Zum Hauptinhalt springen
AOK WortmarkeAOK Lebensbaum
Gesundheitsmagazin

Psychologie

Placeboeffekt: Wie wirken Medikamente ohne Wirkstoff?

Veröffentlicht am:17.01.2022

5 Minuten Lesedauer

Wem als Kind schon mal auf eine Verletzung gepustet wurde, damit es ganz schnell besser wird, der hat früh Erfahrungen mit dem Placeboeffekt gesammelt. Aber wie und warum funktioniert er? Wie wirkungsvoll der Placeboeffekt sein kann.

Ein Arzt zeigt einer Patientin Tabletten und erklärt den Placeboeffekt.

© iStock / Nes

Was ist der Placeboeffekt?

Ein Medikament ohne Wirkstoff wird „Placebo“ oder „Scheinmedikament“ genannt. Laut Dr. Ulrike Bingel, Schmerzforscherin der Universität Hamburg, sprechen 20 bis 90 Prozent der Teilnehmer entsprechender Studien auf Placebos an. Sie empfinden beispielsweise eine Schmerzlinderung, obwohl das Medikament wirkstofffrei ist. Ein Placeboeffekt besteht dann, wenn nach Verabreichung eines Medikaments oder einer anderen Therapie eine erwünschte psychische oder körperliche Reaktion erfolgt, die jedoch nicht auf im Medikament enthaltene Wirkstoffe oder ein spezifisches Wirkprinzip der Therapie zurückzuführen ist.

Der Effekt betrifft nicht nur Scheinmedikamente, die keine Wirkstoffe enthalten. Auch „echte“ Medikamente können von ihm profitieren, da der Placeboeffekt ihre Wirkung verstärken kann. Auch bei anderen therapeutischen Maßnahmen spielen Placeboeffekte eine Rolle. Selbst nach Scheinoperationen oder einer Scheinakupunktur sind positive gesundheitliche Effekte feststellbar.

Eine Mama küsst das verletzte Knie des gestürzten Kindes.

© iStock / AJ_Watt

Bei Kindern wirkt der Placeboeffekt besonders gut: Ein Pflaster auf die Schramme und einmal pusten – schon tut es weniger weh.

So wirkt der Placeboeffekt

Zuallererst beruht der Placeboeffekt auf zwei psychischen Mechanismen:

  • Der erste Wirkfaktor ist die Erwartungshaltung des Patienten gegenüber dem Medikament. Bei Patienten, die eine bewusste positive Erwartung an ein verabreichtes Medikament haben, wirkt dieses im Durchschnitt besser als bei Patienten, die keine positive Wirksamkeitserwartung haben. Dies gilt für Scheinmedikamente, aber auch für echte Medikamente. Wesentlichen Einfluss auf die Wirksamkeitserwartung der Patienten hat die Verschreibung durch den Arzt und dessen Erläuterung der erwartbaren positiven Wirkung des Medikaments.
  • Der zweite Wirkfaktor sind Erfahrungen, die bisher mit Medikamenten gemacht wurden. Hat zum Beispiel ein echtes Schmerzmittel in der Vergangenheit zuverlässig gegen Schmerzen geholfen, geht der betreffende Patient unbewusst davon aus, dass ein Schmerzmittel auch erneut gut wirken wird. Dies führt im Sinne eines bedingten Reflexes dazu, dass auch ein Scheinmedikament ohne Wirkstoff gut gegen Schmerzen helfen kann.
  • Darüber hinaus haben weitere Faktoren Einfluss auf den Placeboeffekt: Dazu gehören Farbe, Form oder Größe der Scheinmedikamente. So wird bei Tabletten, Kapseln und Dragees in Rottönen eher eine stimulierende Wirkung erwartet, während mit Blautönen eher eine beruhigende Wirkung assoziiert wird. Zudem erzielten Placebos in einer Studie eine bessere Wirkung, wenn die Probanden annahmen, ein teures Medikament zu erhalten, als wenn sie davon ausgingen, ein sehr billiges Medikament zu bekommen.

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass sich der Placeboeffekt auch in körperlichen Veränderungen niederschlägt: So haben Wissenschaftler der Universität Hamburg herausgefunden, dass der Placeboeffekt die Schmerzwahrnehmung im Gehirn beeinflusst. Diesen Effekt kann man sogar auf MRT-Bildern erkennen.

Dabei spielen vor allem drei Gehirnregionen eine Rolle, die an der körpereigenen Schmerzhemmung durch Endorphine – vom Körper selbst ausgeschüttete, morphiumartige Substanzen – beteiligt sind. Über diese drei Hirnregionen entfalten auch echte Schmerzmedikamente wie Opiate und Opioide ihre Wirkung. Die Hamburger Wissenschaftler vermuten daher, dass Placeboschmerzmittel eine Endorphinausschüttung auslösen können und auf diese Weise ihren schmerzlindernden Effekt erzielen.

Passende Artikel zum Thema

Placebos: Diese Unterscheidung gibt es

Placebos werden insbesondere in klinischen Studien eingesetzt, wenn für ein neues Medikament überprüft werden soll, wie es wirkt. Dann erhält ein Teil der Studienteilnehmer das echte Medikament und der andere ein Placebo. Die Probanden erfahren jedoch nicht, in welcher Gruppe sie sind. Aufgrund des Placeboeffekts ist zu erwarten, dass sich das Befinden der Probanden der Kontrollgruppe (die das Placebo bekommen hat), etwas verbessern wird. Das Befinden der Probanden der Interventionsgruppe (die den Wirkstoff bekommen hat) sollte sich deutlich stärker bessern. Nur dann kann man davon ausgehen, dass das neue Medikament eine über den Placeboeffekt hinausgehende eigenständige Wirkung hat.

Man unterscheidet verschiedene Gruppen von Placebos:

  • Echte oder reine Placebos sind Scheinmedikamente, die nur pharmakologisch unwirksame Substanzen enthalten sowie eventuelle Hilfsstoffe zur Geschmackskorrektur oder Farbgebung.
  • Pseudoplacebos enthalten dagegen pharmakologisch wirksame Substanzen, allerdings in einer Dosis, die zu niedrig für eine spürbare Wirkung ist oder mit einem Wirkprinzip, das bei der jeweiligen Erkrankung keinen bekannten Effekt hat. Letzteres kann man sich etwa so vorstellen, als würde man jemandem ein Pflaster auf den Finger kleben, obwohl er sich am Fuß geschnitten hat. Pseudoplacebos werden beispielsweise in Studien eingesetzt, wenn man erreichen möchte, dass der Geschmack der Placebomedikamente dem echter Medikamente ähnlicher wird oder dass ein Placebomedikament ähnliche Nebenwirkungen verursacht, wie sie auch das echte Medikament typischerweise hat. Auf diese Weise kann beispielsweise verhindert werden, dass Studienteilnehmer anhand fehlender typischer Nebenwirkungen vermuten können, dass sie wahrscheinlich nicht in der Interventionsgruppe sind. Man spricht in diesem Fall auch von aktiven Placebos.
Doc Felix erklärt die Wirkungen der Scheinmedikamente noch mal genauer.

Funktioniert der Placeboeffekt nur bei Unwissenheit?

Dass ein Scheinmedikament für einen Patienten wirkt, der nichts davon weiß, kann man sich gut vorstellen. Doch hängt der Effekt von der Unwissenheit ab? Nein, denn Wissenschaftler fanden heraus, dass auch offen verabreichte Placebos helfen können. Dabei ist jedoch wichtig, dass neben der Information, dass ein Placebo verordnet wird, wieder eine positive Wirksamkeitserwartung induziert wird. Dies kann erreicht werden, indem bei der Verordnung darauf hingewiesen wird, dass Placebos schon vielen Menschen mit ähnlichen Gesundheitsbeschwerden gut geholfen haben. 

Wird der Placeboeffekt auch außerhalb von Studien genutzt?

Ärzte müssen grundsätzlich wirksame Therapien anwenden. Eine Placebogabe ist nicht zulässig, wenn es Maßnahmen gibt, die erfolgversprechender und wissenschaftlich unbestritten sind. Wenn mehrere gleich geeignete Therapien verfügbar sind, sollten Ärzte diejenige empfehlen, die den besten Heilerfolg und die wenigsten Nebenwirkungen erwarten lassen. Sollte unter dieser Prämisse der Einsatz von Placebos infrage kommen, muss der Arzt den Patienten ausreichend informieren, damit dieser das Für und Wider einer Placebotherapie selbst abwägen und so eine freie Entscheidung treffen kann.

Da für die meisten Erkrankungen erfolgversprechende Medikamente sowie andere Therapieansätze verfügbar sind, spielen Placebos außerhalb von Studien eine sehr geringe Rolle. Der Placeboeffekt hat aber trotzdem für den klinischen Alltag große Bedeutung. Er kann genutzt werden, um die positiven Effekte der verordneten wirkstoffhaltigen Medikamente noch einmal merklich zu verstärken. Deshalb sollten Ärzte idealerweise nicht einfach ein Rezept ausfüllen, sondern ihre Patienten auch genau über die erwartete Wirkung des verordneten Medikaments informieren.

Waren diese Informationen hilfreich für Sie?

Noch nicht das Richtige gefunden?