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Achtsamkeit

Toxic Positivity – der Zwang zum Glücklichsein

Veröffentlicht am:06.01.2022

5 Minuten Lesedauer

Toxic Positivity bedeutet, negativen Gefühlen keinen Raum zu lassen, sondern sie stattdessen wegzulächeln. Warum dieses zwanghafte Glücklichsein krank machen kann und wie Medien unser eigenes Glücksempfinden beeinflussen.

Zwei jugendliche Mädchen betrachten glücklich den Sonnenuntergang. Toxic Positivity kann auch Freundschaften belasten.

© iStock / StefaNikolic

Was ist Toxic Positivity?

Sie wurden entlassen und Sie denken, das ist das Beste, was Ihnen passieren konnte? Probleme sind Ihrer Meinung nach nur Herausforderungen, die Ihnen zukünftig zu mehr Erfolg verhelfen? Diese Denkweise erscheint für andere auf den ersten Blick erstrebenswert. Schließlich gelingt es Ihnen scheinbar mühelos, mit Konflikten im Alltag umzugehen. Dahinter kann aber auch ein Phänomen stecken, das Experten „Toxic Positivity“ nennen der Zwang, alles positiv zu sehen und sich glücklich fühlen zu müssen, auch wenn man es nicht ist. Wie so oft macht auch hier die Dosis das Gift.

Optimismus kann Menschen helfen und ist Teil der kognitiven Verhaltenstherapie. Psychotherapeuten leiten dabei zum Beispiel Patienten mit Depressionen dazu an, negative Gedanken durch positive Gedanken zu ersetzen. Wenn Sie sich auf das Positive konzentrieren, können Sie aus unangenehmen Erfahrungen lernen und sich weiterentwickeln.

Für psychisch gesunde Menschen sollte Positivität allerdings nicht das einzige Werkzeug sein, auf das sie im Leben zurückgreifen. Das Unterdrücken unangenehmer Gefühle kann laut Psychologen schädliche Folgen für die mentale Gesundheit und die Beziehung zu Mitmenschen haben.

#goodvibesonly – hier begegnet uns Toxic Positivity

Derzeit können Sie 14.663.781 Einträge bei Instagram unter dem #goodvibesonly finden. Natürlich gibt es noch andere verwandte Hashtags wie #positivity oder #positivegedanken. Sie alle haben gemeinsam, dass sie mit lächelnden Gesichtern, einem einzigartigen Lifestyle oder Sinnessprüchen das Positive betonen. Negative Gedanken sind hier nicht erwünscht. Kein Wunder, denn erfahrungsgemäß sorgen positive Inhalte für mehr Likes und diese wiederum sprechen das Belohnungszentrum im Gehirn an und lösen Glücksgefühle aus.

Die positive Anerkennung ist für einige Social-Media-Nutzer wie eine Art Droge. Für Sie als Betrachter ist jedoch das Problem, dass Sie sich häufig nicht davon freimachen können, Vergleiche zu ziehen, wenn Sie immerzu positive Beiträge sehen. Irgendwann kommen vielleicht auch Sie an einen Punkt, an dem Sie sich selbst dafür verantwortlich machen, nicht jeden Tag lächeln zu können. Auf der Suche nach einem besseren Mindset (innere Haltung) kann man auf eine große Auswahl an Ratgebern stoßen. Die Quintessenz ist dabei häufig: „Wenn du dich nur genügend anstrengst, kannst du immer glücklich sein.“ Dieser Druck trägt jedoch kaum zur Zufriedenheit bei, sondern schafft womöglich wieder neue Probleme.

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Wenn der Zwangsoptimismus krank macht

Ihr Gemütszustand verändert sich, das ist völlig normal. Es ist menschlich, nicht immer glücklich zu sein. Schließlich fühlt sich niemand jeden Tag gleich. Genau das wird mit der Toxic Positivity geändert, zumindest augenscheinlich. Bei jeder schlechten Schwingung verordnen sich Anhänger des Phänomens selbst ein Rezept für gute Laune.

Doch das kann langfristig Spuren hinterlassen, denn:

  • Toxic Positivity ignoriert die eigenen Gefühle: Sie wurden von Ihrem Chef kritisiert und empfinden das als ungerecht. Dann ist es völlig normal, dass Sie sich traurig oder wütend fühlen. Diese Gefühle zuzulassen, ist wichtig, denn sie stoßen Transformationsprozesse in Ihnen an. Das schafft die Möglichkeit, die Kritik aufzuarbeiten und ein Gespräch mit Ihrem Arbeitgeber zu suchen. Wenn Sie daraufhin gemeinsam eine Lösung finden und sich wahrgenommen fühlen, schafft das ein positives Erlebnis. Konkrete Emotionen wie Angst oder ein „schlechtes Bauchgefühl“ können nützlich sein und uns vor gefährlichen oder enttäuschenden Situationen bewahren. Grundsätzlich hat jede Emotion ihre Berechtigung, egal, ob Sie diese als angenehm oder unangenehm empfinden. Längerfristiges Unterdrücken von Emotionen kann psychisch krank machen.
  • Toxic Positivity belastet Beziehungen: Gefühle miteinander zu teilen, sowohl negative als auch positive, das zeichnet Beziehungen aus. Wenn Sie jedoch glauben, dass Ihre schlechte Laune nicht gesellschaftsfähig ist, meiden Sie vielleicht soziale Kontakte oder gaukeln Ihren Mitmenschen etwas vor. Das ist nicht nur anstrengend, sondern wirkt auf andere verkrampft und gekünstelt. Dies kann auf lange Zeit auch einsam machen. Auf die Frage „Wie geht es dir?“ dürfen Sie ruhig ehrlich antworten. „Mir geht es heute nicht so gut“ ist ein guter Gesprächseinstieg und hilft Ihnen dabei, sich etwas von der Seele zu reden. Auf diese Weise sammeln Sie nicht unentwegt negativen Ballast, sondern geben schlechte Gedanken frei.
  • Toxic Positivity löst Selbstzweifel aus: Manche Ratgeber und soziale Medien signalisieren uns, dass wir mit der richtigen Einstellung immer glücklich sein können. Dadurch kann der Gedanke in uns heranreifen, dass irgendetwas mit uns nicht stimmt, wenn wir nicht ständig lächeln. Das ist ein fataler Trugschluss, der zu hartnäckigen Selbstzweifeln führen kann. Kommen dann die richtigen Instagram-Posts mit freudigen Gesichtern um die Ecke, schwirrt ständig die Frage in Ihrem Kopf herum: „Alle sind glücklich, nur ich nicht, was mache ich falsch?“ Genau an diesem Punkt kann Toxic Positivity die eigene Wahrnehmung verzerren, Stress auslösen und sehr unglücklich machen.

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Eine Frau sitzt auf dem Sofa und surft in den sozialen Netzwerken, wo sie mit Toxic Positivity konfrontiert wird.

© iStock / fotostorm

Soziale Netzwerke wie Instagram erzeugen oft ein Bild ständiger Glückselig- und Zufriedenheit. Zu sehr mit dieser Positivität konfrontiert zu sein kann toxisch werden und Selbstzweifel verursachen.

Raus aus der Feelgood-Falle: 3 Tipps

Halten wir fest: Positive Schwingungen zu erzwingen und die eigenen authentischen Gefühle auszubremsen fördern toxische Positivität. Im Umkehrschluss bedeutet das, wenn Sie sich mit der eigenen Gefühlswelt auseinandersetzen und auch negative Gedanken zulassen, können Sie echten Optimismus als Chance nutzen. Dafür müssen Sie jedoch zunächst aus der Feelgood-Falle ausbrechen und das geht so:

1. Wählen Sie genau aus, wem Sie bei Social Media folgen

Bei der toxischen Positivität verfallen Sie einer starren Denkweise, die an unrealistische Standards geknüpft ist. Diese unrealistischen Standards können auch durch Social-Media-Beiträge ins Leben gerufen werden. Nämlich dann, wenn Sie vorzugsweise Konten abonnieren, die Sie mit freudigen Eindrücken überhäufen, die Schattenseiten des Lebens aber verschweigen. Daher sollten Sie für sich selbst hinterfragen, ob das Abonnement Ihr Wohlbefinden stärkt oder eher Selbstzweifel sät. Am besten tragen Sie sich hierfür einen Termin in Ihrem Kalender ein. Nach etwa 14 Tagen können Sie Revue passieren lassen, welchen Eindruck die Beiträge bei Ihnen hinterlassen haben: Fühlten Sie sich beim Betrachten motiviert oder enttäuscht vom eigenen Lifestyle? Seien Sie sich stets bewusst, dass die Bilder und Posts nur Momentaufnahmen sind. Wie sich derjenige wirklich fühlt, der dahintersteckt, bleibt verborgen. Wenn Sie regelmäßig einen sogenannten Digital Detox (bewusster Verzicht auf Medien) machen, gewinnen Sie Abstand.

2. Lassen Sie alle Gefühle zu

Wenn Sie schlechte Laune haben, aber nach außen hin überschwänglich betonen, dass Sie sich wunderbar fühlen, deutet das womöglich auf eine Selbstentfremdung hin. Verbinden Sie sich wieder mit Ihrem inneren Ich. Dazu gehört auch, dass Sie sich mit Ihren Gefühlen auseinandersetzen, sie akzeptieren und ernst nehmen. Dann haben Sie eine gute Chance, wahre Freude zu erleben. Sie möchten lernen, in sich hineinzuspüren und Ihre Wahrnehmung schulen? Dabei können Ihnen Meditation und Achtsamkeitstraining helfen.

3. Gehen Sie mit gutem Beispiel voran

Es braucht Menschen, die zeigen, dass das Leben viele Facetten hat und nicht nur glückliche Momente bereithält. Gehen Sie deshalb mit gutem Beispiel voran. Vertrauen Sie sich Ihrem Lebenspartner oder Ihren Freunden an, wenn Sie negative Gedanken haben, und seien Sie authentisch. Gestehen Sie auch anderen Menschen schlechte Laune zu und bieten Sie Hilfe an.

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