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Psychologie

Antidepressiva: Welche Vor- und Nachteile haben sie?

Veröffentlicht am:22.03.2022

6 Minuten Lesedauer

Antidepressiva können Menschen mit einer Depression helfen. Doch die zu den Psychopharmaka gehörenden Medikamente wirken nicht bei jedem und können Nebenwirkungen hervorrufen. Von welchen verschiedenen Kriterien die Einnahme abhängt.

Eine junge Frau nimmt ein Antidepressivum ein.

© iStock / fizkes

Was sind Antidepressiva?

Bei Ihnen oder einem Angehörigen wurden Depressionen diagnostiziert und eine Behandlung mit Antidepressiva empfohlen? Diese Medikamente sind neben Psychotherapie und anderen Behandlungsverfahren ein wichtiger Baustein in der Therapie, vor allem bei mittelschweren bis schweren Depressionen.

Antidepressiva gehören zu den Psychopharmaka. Dabei handelt es sich um chemische Substanzen, die die Signalübertragung zwischen den Nervenzellen im Gehirn beeinflussen und damit die psychische Verfassung verbessern sollen. Psychopharmaka werden auch bei anderen psychischen Störungen, beispielsweise bei Angst- und Zwangsstörungen eingesetzt.

Im Falle einer unipolaren Depression, der häufigsten depressiven Erkrankung, sollen Antidepressiva depressive Beschwerden wie zum Beispiel starke Niedergeschlagenheit, Antriebsmangel, Erschöpfung, Unruhe und Schlafstörungen lindern sowie Rückfälle in die Depression verhindern. Betroffene sollen durch die Einnahme zurück zu ihrem seelischen Gleichgewicht finden und wieder in der Lage sein, am sozialen Leben teilzunehmen und ihren Alltag zu bewältigen.

Es gibt verschiedene Arten von Antidepressiva. Diese werden am häufigsten eingesetzt:

  • selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI)
  • selektive Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI)
  • trizyklische Antidepressiva (TZA)

Welche Vorteile haben Antidepressiva?

  • Bei mittelschweren bis schweren oder chronischen Depressionen ist die Wirkung von Antidepressiva nachgewiesen. Bei leichten Depressionen ist die Studienlage nicht überzeugend.
  • Eine spürbare Wirkung tritt oft schon nach ein bis zwei Wochen ein.
  • Die Behandlung zeigt bei einigen Menschen eine schnellere Besserung als eine Psychotherapie.
  • Es gibt viele verschiedene Antidepressiva, die je nach Art der Beschwerden des Patienten und anderen Faktoren individuell empfohlen werden können.
  • Antidepressiva ermöglichen oft eine ambulante Behandlung des Patienten, die eine schnelle Wiedereingliederung in Beruf und Gesellschaft erleichtert. Die seelische Situation kann zudem häufig so weit stabilisiert werden, dass andere Therapieoptionen überhaupt erst möglich werden.

Welche Nachteile haben Antidepressiva?

  • Es können Nebenwirkungen auftreten. Je nach Medikament sind das zum Beispiel: Übelkeit, Gewichtszunahme, Verstopfung oder Durchfall, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Verlust der Libido. Etwa die Hälfte der Personen, die Antidepressiva einnehmen, sind vor allem zu Beginn der Behandlung betroffen. Diese bilden sich oft nach einigen Wochen zurück. Es gibt aber auch Patienten, für die die Nebenwirkungen eine solche Belastung darstellen, dass nach Alternativen gesucht werden muss.
  • Nicht bei jedem Menschen wirken Antidepressiva. Es sind dann längere Zeiträume notwendig, um eine passende und erfolgreiche antidepressive Behandlung zu finden. Ebenso ist einige Zeit einzuplanen, um Antidepressiva nach erfolgreicher Behandlung abzusetzen.
  • An beruflichen Belastungen, Beziehungsproblemen oder anderen Krisen und Einflussfaktoren, die eventuell dazu beigetragen haben, dass eine psychische Erkrankung aufgetreten ist, ändert die Einnahme der Antidepressiva nichts.
  • Nach einer psychotherapeutischen Behandlung scheint es seltener zu Rückfällen zu kommen als bei einer medikamentösen Behandlung.

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Vertrauensverhältnis zum Arzt ist entscheidend

Da die Einnahme von Antidepressiva eine Reihe von Nebenwirkungen mit sich bringen und auch der Behandlungserfolg von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen kann, haben die Medikamente bei vielen Menschen nicht den besten Ruf. Ihr Arzt kann Sie darüber informieren, welchen Verlauf Sie mit und ohne Antidepressiva zu erwarten haben, welche Ergebnisse Studien geliefert haben und welche persönliche Erfahrung er als Arzt mit der Behandlung von Depressionen gemacht hat.

Viele Menschen fürchten auch, Antidepressiva könnten abhängig machen. Das ist jedoch nicht der Fall.

Sie wissen dennoch nicht, ob Sie sich für die Behandlung mit einem Antidepressivum entscheiden oder was Sie Ihrem Angehörigen raten sollen? Suchen Sie das Gespräch mit dem verantwortlichen Arzt beziehungsweise verdeutlichen Sie Ihrem Angehörigen, wie entscheidend die ärztliche Aufklärung ist.

Ein Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist nachweislich essenziell für den Erfolg der Therapie. Der Arzt muss für jeden Patienten den persönlichen Nutzen gegenüber den Nebenwirkungen des Medikaments abwägen. Dabei spielt etwa die Symptomschwere eines Krankheitsbilds eine Rolle sowie der Krankheitsverlauf. Auch eigene frühere Erfahrungen mit Antidepressiva werden miteinbezogen. Außerdem ist Ihre persönliche Einstellung zu den Medikamenten ein wichtiger Punkt, den der Arzt berücksichtigen sollte. Er sollte auf Ihre Vorstellungen und Wünsche eingehen und Sie in die medizinische Entscheidungsfindung einbeziehen. Als Ihre Vertrauensperson ist es seine Aufgabe, Ihnen dabei zu helfen, dass Sie Entscheidungen, die Ihre Behandlung betreffen, selbstbestimmt treffen können.

Zudem gilt: Die medikamentöse Behandlung sollte in der Regel nur ein Baustein in der Therapie sein. Informieren Sie sich immer über weitere Möglichkeiten, die Erkrankung zu behandeln. Ihr Arzt sollte Sie ausführlich über Symptomatik, Verlauf und Behandlung Ihrer Erkrankung aufklären.

Ein Paar sitzt zusammen – die Frau tröstet ihren depressiven Partner und spricht mit ihm über Antidepressiva.

© iStock / LeoPatrizi

Als Angehöriger können Sie Ihren Partner oder Ihre Partnerin bei der Entscheidung für oder gegen Antidepressiva unterstützen. Ermutigen Sie ihn oder sie, über Wünsche und Ängste mit dem behandelnden Arzt zu besprechen.

Wann werden Antidepressiva bei einer unipolaren Depression angewendet?

Antidepressiva werden je nach Krankheitsschwere empfohlen:

  • Bei einer leichten depressiven Episode wird in der Regel nicht zu Medikamenten geraten. Zunächst setzt man niedrigschwellige Strategien ein und wartet ab, ob eine Besserung eintritt, die eine medikamentöse Behandlung gegebenenfalls überflüssig macht. Zum Beispiel werden andere Behandlungsverfahren wie Beratung oder qualifiziert angeleitete Selbsthilfe angewandt. Der Hintergrund: Der Unterschied zwischen einer Placebogabe und der Gabe von Antidepressiva ist bei leichten Depressionen statistisch nicht nachweisbar. 
  • Bei einer akuten mittelgradigen depressiven Episode wird Ihnen der Arzt entweder die Einnahme eines Antidepressivums oder die Aufnahme einer Psychotherapie empfehlen. Bei mittelschweren Depressionen ist der Wirkunterschied zwischen Placebo und Antidepressiva ausgeprägter. Daher ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis günstig ist und der Betroffene – unter Beachtung der individuellen Umstände –  profitieren und sein Leid abgemildert werden kann. Der Wunsch des Betroffenen spielt jedoch eine große Rolle.
  • Im Falle einer akuten schweren depressiven Episode wird Ihnen der Arzt eine Kombination aus medikamentöser Therapie und Psychotherapie anbieten. Auch bei schweren Depressionen ist der Wirkunterschied zwischen Placebo und Antidepressiva ausgeprägter. Schwere Depressionen weisen das höchste Suizidrisiko auf und bedürfen deshalb einer besonders intensiven Behandlung. Daher sollte jeder Spielraum, der die Prognose verbessert, genutzt werden.

Während einer Behandlung mit Antidepressiva stehen Sie unter ärztlicher Beobachtung. Dies ist notwendig, um die Wirkung der Medikamente zu überprüfen und den erwünschten Therapieeffekt zu erreichen. Entscheidend ist die Beobachtung auch, um Komplikationen zu verhindern und mögliche Nebenwirkungen im Blick zu haben.

Wie können Betroffene und Angehörige mit Nebenwirkungen von Antidepressiva umgehen?

Sie sind immer müde und abgeschlagen, seit Sie Antidepressiva einnehmen, oder Sie leiden unter Übelkeit? Sprechen Sie mit Ihrem Arzt über die Nebenwirkungen, die Sie belasten. Verschiedene Maßnahmen können helfen, etwa eine Anpassung der Dosis, die Einnahme des Medikaments zu einem anderen Tageszeitpunkt oder der Wechsel zu einem Präparat mit einem anderen Wirkmechanismus und Nebenwirkungsprofil.

Angehörige, Partner oder Kollegen sollten unbedingt Verständnis aufbringen und in dem Maß von Ihnen informiert werden, das Ihrem Verhältnis zueinander angemessen ist. Die Nebenwirkungen beziehen sich meist nur auf die ersten Wochen der Einnahme. Halten Sie längerfristig an und lassen sich durch bestimmte Maßnahmen nicht in den Griff bekommen, kann ein Wechsel des Präparats angezeigt sein. Wenn diese Möglichkeiten nicht sinnvoll sind, kann in einigen Fällen ein zusätzliches Medikament verschrieben werden, um die Nebenwirkungen abzumildern. Deswegen ist die regelmäßige Rücksprache mit dem behandelnden Arzt dringend notwendig. Eigenständiges Absetzen ist meist die schlechteste Alternative.

Viele Betroffene leiden außerdem unter einer Gewichtszunahme. Ihr Wohlbefinden und auch ihre Partnerschaft können eventuell darunter leiden. Hier gilt es, wie bei allen anderen Nebenwirkungen, immer gemeinsam mit dem behandelnden Arzt abzuwägen: Welche gesundheitlichen Vorteile ziehen Sie aus dem Medikament, das Sie einnehmen? Sind Sie durch die Einnahme zum Beispiel in der Lage, weiter am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen oder Ihren Beruf auszuüben? Dann wäre die Gewichtszunahme möglicherweise als das kleinere Übel zu beurteilen. Sprechen Sie stets mit Ihrem behandelnden Arzt über Ihre Sorgen und Probleme. Nur so kann er Ihnen weiterhelfen. 

Sprechen Sie aber auch mit Ihrem Arzt, wenn Sie sich besser fühlen. Es ist nicht sinnvoll, die Antidepressiva eigenmächtig abzusetzen oder die Dosierung anzupassen. Um Ihre Beschwerdefreiheit weiter zu erhalten und einen Rückfall zu verhindern, sollten Antidepressiva mindestens für vier bis neun Monate weiter eingenommen werden, oft sogar länger. Wenn es Ihnen schwerfällt, die Medikamente über einen langen Zeitraum zu nehmen, können Ihnen regelmäßige Gespräche und Aufklärung über die eingenommenen Medikamente dabei helfen, Ihre Therapie erfolgreich abzuschließen.

Sowohl Betroffene als auch Angehörige können sich zusätzlich an Beratungsstellen oder Selbsthilfegruppen wenden, wenn Sie Gesprächsbedarf haben.

Der „Familiencoach Depression“ der AOK ist ein Onlineprogramm, das sich speziell an Angehörige und Freunde von depressiven Menschen richtet.

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