ist die Täterarbeit. Dazu gehören unter anderem Unterstützungs- und Beratungsangebote für gewaltbereite Männer – mit einem kognitiv-verhaltensorientierten Programm bauen sie Gewalttendenzen ab.
Passende Angebote zum Thema
JugendNotmail
Die AOK ist Partner der JugendNotmail, einem Angebot der KJSH-Stiftung. Die Onlineberatung steht Kindern und Jugendlichen bis zum 19. Lebensjahr bei Sorgen und Ängsten zur Seite – anonym und kostenlos.
Erste Hilfe bei sexueller Gewalt: Die wichtigsten Anlaufstellen
Zögern Sie nicht, sich Unterstützung zu holen! Fühlen Sie sich unsicher oder bedroht, wenden Sie sich an die nächstgelegene Polizeiwache oder wählen Sie die Rufnummer 110.
Was tun, wenn ich sexuell belästigt wurde? Weitergehende Unterstützung erhalten Betroffene und Angehörige hier:
- Vertrauliche Hilfetelefone und Onlinedienste: Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist rund um die Uhr unter der Nummer 116 016 oder via Onlineberatung erreichbar – die Unterstützung ist kostenfrei und in 18 Sprachen verfügbar. Männer wenden sich mit der Nummer 0800 1239900 an das Hilfetelefon „Gewalt an Männern“. Hier gibt es auch einen Text-Chat oder eine Mailberatung. Eine weitere Anlaufstelle ist das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ mit der Nummer 0800 22 55 530.
- Beratungsstellen in der Nähe: Wenn Sie persönlich mit einer Person über die sexuellen Gewalterfahrungen sprechen möchten, können Sie sich an eine Fachberatungsstelle in Ihrer Wohnumgebung wenden.
- Mediziner oder Medizinerinnen: Um das Erlebte zu verarbeiten, kann eine Psychotherapie sinnvoll sein – sprechen Sie mit Ihrem Hausarzt oder Ihrer Hausärztin über bestehende körperliche oder psychische Beschwerden. In der Praxis erhalten Sie bei Bedarf eine Überweisung für eine psychotherapeutische Praxis.
So erstatten Sie nach einem sexuellen Übergriff Anzeige
Sexualisierte und sexuelle Gewalt ist strafbar – das gilt für Vergewaltigungen ebenso wie für sexuelle Belästigungen oder sexuelle Nötigung. Es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie nach einem Übergriff Anzeige erstatten oder nicht. Lassen Sie sich unmittelbar nach der Tat von einem Mediziner oder einer Medizinerin untersuchen. So werden Beweise und Verletzungen dokumentiert. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter oder die Täterin in einem späteren Strafverfahren eine Verurteilung erhält. In einigen Städten führen sogenannte Gewaltschutzambulanzen die Untersuchung durch. Händigen Sie der Polizei gegebenenfalls Kleidungsstücke oder Tatgegenstände zur Spurensicherung aus. Haben Sie Kenntnis von sexuellen Vergehen an Kindern und Jugendlichen oder hegen Sie einen Verdacht, kontaktieren Sie das Hilfetelefon „Sexueller Missbrauch“ für weitergehende Informationen.
Diese Informationsbroschüren klären zusätzlich über Gewalt und sexuellen Missbrauch auf: