Pflegeformen

Zwischen Leben und Tod: der Alltag in der Intensivpflege

Veröffentlicht am:18.12.2025

7 Minuten Lesedauer

Dominik Stark arbeitet seit acht Jahren auf einer Intensivstation. Er erzählt, wie ein typischer Arbeitstag aussieht, warum jede Minute zählt und wie er mit den emotionalen Herausforderungen des Berufs umgeht.

Intensivpflege: Zwei Pflegefachpersonen versorgen ein Baby, das in einem Brutkasten liegt.

© iStock / andresr

Wie sieht eine typische Frühschicht in der Intensivpflege aus?

Wer in der Intensivpflege morgens zur Frühschicht kommt, weiß nicht, welche Schicksale ihn oder sie erwarten. In der Nacht kann ein schwerer Unfall passiert sein, deren Opfer nun auf der Intensivstation liegen oder jemand wurde nach einer Operation auf die Station verlegt. So geht es auch Dominik Stark, wenn er seine Arbeit im Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld um sechs Uhr beginnt. Er arbeitet seit acht Jahren als Fachgesundheits- und Krankenpfleger für Intensivpflege und Anästhesie und ist Vorstandsmitglied in der Pflegekammer NRW. Zur Übergabe mit der Nachtschicht versammelt er sich mit seinen Kollegen und Kolleginnen im Aufenthaltsraum der Intensivstation, in dem auch die zentrale Überwachung untergebracht ist. Die erste Übergabe ist ein grober Überblick: Wie viele Patienten und Patientinnen liegen auf der Station? Welche Diagnosen haben sie? Gibt es gravierende Besonderheiten? „Auf Platz sieben liegt ein Patient mit einer Hirnblutung, der intubiert ist und kreislaufunterstützende Medikamente erhält“, nennt Stark als Beispiel für eine typische Kurzvorstellung. Nach diesem groben Überblick teilt sich das Team auf. Die Pflegefachpersonen übernehmen ihre Patienten und Patientinnen, meist im Verhältnis eins zu zwei.

Die folgenden Einzelübergaben direkt am Bett sind ausführlicher: Nach dem Vier-Augen-Prinzip werden alle wichtigen Details besprochen. Wie ist der neurologische Status? Wie ist der Beatmungsstatus? Wie sieht es mit dem Kreislauf aus? Welche Medikamente laufen? Gibt es pflegerische Besonderheiten oder Komplikationen? „In diesen Gesprächen wird der Patient oder die Patientin sehr detailliert vorgestellt, damit wir alle im Bilde sind. Insgesamt dauert das Prozedere rund 30 bis 60 Minuten“, erklärt Stark.

Einblicke in die Intensivpflege

Dominik Stark bei der Arbeit auf der Intensivstation.

© Marilena Werth

Dominik Stark ist Fachgesundheits- und Krankenpfleger. Er arbeitet auf der Intensivstation sowie in der Notaufnahme und ist Vorstandsmitglied der Pflegekammer NRW.

Warum Informationen auf der Intensivstation Leben retten

Während der Übergabe macht sich Stark Notizen in ein kleines Heft. Er schreibt auf, welche Besonderheiten es gibt und welche wichtigen Aufgaben wie Fahrten zur Diagnostik oder Angehörigengespräche anstehen. „Die Patientinnen und Patienten brauchen viel Pflege- und Betreuungsaufwand. Daher ist es wichtig, seine Aufgaben sinnvoll zu priorisieren“, sagt er.

Gegen halb acht beginnt die eigentliche Arbeit an den Patienten und Patientinnen. Dominik Stark begrüßt jeden und jede einzeln, selbst wenn der Mensch komatös oder sediert ist. „Ich stelle mich vor und sage, dass ich heute im Frühdienst für die Person zuständig bin“, erzählt er. Er berührt sie dabei an der Schulter, um ihnen zu zeigen, dass sich jemand kümmert.

Dann folgt ein technischer Check: Der Intensivpfleger kontrolliert alle Geräte und Einstellungen am Intensivbett. Links steht der große Monitor mit den Vitalparametern, darunter die Absaugeinheit und das Beatmungsgerät mit seinem großen Bildschirm. Sind die Alarmgrenzen am Monitor richtig eingestellt? Läuft das Beatmungsgerät korrekt? Rechts vom Intensivbett reihen sich die Spritzenpumpen, Infusionsautomaten und die Ernährungspumpe aneinander. Bei manchen Personen laufen gleichzeitig 13 oder 14 Spritzenpumpen in zwei Reihen. Sind alle Medikamente darin richtig dosiert? Dazu kommen oft noch Dialysegerät oder ECMO-Gerät, das die Lungenfunktion überbrückt. „Die Geräte sind teilweise lebensnotwendig für die Menschen. Wenn eins nicht funktioniert, kann es zu einer kritischen Situation kommen“, erklärt Stark. Die Intensivpflege erfordert höchste Konzentration und Verantwortung – Fehler können Menschenleben kosten.

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Pflegerische Versorgung: ein hochkomplexer Prozess

Nach dem technischen Check beginnt die pflegerische Versorgung. Was von Laien oft als „Waschen“ bezeichnet wird, ist in der Intensivpflege ein aufwändiger Vorgang mit individuellen Anforderungen. Dabei wird eine gründliche Körperpflege durchgeführt. Stark spricht mit den Patienten und Patientinnen, achtet auf Schmerzen und inspiziert die Haut genau. Er kontrolliert, ob es Druckstellen gibt, die Operationswunden gut versorgt sind oder Anzeichen für Infektionen sichtbar sind:

Warum die Mundpflege wichtig ist

Auch die Verbände müssen gewechselt werden, Zugänge und zentraler Venenkatheter werden regelmäßig gereinigt und desinfiziert. Eine besondere Herausforderung ist die Mundpflege bei intubierten Patienten und Patientinnen. Dominik Stark reinigt den Mundraum mit speziellen Schwämmchen, ohne dass der Beatmungsschlauch dabei verrutschen darf. Die gründliche Mundpflege ist wichtig, um bei intubierten Personen eine Lungenentzündung zu verhindern. Dann verlegt die Pflegefachperson den Beatmungsschlauch vom einen zum anderen Mundwinkel, um Druckstellen zu vermeiden. Die Lippen und die Nasenschleimhaut werden befeuchtet und eingecremt.

Komplexe Wundversorgung erfordert viel Aufmerksamkeit

Bei manchen Patienten und Patientinnen dauert die pflegerische Versorgung besonders lange. Dominik Stark erinnert sich an einen Patienten, der einen schweren Verkehrsunfall erlitten hatte und mit einem externen Fixateur versorgt war. Das Metallgestell fixiert die Knochen von außen – beispielsweise bei einem schweren Beckenbruch. Der Patient hatte nicht nur unzählige Wunden, sondern auch die Einstichstellen vom Fixateur, die alle versorgt werden mussten. Der ganze Vorgang hat rund zweieinhalb Stunden gedauert. Normalerweise kommt Stark bei zwei Patienten und Patientinnen mit insgesamt zwei bis zweieinhalb Stunden aus.

Notfall auf der Intensivstation: Wenn Jede Sekunde zählt

Und dann muss es manchmal sehr schnell gehen. Steigt der Hirndruck oder spricht ein Patient oder eine Patientin plötzlich komisch, kann eine Hirnblutung aufgetreten sein. Die Person muss sofort zur Computertomografie (CT) gefahren und unter Umständen notoperiert werden. Für solche Transporte gibt es eine mobile Betteinheit mit den wichtigsten Geräten. Ein transportabler Monitor, ein Beatmungsgerät, Sauerstoff und Medikamente wie Noradrenalin für den Kreislauf oder Propofol und Fentanyl für Sedierung und Schmerzlinderung kommen mit zum CT. „Diese Transporte sind lebensnotwendig und gleichzeitig ein Risiko für den Patienten oder die Patientin, weil sie abhängig von den Geräten und Medikamenten sind“, sagt der Intensivpfleger.

Ein Arzt und eine Ärztin schauen zusammen mit zwei Pflegefachpersonen auf ein medizinisches Dokument.

© iStock / alvarez

In der Intensivpflege arbeiten Ärzte sowie Ärztinnen und Pflegefachpersonal eng zusammen, damit die Patienten und Patientinnen bestmöglich überwacht sind.

Mobilisation zwischen Monitor und Beatmungsgerät

Während der Intensivpflege muss die Pflegefachperson ständig den Überblick behalten. Die Medikamentenversorgung darf nicht abbrechen, neue Antibiotika müssen aufgezogen und verabreicht werden. Dominik Stark überwacht die Kreislaufsituation. Steigt der Blutdruck stressbedingt zu stark an, verabreicht er Schmerzmittel oder passt die Sedierung an. Fällt der Blutdruck, setzt er die Kreislaufunterstützung hoch oder gibt Flüssigkeit. „Auf der Intensivstation kann ich mich nicht auf eine Aufgabe komplett fokussieren, man muss stets weitere Parameter und seine anderen Patienten und Patientinnen im Blick behalten, weil jederzeit etwas passieren kann“, beschreibt Stark den Spagat. Nach der Körperpflege werden die Patienten und Patientinnen neu positioniert. Alle zwei Stunden muss eine Pflegefachperson sie umlagern, um Druckgeschwüre zu vermeiden sowie Gesäß und Rücken zu entlasten. Dann folgt die Mobilisation. Wenn es möglich ist, arbeitet Stark mit der Physiotherapie zusammen. Sie setzen die Patienten und Patientinnen an die Bettkante, lassen sie aufstehen oder mobilisieren sie im Bett. Dadurch bleibt die Muskulatur erhalten und die Lunge wird besser belüftet. Zwischen 20 Minuten und anderthalb Stunden kann die Mobilisation dauern. Parallel dazu läuft ab halb neun bis etwa zwölf Uhr die Visite mit Oberärzten und -ärztinnen sowie Medizinern und Medizinerinnen aus der Anästhesie, Neuro- und Unfallchirurgie und dem Pflegepersonal der Intensivstation. Je nach Bedarf sind auch Physiotherapeuten und -therapeutinnen, Seelsorgende, Ethikberatende oder Transplantationsbeauftragte bei Organspenden dabei.

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Mehr als nur Versorgung: die emotionale Seite der Intensivpflege

Ab etwa zehn oder elf Uhr kommen Angehörige zu Besuch. Die Gespräche mit ihnen sind ein wichtiger Teil von Dominik Starks Arbeit. Er erklärt den Status quo, versucht Ängste zu nehmen und ist manchmal auch Seelsorger. „Man ist für viele eine emotionale Stütze“, sagt er. Um halb zwei bereitet sich Stark auf die Übergabe vor. Er berichtet der Spätschicht, was in seiner Schicht passiert ist und welche Aufgaben und Angehörigengespräche anstehen. Wenn alles gut läuft, hat Stark um 14 Uhr Feierabend. Damit ihn die Erlebnisse bei seiner Arbeit nicht in seiner Freizeit belasten, spricht er über das, was ihn bewegt. Denn die Intensivpflege ist eng mit den Schicksalen der Menschen verknüpft. Manche Situationen wird Stark nie vergessen – wie die junge, schwangere Patientin. Obwohl er sie im Team reanimiert hatte, verstarben sie und ihr Kind. Aber es gibt auch schöne Momente, die dem Intensivpfleger zeigen, warum seine Arbeit so wichtig und wertvoll ist. Ein junger Patient Mitte 20 kam mit einer Hirnblutung auf die Station. Er musste lange reanimiert werden. Stark betreute ihn über mehrere Wochen und legte ein Intensivtagebuch für ihn an. Nach rund drei Monaten konnte er in eine Reha verlegt werden. „Ich habe ihn anschließend getroffen, er war fit und konnte wieder arbeiten“, erzählt Dominik Stark.

Fachlich geprüft
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