Neurodiversität im Unternehmen: Vielfalt nutzen, Potenziale entfalten

Ob mit ADHS, Autismus oder Dyslexie – neurodivergente Beschäftigte bringen besondere Stärken mit. Viele Unternehmen schöpfen das Potenzial dieser Menschen noch nicht aus. Wer Arbeitsbedingungen gezielt ausrichtet und Teams für neurodiverse Perspektiven sensibilisiert, schafft nicht nur ein inklusives Miteinander, sondern profitiert auch: durch mehr Motivation, offenes Betriebsklima und neue Impulse für Innovation und Zusammenarbeit.

Was Neurodiversität bedeutet

Neurodiversität beschreibt die angeborene neurologische Vielfalt von Menschen, also unterschiedliche Arten zu denken, wahrzunehmen und zu arbeiten. Sie umfasst sowohl neurotypische Menschen (die der statistischen Mehrheit entsprechen) als auch neurodivergente; zum Beispiel Menschen mit ADHS, Autismus oder Lernvarianten der Dyslexie. Dabei wird Menschen mit zum Beispiel ADHS besondere Kreativität zugeschrieben, Autismus gilt als besondere Fähigkeit, mit Logik oder Zahlen umzugehen – wobei dies lediglich generelle Zuschreibungen sind, die individuell sehr unterschiedlich sein können.

„Neurodivergente Menschen sind nicht ,krank‘, sie sind anders als die Mehrheit“, bringt es Prof. Dr. Dirk Windemuth, Psychologe und Direktor des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IAG), auf den Punkt. „Ein Firmenchef drückte es so aus: Neurodiverse Menschen haben ein anderes Betriebssystem, keinen Systemfehler.“

 

Betriebswirtschaftlich relevant

Gerade für Unternehmen auf Fachkräftesuche lohnt es sich darum, genauer hinzusehen. Denn neurodivergente Menschen sind überproportional häufig arbeitslos, obwohl sie mit ihren Stärken wie Mustererkennung, außergewöhnlichem Gedächtnis oder kreativem Denken in vielen Bereichen einen echten Mehrwert bieten könnten.

Stärken erkennen

Noch immer dominiert in der Gesellschaft eine defizitorientierte Sichtweise, auch bei Betroffenen selbst. „Statt nachzuschauen, was jemand nicht kann, sollten wir besser fragen, wo jemand besonders gut ist“, ermutigt Windemuth. „Entscheidend ist der richtige Einsatzbereich.“ Denn wird eine Person dort eingesetzt, wo ihre Schwächen zutage treten – etwa ein sehr kommunikativer Job für jemanden mit Autismus –, führt das zu Frust, Stress und letztlich zum Scheitern. Darum ist es wichtig, einen anderen Blick für die Fähigkeiten von Menschen zu entwickeln.

 

Mensch und Aufgabe verbinden

Manche IT-Unternehmen haben ganze Abteilungen, in denen gezielt Autisten an besonderen Aufgabenstellungen arbeiten, da sie sich durch eine hohe Detailgenauigkeit und logisches Denken ausweisen und sich über einen langen Zeitraum konzentrieren können. Windemuth nennt als weiteres Beispiel den Beruf des Recognizers – Menschen mit extrem bildhaftem Gedächtnis, die sich Gesichter in unglaublicher Geschwindigkeit merken können. „Diese arbeiten bei der Polizei, schauen sich Fahndungsfotos an und sind in der Lage, die Personen bei Großveranstaltungen aus der Masse heraus zu erkennen“, so der Psychologe. Personalentwicklung, die Gesundheit und Fähigkeiten der Menschen mitbedenkt, bedeutet für ihn: echte Passung zwischen Mensch und Aufgabe zu erreichen.

Rahmenbedingungen schaffen

Neuroinklusives Arbeiten heißt also nicht, Diagnosen zu betrachten, sondern die Arbeit entsprechend zu gestalten. Reizüberflutung, starrer Zeitdruck oder überkomplexe Tools sind für viele Beschäftigte gesundheitlich stark belastend – aber für neurodivergente in besonderem Maße. „Was für ADHS-Betroffene hilfreich ist, tut meist der Gesundheit der ganzen Belegschaft gut“, betont Windemuth. „Der Aufwand ist oft geringer als gedacht und zahlt sich für alle aus.“ Kleine Veränderungen zeigen dabei große Wirkung:

Das können Arbeitgeber tun

  • Reizarme Umgebungen: Fokus-Modus in Programmen wie Word, weniger Pop-ups, ruhige Räume
  • Flexible Arbeitszeiten: Konzentrationsphasen respektieren, Pausen bedarfsgerecht gestalten
  • Klare Strukturen: eindeutige Aufgaben, visuelle Orientierung, nachvollziehbare Prozesse
  • Technische Hilfen: zum Beispiel Noise-Cancelling-Kopfhörer, Anpassungen bei Schrift und Bildschirmdarstellung

Inklusion: Team und Führung sensibilisieren

Inklusion gelingt, wenn alle Beteiligten in das Miteinander einbezogen werden, vom Team bis in die Führungsetage. „Neurodivergente Menschen erwarten keinen Sonderstatus, aber Respekt und Verständnis“, gibt Windemuth zu bedenken. „Führung sollte klar, verlässlich und ressourcenorientiert sein. Ein wertschätzender Umgang, Feedbackkultur und das Anerkennen individueller Wege zur Zielerreichung sind entscheidend – wie für alle anderen Menschen auch.“ 

Der Experte für Neurodivergenz nennt Dos & Don’ts im Umgang mit neurodiversen Mitarbeitenden:

Dos & Don’ts im Umgang mit neurodivergenten Mitarbeitenden

  • Gespräche auf Augenhöhe führen
  • Stärken klar benennen und gezielt einsetzen
  • Schwächen ansprechen – aber immer lösungsorientiert
  • Nicht durch Reizflut, Multitasking oder unklare Zuständigkeiten überfordern
  • Keine pauschalen Erwartungen formulieren („Das kann doch jeder schaffen“)

Praxistipps für den Alltag

Wer neurodivergente Talente einbinden will, kann sofort beginnen. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Menschen mit besonderen Fähigkeiten sehr gut selbst wissen, dass sie bestimmte Dinge besser können als neurotypische Personen. Die Frage ist, ob diese Fähigkeiten in Bewerbungsgesprächen und später am Arbeitsplatz gewünscht sind und Wertschätzung erfahren. Dirk Windemuth nennt als wichtigste Schritte für die Integration neurodivergenter Menschen – ob mit oder ohne Diagnose – in die Arbeitswelt:

1. Andersartigkeit zulassen: Nicht die Anpassung an die Norm ist das Ziel, sondern Vielfalt als Stärke zu erkennen.

2. Bewerbungsverfahren öffnen und gegebenfalls anpassen: Menschen mit besonderen Denkstilen bewusst einladen, zudem hat lange nicht jeder eine Diagnose.

3. Arbeitsumgebung anpassen: Licht, Lärm, Software – oft reichen kleine Veränderungen.

4. Beratung nutzen: Integrationsämter, Inklusionsberatende, die gesetzliche Unfallversicherung und auch Expertinnen und Experten der AOK oder von extern unterstützen beim Einstieg.

5. Gesamtteam einbeziehen: Was neurodivergenten Mitarbeitenden hilft, entlastet oft auch alle anderen.

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Stand

Erstellt am: 16.07.2025

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