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Gehirn & Nerven

Morbus Sudeck: Interview mit einem Schmerzpatienten

Veröffentlicht am:14.10.2021

6 Minuten Lesedauer

Chronische Schmerzen werden von Patienten verständlicherweise als sehr belastend empfunden. Sie können den Alltag beeinträchtigen und die Freude an lieb gewonnenen Aktivitäten nehmen. Auch Dirk-Stefan hat chronische Schmerzen. Bei ihm wurde CRPS (Complex Regional Pain Syndrome) diagnostiziert.

Ein Mann liegt erschöpft und mit Schmerzen auf der Couch.

© iStock / Kanawa_Studio

Das komplexe regionale Schmerzsyndrom, auch Morbus Sudeck genannt, führt zu starken, anhaltenden Schmerzen in den Extremitäten. Eine organische Ursache finden die Mediziner in diesem Fall nicht, die Auslöser sind hingegen bekannter: typisch sind Verletzungen, Operationen oder Unfälle in der Vergangenheit.

Dirk-Stefan ist Vorstand der Morbus Sudeck Selbsthilfegruppe in Köln sowie vom CRPS Netzwerk gemeinsam stark. Im Interview verrät er uns, wie sein Alltag mit chronischen Schmerzen aussieht und was ihm hilft, die Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen.

Wie beeinflussen die Schmerzen deinen Alltag?

Die Schmerzen beeinflussen meinen Alltag teilweise stark. Wie stark, ist ganz unterschiedlich. Manchmal wache ich mit Schmerzen auf oder die brennenden Nervenschmerzen kommen aus dem Nichts. Deshalb muss ich sehr flexibel im Alltag sein. Dadurch, dass es sich praktisch um eine unsichtbare Erkrankung handelt, mussten die Menschen in meiner Umgebung erst lernen, auf mich Rücksicht zu nehmen. Das klappt jedoch gut. Wenn ich Pausen benötige, haben sie dafür Verständnis. Ich finde es wichtig, sich zwischendurch eine Auszeit zu nehmen und Termine auch einmal abzusagen, wenn es die Schmerzen gerade nicht zulassen.

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Hat sich deine Sicht auf das Thema Schmerzen mit der Zeit verändert?

Mittlerweile lebe ich seit acht Jahren mit CRPS. Auslöser war damals ein Unfall, bei dem ich mir den Fuß gebrochen habe. Nicht immer habe ich die Krankheit so gesehen wie jetzt. Ich durchlebte praktisch mehrere Etappen. Bis ich die Diagnose erhalten habe, hat es gedauert. Die Diagnose dann zu hören, war am Anfang natürlich hart. Im Internet wollte ich mich über die Erkrankung informieren, aber damals gab es noch kaum Informationen darüber. Um Gleichgesinnte zu finden und um mich auszutauschen, bin ich dann zu einer Selbsthilfegruppe nach Bremen gefahren.

Verständnis zu bekommen, war schön. Seither ist eine ganze Menge passiert. Mittlerweile nehme ich den Tag so an, wie er kommt. Ist es heute ein schlechter, freue ich mich darauf, dass morgen wieder ein guter kommt. Mir ist es wichtig, mich dem Schmerz nicht zu ergeben. Wenn ich morgens aufwache und meine Hände schmerzen, hinterfrage ich die Schmerzen nicht, sondern nehme den Tag an. Bei dieser Sicht auf die Dinge hat mir auch die Selbsthilfegruppe geholfen.

„Mir ist es wichtig, mich dem Schmerz nicht zu ergeben. Wenn ich morgens aufwache und meine Hände schmerzen, hinterfrage ich die Schmerzen nicht, sondern nehme den Tag an. Ich denke mir dann: Morgen wird bestimmt wieder ein guter Tag!“

Dirk-Stefan Droste
Vorstand der Morbus Sudeck Selbsthilfegruppe in Köln und Morbus-Sudeck-Patient

Wie ist es dir gelungen, deine Schmerzwahrnehmung zu beeinflussen?

Wie andere Patienten mit CRPS auch habe ich vieles ausprobiert. Physiotherapie, Spiegeltherapie und Lymphdrainage haben mir geholfen. Der Aufenthalt in einer Rehaklinik hat mir gezeigt, was es sonst noch für Möglichkeiten in der Therapie gibt. Um das Beste für mich herauszuholen, habe ich den Rat eines Arztes befolgt. Er hat einmal zu mir gesagt: „Du musst Dir das rausnehmen, was Dir hilft.“

Im Alltag nutze ich jetzt mehrere Strategien, um mit der Erkrankung und dem Schmerz umzugehen. Dadurch kann ich auch meine Schmerzwahrnehmung beeinflussen. Zum Beispiel habe ich für mich das autogene Training entdeckt. Wenn die Schmerzen zunehmen, ziehe ich mich zurück und führe die mentalen Übungen durch. Das unterstützt mich in akuten Situationen und ermöglicht es mir, in meinen Körper hineinzuhören. Ich habe aber auch andere Entspannungsmaßnahmen wie Muskelentspannung nach Jacobsen, Meditation und Entspannungsmusik ausprobiert. Die chinesische Medizin und die kraniosakrale Therapie finde ich ebenfalls hilfreich.  

Die Schmerzen beeinträchtigen mich natürlich nicht nur in der Freizeit, sondern auch teilweise im Beruf. Im Büro nutze ich deshalb Hilfsmittel wie eine Spracherkennungssoftware. Außerdem weiche ich auf die linke Hand aus, wenn mir die rechte Hand sehr schmerzt. Mit viel Übung habe ich mir beigebracht, auch mit links zu unterschreiben. Sich vom Schmerz abzulenken, ist auch eine gute Idee, deshalb sind soziale Kontakte für mich sehr wichtig.

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Haben dir Gespräche mit Familie oder Freunden geholfen?

Auf jeden Fall. Anfangs habe ich mich eingekapselt, dabei habe ich mich mit meinem Partner fast auseinandergelebt. Ich finde es wichtig, seinen Partner mit „reinzulassen“ und ihm die Möglichkeit zu geben, an der Erkrankung teilzunehmen. Wenn ich schauspielere, so tue, als wenn alles in Ordnung ist, und mir eine Kulisse aufbaue, bin ich am Ende alleine mit meinem Schmerz – das hilft niemandem. Seit der Diagnose habe ich außerdem ein viel engeres Verhältnis zu meinen Eltern. Durch intensive Gespräche haben sie das Gefühl, dass sie dazugehören. Auch mit meinem Chef tausche ich mich regelmäßig aus. Familie, Freunde und mein Arbeitgeber wissen, dass es Tage gibt, an denen es geht, und andere wiederum, an denen es nicht geht.  

„Wenn ich schauspielere, so tue, als wenn alles in Ordnung ist, und mir eine Kulisse aufbaue, bin ich am Ende alleine mit meinem Schmerz – das hilft niemandem.“

Dirk-Stefan Droste
Vorstand der Morbus Sudeck Selbsthilfegruppe in Köln und Morbus-Sudeck-Patient

Welche positiven Erkenntnisse hast du für deine Gesundheit erhalten?

Die wohl wichtigste Erkenntnis ist für mich, dass die Gesundheit an erster Stelle steht. Das war nicht immer so. Früher war die Arbeit meine oberste Priorität. Heute stelle ich die Arbeit zurück, wenn die Schmerzen die Oberhand gewinnen. Durch die Erkrankung habe ich auch ein besseres Körpergefühl bekommen. Ich habe gelernt, auf meinen Körper zu hören und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen. In dem Zusammenhang ist auch die Psychotherapie für mich wichtig.

Sie hat mir Antworten auf Fragen wie: „Was ist Schmerz?“, „Warum habe ich den Schmerz?“ und „Wie kann ich damit umgehen?“ geliefert. In mir ist dadurch der Gedanke gereift, dass auch ein Leben mit Schmerzen möglich ist. Ich trauere dem nicht nach, was ich nicht mehr kann. Stattdessen freue ich mich darüber, was heute geht – das treibt mich an!

Eine Person erhält eine physiotherapeutische Behandlung an den Waden.

© iStock / magann

Bei Morbus Sudeck kann Physiotherapie helfen, sich besser zu fühlen.

Was rätst du anderen Schmerzpatienten?

Ich rate anderen Patienten mit Schmerzen, die Symptome ernst zu nehmen. Schließlich sind sie Warnsignale des Körpers. Auch wenn man die Krankheit nicht sieht: Der Schmerz kann selbst die Krankheit sein. Nicht aufzugeben, ist besonders wichtig. Eine Psychotherapie hat mir selbst viel geholfen. Die Psychotherapie anzunehmen, bedeutet nicht, „nicht richtig im Kopf“ zu sein. Sie kann das Schmerzerleben beeinflussen, genau wie Entspannungsübungen. Meine Empfehlung ist daher, sich mit verschiedenen Ansätzen zu beschäftigen und das rauszupicken, was einem am besten hilft.

AOK Gesundheitsmagazin gibt neue Impulse für Schmerzpatienten

Eine wichtige Botschaft für Menschen mit chronischen Schmerzen ist, dass Schmerzen positiv beeinflussbar sind. Dazu braucht es nicht immer Medikamente, auch das Verstehen von psychosomatischen Zusammenhängen kann die Lebensqualität aktiv steigern. Das AOK Gesundheitsmagazin gibt unter anderem regelmäßig spannende Impulse zum Thema Achtsamkeit, Wohlbefinden und Entspannung. Wer achtsamer mit sich selbst umgeht, schenkt den glücklichen Momenten mehr Aufmerksamkeit, was auch bei der Schmerzbewältigung helfen kann.

Neben Entspannung und mehr Achtsamkeit ist unter Umständen auch eine ambulante Psychotherapie sinnvoll. Sie kann neue Sichtweisen ermöglichen und Schmerzpatienten im Alltag unterstützen. Die AOK übernimmt dafür die Kosten, wenn eine Behandlung bei der Schmerzbewältigung hilft.

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