Pflegende Angehörige

Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund: die Rolle der Familie

Veröffentlicht am:14.11.2025

7 Minuten Lesedauer

Für viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist die Familie der wichtigste Rückhalt – auch in der Pflege. Das kann externe Hilfe erschweren. Andererseits kann die familiäre Bindung die Pflege verbessern, wenn Angehörige gut unterstützt werden.

Auf einem Sofa in einem Wohnzimmer sitzen eine junge Frau, ein alter Mann und ein kleines Mädchen. Der alte Mann hat den Arm um das Kind gelegt und lächelt es an. Die Frau sitzt mit einem ebenfalls lächelnden Gesicht daneben.

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Pflegebedürftigkeit kennt keine Herkunft

Selbst pflegebedürftig zu werden oder pflegebedürftige Angehörige zu pflegen, stellt das Leben auf den Kopf. Große Belastungen kommen auf die Betroffenen zu. Es gibt zahlreiche Unterstützungsangebote, aber den Überblick über die einzelnen Leistungen zu behalten und die erforderlichen Anträge zu stellen, ist für viele Betroffene – auch ohne Einwanderungsgeschichte – eine echte Herausforderung. Es beginnt mit der Feststellung der Pflegebedürftigkeit, dann kann es um Unterstützungsleistungen gehen, zum Beispiel für den Umbau der Wohnung, Pflegehilfsmittel, ambulante Pflegedienste oder Entlastungsleistungen für pflegende Angehörige.

Das alles kann die betroffenen Menschen überfordern. Viele greifen auf Beratungsangebote zurück, wie sie von Verbänden, Caritas oder Diakonie oder durch die Pflegeberatung der AOK angeboten werden.

Erschwerter Zugang zu Hilfsangeboten für Menschen mit Einwanderungsgeschichte

Auch viele Menschen mit Einwanderungsgeschichte wünschen sich Unterstützung. Sie sind aber oft nicht so sicher im Umgang mit Institutionen und Behörden. Auch Migranten und Migrantinnen, die schon seit Jahren in Deutschland leben, können von den vielen Vorgaben für die Hilfeleistungen überfordert sein. Um Hilfe von außen zu erhalten, sind zunächst ausreichende Kenntnisse in der deutschen Sprache notwendig. Mangelnde Sprachkenntnisse, bei Pflegebedürftigen wie bei den Angehörigen, zählen zu den Hauptgründen dafür, dass Menschen sich nicht in der Lage fühlen, eine angemessene Versorgung zu erhalten. Hinzu kommen manchmal die Unkenntnis über Angebote, die es im Herkunftsland womöglich gar nicht gibt. Beides erschwert in vielen Fällen die Inanspruchnahme von Unterstützung.

Der Familienzusammenhalt ist oft die einzige Stütze

Ohne Unterstützung von außen sind die pflegenden Angehörigen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte die einzigen Personen, die die Bedürfnisse der älteren Pflegebedürftigen in der Familie kennen und sich um sie kümmern. Das macht einerseits die Familie für diese Milieus so bedeutsam. Und entsprechend wichtig ist es, die Familien von Pflegebedürftigen mit Einwanderungsgeschichte gezielter in die Pflege einzubeziehen. Andererseits stehen soziale Hilfeleistungen allen Teilen der Gesellschaft offen. Grundsätzlich ist es wünschenswert, dass alle pflegebedürftigen Menschen (mit oder ohne Einwanderungsgeschichte) in unserer Gesellschaft Zugang zu sozialen Hilfsangeboten haben, so dass niemand ausschließlich auf die Familie als Unterstützungsinstitution angewiesen ist.

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Erwartungen an die Pflege in Familien mit Migrationshintergrund

Die größte Pflegeleistung wird in Deutschland – unabhängig vom biografischen Hintergrund der Pflegebedürftigen – von pflegenden Angehörigen erbracht. Es ist ein Vorurteil, wenn man vielen migrantischen Communitys unterstellt, dass sie in der Pflege pauschal keine außerfamiliäre Unterstützung wünschen. Zum einen sind die in Deutschland lebenden Menschen mit Einwanderungsgeschichte sehr vielfältig. Die größte Gruppe unter ihnen sind die Menschen türkischer Herkunft. Betrachtet man nur diese Gruppe, so ist es sicherlich richtig, dass die Familie in diesem Milieu einen höheren Stellenwert haben kann als in der deutschen Gesellschaft insgesamt. Das Leben in deutschen Großstädten ist von vielen Single-Haushalten geprägt und in vielen deutschen Familien sind die Familienmitglieder zum Beispiel aus beruflichen Gründen über das ganze Land verstreut. Dies gilt aber nicht nur für die Gesamtbevölkerung, sondern in zunehmendem Maße auch für Menschen mit Einwanderungsgeschichte.

Kein großer Unterschied zwischen migrantischer und Gesamtbevölkerung

Befragungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte im Allgemeinen und Türkischstämmigen im Besonderen haben gezeigt, dass sich die Vorstellungen älterer Menschen mit Einwanderungsgeschichte über ihre pflegerische Versorgung im Alter nur unwesentlich von denen der Personen ohne Migrationshintergrund unterscheiden. Richtig ist: Migranten und Migrantinnen erwarten im Falle eigener Pflegebedürftigkeit Hilfe von Verwandten und Kindern. Sie messen daher der familiären Pflege einen hohen Stellenwert bei, lehnen aber professionelle Pflege keineswegs ab. Damit ähneln die Erwartungen älterer Menschen mit Einwanderungsgeschichte denen der Gesamtbevölkerung.

Wenn das familiäre Netz fehlt oder löchrig ist

Aber: Nicht alle älteren Migranten und Migrantinnen haben Verwandte in Deutschland, die diese Aufgabe übernehmen können – oder wollen. Auch das ist letztlich wie in der Gesamtbevölkerung. Und es mag sein, dass in vielen migrantisch geprägten Kulturen die Pflege älterer Familienmitglieder als selbstverständlicher Teil des Familienlebens angesehen wird. Dieses Verständnis kann jedoch mit zunehmender Angleichung an die Mehrheitsgesellschaft abnehmen oder die Pflegeaufgabe kann vielleicht aufgrund einer räumlichen Distanz schlichtweg nicht wahrgenommen werden. Wenn bei älteren Menschen mit Einwanderungsgeschichte und möglicherweise geringen Sprachkenntnissen die familiäre Unterstützung nicht oder nur unzureichend vorhanden ist und sie sich scheuen, mit Menschen außerhalb der Familie über ihre Bedürfnisse zu sprechen, kann ihre Pflegebedürftigkeit zu einem existenziellen Problem werden.

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Besondere Herausforderungen bei pflegebedürftigen Menschen mit Migrationshintergrund

Vor allem, wenn Menschen aus Herkunftsländern kommen, in denen ein familienbasierter Wohlfahrtsstaat vorherrscht, kann die Anpassung an das deutsche Gesundheits- und Pflegesystem, in dem institutionelle Hilfen eine größere Rolle spielen, schwierig sein. Ein solcher familienbasierter Wohlfahrtsstaat besteht zum Beispiel in vielen muslimischen Ländern. Das bedeutet aber nicht, dass muslimische Menschen, die selbst oder deren Eltern aus solchen Ländern nach Deutschland gekommen sind, dieses System auch in der neuen Gesellschaft beibehalten wollen. Einige wollen die Pflege ganz oder zumindest weitgehend selbst übernehmen, andere befürworten außerfamiliäre Unterstützungsangebote.

In einem Besprechungsraum sitzen drei Frauen an einem Tisch und unterhalten sich. Zwei von ihnen tragen Kopftücher.

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Eine Pflegeberatung, die auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte zugeschnitten ist, erleichtert den Zugang zu Pflegeangeboten.

Pflegeangebote stehen allen offen

Diesen Menschen wird der Zugang zur Gesundheitsversorgung erleichtert, wenn die sozialen Dienste ihre Angebote an die Bedürfnisse älterer Migranten und Migrantinnen anpassen. Noch werden die meisten Pflegebedürftigen mit Einwanderungsgeschichte häufiger als in der Gesamtbevölkerung ausschließlich von Angehörigen gepflegt. Pflegende Angehörige sind jedoch in Migrantenfamilien ebenso oft überfordert wie alle anderen Angehörigen auch. Hier helfen Beratungsangebote, die sich gezielt an Menschen mit Einwanderungsgeschichte richten. Eine zielgruppenorientierte Beratung erleichtert den Zugang zu den Angeboten. Die Beratungsangebote der AOK zum Thema Pflege sind kultursensibel und berücksichtigen die unterschiedlichen Biografien der Menschen, die sich beraten lassen möchten.

Was Menschen mit Einwanderungsgeschichte hilft, Angebote zu nutzen

Auf Seiten der Menschen mit Einwanderungsgeschichte ist die Verbesserung der allgemeinen Integration und insbesondere der Deutschkenntnisse die wichtigste Voraussetzung, um die Hürden bei der Inanspruchnahme von Unterstützungsangeboten besser überwinden zu können. Auf Seiten der Verbände und Institutionen wiederum geht es um mehr als die Übersetzung von Informationsmaterialien in die jeweiligen Herkunftssprachen. So sind zum Beispiel Migrationsbeauftragte und die interkulturelle Schulung von Mitarbeitenden in der Beratung geeignete Maßnahmen, um besser auf die Versorgung und die Anforderungen von Menschen mit Migrationshintergrund vorbereitet zu sein.

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Die Pflege an die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund anpassen

Eine verbesserte und passgenaue Beratung für pflegebedürftige Menschen mit Einwanderungsgeschichte und ihre Angehörigen hilft nur, wenn es im Pflegesystem auch ausreichend ambulante und stationäre Angebote gibt, die auf die kulturellen Besonderheiten und Pflegebedürfnisse bestimmter Personengruppen ausgerichtet sind. Muttersprachliche Pflegekräfte sind für viele Pflegebedürftige eine große Hilfe. Aber kultursensible Pflege ist mehr als Sprache. Zum Beispiel ist für viele muslimische Menschen die gleichgeschlechtliche Pflege und die Einhaltung der islamischen Gebote wichtig. Dazu gehört die Möglichkeit des Gebets ebenso wie das Speisenangebot in einer Pflegeeinrichtung.

In Pflegeeinrichtungen sind daher Gebetsräume für alle Glaubensrichtungen ein wertvolles Angebot. Darüber hinaus kann die Zusammenarbeit mit Geistlichen das Wohlbefinden stärken. Wenn die Inhaltsstoffe von Speisen gekennzeichnet sind, erleichtert das pflegebedürftigen Menschen die Befolgung religiöser Gebote. Eine achtsame Pflege, ob ambulant oder stationär, die der Vielfalt aller Menschen in Deutschland und ihren unterschiedlichen Bedürfnissen Rechnung trägt, kommt allen Pflegebedürftigen zugute und trägt dazu bei, das Ideal der Chancengleichheit zu verwirklichen.

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Die Bedeutung der Familie erkennen und nutzen

Einerseits ist es wichtig, Menschen mit Einwanderungsgeschichte dabei zu unterstützen, externe Angebote im Pflegebereich zu nutzen, statt sich ausschließlich auf das familiäre System zu verlassen. Andererseits ist die Familie eine wertvolle Ressource. Wenn sich familiäres Engagement und externe Hilfsangebote ergänzen, verbessert sich die Situation pflegebedürftiger Menschen.

Um dieses Potenzial voll auszuschöpfen, gilt es, die besonderen Bedingungen von Familien mit Einwanderungsgeschichte zu berücksichtigen. Da in vielen Kulturen Entscheidungen über die Pflege von der gesamten Familie getroffen werden, kann es hilfreich sein, die Familien der Pflegebedürftigen von Anfang an in den Beratungsprozess einzubeziehen. Es empfiehlt sich, für die Beratung von Menschen mit Einwanderungsgeschichte grundsätzlich mehr Zeit einzuplanen und so die Möglichkeit zu schaffen, Vertrauen aufzubauen. Um Synergien zu schaffen und sowohl Pflegebedürftige zu unterstützen als auch pflegende Angehörige mit Migrationshintergrund zu stärken, sind beispielsweise Gesprächskreise, Pflegekurse oder Workshops mit Übersetzungsmöglichkeiten eine wertvolle Hilfe zur Selbsthilfe.

Fachlich geprüft
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