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Ergotherapie für Kinder – was ist das, was passiert da?
Veröffentlicht am:13.06.2025
5 Minuten Lesedauer
Sich selbst anziehen, die Gabel zum Mund führen oder sich in eine Gruppe einfügen – für viele Kinder ist das selbstverständlich. Einige Kinder benötigen jedoch Unterstützung im Alltag. Die Ergotherapie kann dem Nachwuchs zu mehr Selbstständigkeit verhelfen.

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Was ist eine Ergotherapie für Kinder?
Von außen betrachtet sieht alles sehr spielerisch aus: Eine Therapeutin oder ein Therapeut wirft einem Kind einen Ball zu, in einer anderen Sitzung klettert ein Junge eine kleine Sprossenwand hinauf. Doch hinter solchen vermeintlich simplen Übungen steckt ein ausgereiftes Konzept. Die Ergotherapie richtet sich an Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Verhaltensauffälligkeiten. Mit regelmäßigen Terminen, in der Regel einmal pro Woche, arbeiten Therapeuten und Therapeutinnen daran, die Selbstständigkeit im Alltag zu fördern. Dafür entwickeln sie einen individuellen Behandlungsplan, denn die Kinder, die in die Ergotherapie kommen, sind sehr unterschiedlich: Einige von ihnen reagieren in Konfliktsituationen auffallend aggressiv, andere haben in der Schule Schwierigkeiten mit der Stifthaltung, obwohl sie zu Hause üben. Damit Kinder im Alltag handlungsfähiger werden, also mehr Aufgaben selbst übernehmen können, arbeitet die Ergotherapie in vielen Fällen eng mit der Physiotherapie zusammen. Der Unterschied zwischen Ergotherapie und Physiotherapie besteht darin, dass sich die Physiotherapie ausschließlich auf den Körper konzentriert, während die Ergotherapie zusätzlich psychologische und soziale Aspekte berücksichtigt.
Wie läuft eine Ergotherapie für Kinder ab?
Wenn kleine Patienten oder Patientinnen in eine Praxis für Ergotherapie kommen, verschaffen sich die Therapeuten und Therapeutinnen zunächst einen Überblick. Sie führen ein sorgfältiges Aufnahmegespräch und eine ergotherapeutische Befunderhebung, das sogenannte Assessment, durch. Dabei können von Betreuungspersonen oder Lehrkräften ausgefüllte Fragebögen, Gespräche mit den Eltern und ein direkter Austausch mit dem Kind unterstützen. Ehe Kinder dann mit den Übungen beginnen, entwickeln Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen einen Therapieplan. Dieser hält genau fest, welche Einschränkungen therapiert und welche Fertigkeiten geübt werden sollen. Dabei haben die Fachkräfte stets das große Ganze im Blick: Ein Kind mit einer unfallbedingten Lähmung des Daumens lernt in der Ergotherapie nicht nur, sich künftig wieder allein die Schuhe zuzubinden, sondern auch, wie es andere Aufgaben im Alltag bewältigt.
Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen sprechen künstlerische, manuelle, geistige und handwerkliche Fähigkeiten an – das klappt unter anderem mit Malen, Klettern, Kneten und Denkaufgaben. In der Regel haben Kinder in der Ergotherapie eine feste Bezugsperson. Die Therapie kann entweder in Einzelsitzungen, in Kleingruppen oder als Gruppentherapie stattfinden – eine Gruppentherapie eignet sich vor allem zur Schulung der kommunikativen und sozialen Fähigkeiten. Was Eltern bei einer Ergotherapie für Kinder erwartet und was sie selbst tun können, um die Erfolge zu unterstützen, klären Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen zu Beginn der Behandlung.
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Welche Übungen werden bei der Ergotherapie für Kinder gemacht?
Die Ergotherapie umfasst ein großes Repertoire an Übungen, die Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen passgenau für jedes Kind auswählen. Was man bei der Ergotherapie macht, ist also sehr unterschiedlich. Im Vordergrund stehen spielerische Übungen, um zum Beispiel die Sinneswahrnehmung, die Konzentrationsfähigkeit, das Bewegungsverhalten, die Geschicklichkeit oder das Körpergefühl zu verbessern.
Folgende Praxisbeispiele geben einen Überblick:
- Einem Kind gelingt die korrekte Stifthaltung in der zweiten Klasse nicht: In einem Schreibmotoriktraining übt der Ergotherapeut oder die Ergotherapeutin die richtige Stifthaltung und das Schreiben – das Kind lernt so, flüssiger zu schreiben, verkrampft die Hand nicht mehr und drückt den Füller nicht zu fest aufs Papier.
- Ein Kind mit Autismus weigert sich, im Schulbus mitzufahren: Der Ergotherapeut oder die Ergotherapeutin analysiert anhand von Gesprächen mit den Eltern und Lehrpersonen die Situation. Dabei zeigt sich, dass sich das Kind auf dem Sitz hinter dem Busfahrer besonders wohlfühlt. Außerdem stellt sich heraus, dass das Kind Berührungen durch andere Fahrgäste, wie das Tippen auf die Schulter, als störend empfindet – die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer bittet die Mitschüler und Mitschülerinnen, auf die Empfindungen des Kindes Rücksicht zu nehmen.
- Ein Kind mit Entwicklungsstörung kann nicht Fahrrad fahren: Das Kind wünscht sich mit seinem Mitschüler zur Schule zu fahren, motorische Schwierigkeiten verhindern das jedoch bislang. Der Ergotherapeut oder die Ergotherapeutin findet heraus, dass das Kind beim Aufsteigen auf das Fahrrad aus dem Gleichgewicht gerät – mit Übungen, wie dem Balancieren auf einem am Boden liegenden Seil oder der Überwindung eines Hindernisparcours, trainiert das Kind gemeinsam mit dem Behandler oder der Behandlerin den Gleichgewichtssinn.
Übungen für zu Hause
Viele Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen geben Eltern „Hausaufgaben“ in Form von Übungen für zu Hause mit. Sie vertiefen erste Erfolge und sprechen die Sinne an. Eltern können dafür rund zehn Minuten pro Tag einplanen. Hier einige Beispiele für solche Übungen:
- Feinmotorik: Papier in kleine Stücke reißen, Muster ausschneiden, Freundschaftsbänder knüpfen oder mit einem Webrahmen weben.
- Gleichgewicht: Auf der Tellerschaukel schaukeln, einen aufgeblasenen Luftballon auf einem Badmintonschläger zum Ziel bringen, auf Bordsteinkanten oder liegenden Baumstämmen balancieren.
- Körperwahrnehmung: Trampolinspringen, Seilziehen, mit Körperfarben in der Badewanne experimentieren, sich selbst die Haare bürsten.
- Konzentration: Rechenaufgaben (von 100 herunterrechnen, dabei immer zwei abziehen), „Ich packe meinen Koffer“, Wörter rückwärts buchstabieren, Memory spielen.
- Wahrnehmung, Merkfähigkeit und Aufmerksamkeit: Versteckte tickende Wecker oder Eieruhren finden, auf dem Keyboard Melodien nachspielen, „Stille Post“.

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Wann bietet sich Ergotherapie für Kinder an?
Kinder entwickeln sich unterschiedlich schnell. Kann ein Kind nicht im selben Alter wie andere mit dem Füller schreiben oder schwimmen, bedeutet das nicht automatisch, dass eine krankhafte Entwicklungsverzögerung vorliegt.
In folgenden Fällen kann eine Ergotherapie jedoch hilfreich sein:
- Die körperliche Beweglichkeit und Geschicklichkeit des Kindes sind stark eingeschränkt, was zum Beispiel im Sportunterricht auffällt.
- Das Kind hat Schwierigkeiten, sich seinem Alter entsprechend selbst zu versorgen, unter anderem beim Anziehen, beim Essen oder beim Toilettengang.
- Das Kind kann sich nur schwer in eine Gruppe einbringen, weil es kontaktscheu, ängstlich, unruhig oder aggressiv ist.
Wer verordnet Ergotherapie für Kinder?
In der Regel verordnen Kinderärzte oder Kinderärztinnen die Ergotherapie für Kinder, in der Regel zunächst zehn Behandlungseinheiten, à 30 bis 60 Minuten. Die Ergotherapie findet meist in Ergotherapiepraxen, aber auch in Einrichtungen zur Frühförderung, in Kliniken und Ambulanzzentren statt. Eltern nehmen am besten direkt nach dem Erhalt der Verordnung Kontakt mit einer entsprechenden Praxis auf, da Ergotherapeuten und Ergotherapeutinnen oft gut gebucht sind.
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