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Gesundheitsmagazin

AOK Hessen

Selbsthilfe: schwierige Situationen gemeinsam meistern

Veröffentlicht am:17.07.2023

5 Minuten Lesedauer

Aktualisiert am: 29.01.2024

Ob Sucht, Behinderung oder schwere Krankheit – bei der Selbsthilfe finden Betroffene ein offenes Ohr und vor allem guten Rat für den Umgang mit persönlichen Herausforderungen. Selbsthilfe ist in Deutschland fester Bestandteil des Gesundheitswesens.

Eine Selbsthilfegruppe sitzt als Kreis auf einer Wiese und strecken ihre Hände in die Mitte.

© Adobe Stock / Rawpixel.com

Porträt von Susanne Strombach

© AOK

Nirgendwo sonst wird Selbsthilfe für so viele Krankheitsbilder gefördert wie bei uns. Susanne Strombach arbeitet im Selbsthilfebüro der AOK Hessen. Im Interview erzählt sie, wie sich Menschen durch die Selbsthilfe in schwierigen Situationen gegenseitig Halt geben.

Warum Selbsthilfe so wichtig ist

Frau Strombach, was ist eigentlich „Selbsthilfe“?

Wenn Menschen eine schwere Diagnose erhalten, kann sie ihr Arzt oder ihre Ärztin fachlich gut beraten. Doch anschließend fühlen sich viele mit ihren Sorgen, Ängsten und Unsicherheiten allein gelassen. Sie können sich zwar über die Krankheit informieren, kommen aber oftmals ab einem gewissen Punkt einfach nicht mehr weiter. Es beginnt eine gefühlsmäßige Talfahrt. Zu der körperlichen Natur der Krankheit kommt dann noch die seelische Seite hinzu. Was macht die Krankheit mit mir und wie soll ich damit umgehen? Genau an diesem Punkt, oder besser noch viel früher, kann die Selbsthilfe unterstützen. In den Selbsthilfegruppen erfolgt ein Austausch mit anderen. Betroffene können in der Gruppen offen über ihre Gefühle und Fragen sprechen. Sie teilen ihr Wissen und ihre persönlichen Erfahrungen. So können sie einander auch emotional Halt geben. Denn sie wissen, wie es ist, mit einer schweren Diagnose zu leben. Viele Betroffene lesen viel, machen Fortbildungen und werden so über Jahre zu Expertinnen und Experten für ihre eigene Erkrankung. Sie kennen oftmals den neusten Stand der Wissenschaft, manche Therapien haben sie selbst ausprobiert und ihre Erkrankung womöglich sogar überwunden. Dieses Wissen teilen sie mit anderen. Die Krankheit verstehen und als Mensch verstanden werden, das steht im Zentrum der Selbsthilfe.

Können Sie uns einen Einblick geben, wie „Selbsthilfegruppen“ wirken?

Selbsthilfegruppen haben nur wenig mit dem Klischee von Kaffee, Keksen und Stuhlkreis gemeinsam. In meiner jahrelangen Erfahrung hat sich ein ganz anderes Bild gezeigt. Es gibt nicht „die Selbsthilfegruppe“, sondern jede Selbsthilfegruppe ist anders. Manche mieten für ihre Gesprächstreffen eigene Räume an, andere treffen sich in einem Vereinsheim oder an anderen Orten. Alle verbindet der Gedanke: Wenn ich gesund werden will, geht das schneller, wenn ich psychisch stark und stabil bin. Verständnis, Vertrauen und gute Stimmung sind förderlich für die Heilung. So gehen die gemeinsamen Aktivitäten deutlich über die Gesprächsgruppen hinaus. Die Teilnehmenden machen aber auch gemeinsame Ausflüge ins Grüne, sie essen und feiern zusammen. Manche besuchen auch Gesundheitsmessen, Tagungen und Seminare, die der Krankheitsbewältigung dienen. Viele Gruppen sprudeln nur so vor Kreativität. Manche entwickeln auch gemeinsam Broschüren und erstellen sogar Bücher. Die starke Gemeinschaft bringt tolle Projekte hervor! Und manche Teilnehmenden bleiben der Gruppe oft auch dann noch verbunden, wenn sie eine Krankheit erfolgreich überwunden haben.

„Alle [Selbsthilfegruppen] verbindet der Gedanke: Wenn ich gesund werden will, geht das schneller, wenn ich psychisch stark und stabil bin.“

Susanne Strombach
Mitarbeiterin im Selbsthilfebüro der AOK Hessen

Was ist mit den Angehörigen wie Eltern, Ehepartnern oder Freunden? Ist da Selbsthilfe auch ein Thema?

Ja, natürlich – sie sind eine ganz erhebliche Stütze für die Betroffenen. Viele opfern sich auf und laufen so Gefahr, selbst an ihre Grenzen zu stoßen. Darum ist auch für die Angehörigen ein Austausch wichtig. Wie gehen andere mit der Situation um? Wie kann ich helfen und dabei gleichzeitig auch auf mich selbst achtgeben? Die Angehörigen stellt eine Erkrankung oft vor ganz andere Herausforderungen als die Betroffenen. Besonders bei Suchterkrankungen und psychischen Leiden gibt es daher getrennte Gruppen für beide Seiten. Je besser das Verständnis von Krankheit und Situation ist, desto besser können Angehörige sich einbringen. Damit tragen sie einen wichtigen Teil zur Genesung des Betroffenen bei und stärken ganz entscheidend unser Gesundheitssystem.

Welche Formen und Möglichkeiten gibt es? Beeinflusst auch die Digitalisierung die Selbsthilfe?

Es gibt Gruppen, die Online-Angebote haben und sich u.a. in geschlossenen Chats unterhalten oder auch ihre Gruppentreffen online durchführen. Es gibt sogar Gruppen die eigene Apps entwickelt haben. Insbesondere junge Menschen, die neue Gruppen gründen, sind deutlich digitaler unterwegs. Das Engagement der jüngeren Generationen ist dabei eine große Bereicherung. Trotz der digitalen Möglichkeiten sind diese jedoch lediglich eine Ergänzung zum direkten Kontakt. Denn es geht nicht selten um ergreifende Themen und emotionale Achterbahnfahrten. Da ist es etwas anderes, ob man sich nur online sieht und hört oder sich in die Arme nehmen kann. Der Kontakt zwischen uns Menschen hat eine ganz andere Qualität, weil dies all unsere Sinne berührt.

Eine junge Frau spricht mit anderen Personen in einer Selbsthilfegruppe.

© Adobe Stock / Photographee.eu

Der direkte Kontakt in einer Selbsthilfegruppe stärkt das Vertrauen und Verständnis.

Die Zukunft der Selbsthilfe

Würden Sie uns einen Ausblick geben, wie Sie die Zukunft der Selbsthilfe sehen?

Eine große Veränderung beinhaltet die Information über Krankheiten. Früher war hierbei die Selbsthilfe wichtig, weil die Menschen nach Infos suchten und sich informieren wollten. Heute unterstützt die Selbsthilfe dabei, mit der Vielfalt an Infos umzugehen. Online erhalten wir schnell eine Fülle an aktuellen Informationen. Selbsthilfe kann helfen, diese zu sortieren und zu verarbeiten. Was ist wichtig und richtig, was nicht? Betroffene müssen bei ihrer Recherche nach seriösen Gesundheitsinformationen nicht bei null anfangen. Jeder in der Selbsthilfegruppe kann darauf zurückgreifen, was andere wissen und erlebt haben. Auch rund um das Leben mit der Diagnose gibt es Rat. Es geht um gelebtes Wissen – nicht nur um die Zahlen und Fakten aus der Fachliteratur, sondern um Emotionen, Ängste, Hoffnungen und Perspektiven. Genau aus diesen Gründen ist die Nachfrage im Bereich Selbsthilfe nach wie vor groß und wird es gewiss auch in Zukunft bleiben.

„Betroffene müssen bei ihrer Recherche nach seriösen Gesundheitsinformationen nicht bei null anfangen. Jeder kann darauf zurückgreifen, was andere wissen und erlebt haben.“

Susanne Strombach
Mitarbeiterin im Selbsthilfebüro der AOK Hessen

Jeder Mensch ist anders. Wie finde ich das passende Selbsthilfeangebot für mich?

Hilfreiche Anlaufstellen sind zum Beispiel spezialisierte Internetseiten wie ACHSE, die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen, die nationale Kontaktstelle für Selbsthilfegruppen NAKOS sowie die BAG-Selbsthilfe, die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V., und die DAG-SHG, die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. Darüber hinaus finden sich im Internet viele Selbsthilfekontaktstellen, die man einfach anrufen kann, wenn man nach einer Gruppe sucht. Und natürlich können sich Interessierte jederzeit auch direkt an das Selbsthilfebüro der AOK Hessen wenden.

Frau Strombach, was genau bietet denn das Selbsthilfebüro der AOK Hessen?

Wir sind für Betroffene eine wichtige Anlaufstelle, sind für sie da und können Selbsthilfegruppen vermitteln. Zudem informieren wir regelmäßig zu gesundheitspolitischen Themen und Veranstaltungen in unserem Newsletter „inKONTAKT“ und in unserem Magazin „Forum plus“. Auch vor Ort sind wir präsent. Im Rahmen unserer Veranstaltungsreihe „Selbsthilfe im Dialog bieten wir jedes Jahr an verschiedenen Standorten in ganz Hessen Vorträge und Workshops an. Darüber hinaus fördern wir die Selbsthilfe auch finanziell. Allein in Hessen stellen die gesetzlichen Kassen jährlich gemeinsam rund sechs Millionen Euro zur Verfügung. Ein Teil dieser Mittel kommt individuellen Projekten zugute, ein anderer Teil ist für die Basisarbeit der Selbsthilfe gedacht.

Digitale Selbsthilfegruppen der AOK Hessen

Die AOK Hessen bietet verschiedene digitale Angebote und Selbsthilfeprogramme.

Unser kostenfreies Online-Programm „moodgym“ unterstützt dich interaktiv, wenn du dich abgeschlagen fühlst und den Verdacht auf eine Depression hegst. Angehörigen von depressiven Menschen bietet der AOK-Familiencoach Depression eine wertvolle Stütze. Und bei unserem kostenlosen Programm „Stress im Griff“ bist du genau richtig, wenn du Stress reduzieren und gelassener durch den Alltag gehen möchtest.


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