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Gesundheitsmagazin

Kinder

Kinder-Intensivstation: Vom großen Glück, kranken Kindern zu helfen

Veröffentlicht am:03.12.2020

8 Minuten Lesedauer

Arbeiten mit sterbenskranken Kindern – das gehört zum Alltag von Dr. Friedrich Reichert dazu. Er ist Kinder-Intensivmediziner in Deutschlands größter Kinderklinik. Im Interview erzählt er von den Licht- und Schattenseiten seines Berufs.

Lachendes Mädchen wird von Ärztin untersucht.

© iStock / PeopleImages

Kinder-Intensivmediziner: Ein Job zwischen Freude und Ängsten

Besonders beeindruckt es Dr. Friedrich Reichert, wie schnell Kinder Vertrauen fassen, wie großzügig sie verzeihen und wie stark ihr Durchhaltevermögen ist. Umso schwieriger sind die Momente, in denen ihm klar wird: Sein kleiner Patient wird es nicht schaffen. Die Eltern wollen davon meist nichts wissen.

Sie sitzen neben dem Bett ihres schwerkranken Kindes und wünschen sich nichts sehnlicher, als diese Station verlassen zu können – mit ihrem Sohn oder ihrer Tochter. In diesem Spannungsfeld bewegt sich Dr. Friedrich Reichert jeden Tag. Er ist Kinder-Intensivmediziner im Klinikum Stuttgart-Olgahospital, Deutschlands größter Kinderklinik.                                                           

Herr Dr. Reichert, warum entscheidet man sich für einen Bereich, in dem die Belastung so hoch ist?

Im Rahmen meiner Facharztausbildung war ich ein Jahr auf der Kinder-Intensivstation eingesetzt. Die Komplexität dieses Fachs und das Ausmaß, in dem man hier schwer erkrankten Kindern helfen kann, haben mich nicht mehr losgelassen. Man muss nicht nur sämtliche Parameter wie Herzfrequenz oder Sauerstoffsättigung im Blick haben, sondern auch alle Befunde – und dann an den richtigen Stellen eingreifen. 

So kann ich mit der Einstellung der Beatmung zum Beispiel Einfluss auf die Niere nehmen. Und wenn ich bei einem Medikament die Dosis verändere, sehe ich oft schon nach fünf Minuten eine Veränderung der Werte.

Ich würde die Kinder-Intensivmedizin deshalb auch als Medizin der tausend kleinen Schrauben bezeichnen. Gleichzeitig passiert das alles natürlich oft in sehr stressigen Notfallsituationen. Letztlich habe ich wohl schon immer nach Herausforderungen gesucht.

Haben Sie nie überlegt aufzuhören?

Als ich zum ersten Mal alleine einen Nachtdienst machen musste, hatte ich weiche Knie. Da habe ich dann realisiert, was ich für eine Verantwortung übernommen habe. Damals habe ich mich schon gefragt, ob das mit diesem Beruf eine gute Idee ist. 

Prompt gab es einige kritische Situationen: Bei einem Kind, das gerade am Herzen operiert worden war, hatte sich zum Beispiel Wundwasser zwischen Lunge und Brust gebildet. Da muss man schnell reagieren und das Wasser unter Narkose entfernen.

Aber alles ist gut gegangen. Und nach der Schicht habe ich von den Schwestern eine Urkunde bekommen – die hängt heute noch in meinem Arbeitszimmer.

Schwangere Frau wird mit Ultraschall untersucht.

© iStock / SDI Productions

Erinnern Sie sich an das erste Kind, das Ihnen verstorben ist?

Natürlich! Das war ein drei Monate altes Baby, das mit einem Herzfehler zur Welt gekommen war und nach der Operation bei uns betreut werden sollte. Doch dann kam es zu Komplikationen – das passiert bei so aufwändigen Operationen leider häufiger.

Grundsätzlich ist die Intensivmedizin in Deutschland aber weltweit führend, die Sterblichkeit mit eine der geringsten der Welt und die Heilungschance auch auf Kinder-Intensivstationen sehr hoch.

Denn die Fähigkeit, sich wieder zu erholen, ist bei einem kindlichen Körper um einiges größer als bei einem Erwachsenen. Kinder heilen schneller und verkraften mehr. Viele Krankheiten, die Erwachsene das Leben kosten, können Kinder überstehen.

Welche Krankheiten zum Beispiel?

Ein Jugendlicher hatte einen schweren septischen Schock. Da kommt es im Endstadium einer Blutvergiftung zu Entzündungsreaktionen im gesamten Körper, die zu Schädigungen in vielen lebenswichtigen Organen führen. Dieser Junge lag lange bei uns im künstlichen Koma. Sein Zustand war sehr kritisch. Da haben wir uns gefragt, ob er das wohl überleben wird. 

Als er die Sepsis überstanden hatte, war sein Nervensystem so stark geschädigt, dass er vom Hals abwärts nichts mehr bewegen konnte. Er wurde dann in eine Reha-Klinik verlegt.

Ein Jahr nach seiner Entlassung hat er uns besucht: Er ist selbstständig auf unsere Station gelaufen, als fröhlicher und unglaublich sympathischer junger Mann. Da hatte ich einen Kloß im Hals.

„Das Tolle ist, dass man fast allen Kindern sehr gut helfen kann, auch den schwersterkrankten.“

Dr. Friedrich Reichert
Kinder-Intensivmediziner

Was sind die Schattenmomente Ihres Jobs als Kinder-Intensivmediziner?

Auf jeder Kinder-Intensivstation gibt es tragische Situationen, wenn Kinder versterben oder so schwer erkranken, dass große gesundheitliche Einschränkungen zurückbleiben. Es ist schwer zu beschreiben, wie sich das anfühlt, Eltern diese Nachricht überbringen zu müssen.

Schwierig sind auch die Momente, in denen man im Team gemeinsam die Entscheidung treffen muss, dass eine weitere Behandlung nicht mehr sinnvoll ist. Da muss man sich gegenseitig gut unterstützen. Das Schwerste ist für mich, wenn ein Kind hirntot ist, das Herz aber noch schlägt, und die Beatmungsmaschine muss ausgeschaltet werden. Das ist ein sehr schwieriger Moment.

Wie schafft man es, nach solchen Erlebnissen weiterzumachen?

Das muss man trainieren. In der Anfangszeit bin ich auf meinem Nachhauseweg oft am Kindergarten stehengeblieben, um den Kleinen beim Spielen zuzuschauen. Weil es mich daran erinnert hat, dass die meisten Kinder nicht auf der Intensivstation liegen, sondern fröhlich durch die Gegend toben.

Heute verarbeite ich das eher beim Feierabendbier mit Kollegen, beim Downhill-Mountainbiken oder E-Gitarre-Spielen. Letztlich entwickelt jeder seine eigenen Strategien. Und wer das nach einigen Monaten nicht geschafft hat, sollte sich ein anderes Fachgebiet suchen.

Lachendes Mädchen mit Oma bei einer Untersuchung.

© iStock / Geber86

Was sind die schönen Momente Ihrer Arbeit?

Da gibt es viele! Zum Beispiel, wenn man nächtelang um das Leben eines Kindes gekämpft hat, und irgendwann der Punkt gekommen ist, an dem man den Eltern sagen kann: „Die kritische Phase ist jetzt vorbei, Ihr Kind wird wieder gesund.“

Oder der Moment, in dem man ein Kind aus einem tagelangen künstlichen Koma aufwachen lässt, und es zum ersten Mal wieder auf die Eltern reagiert, indem es zum Beispiel die Hand der Mutter drückt. Was ich aber auch sehr gerne mag, ist das übermüdete Herumalbern mit dem Team der Nachtschicht auf dem Heimweg, wenn es eine gute Schicht war.

Was können Eltern tun, wenn ihr Kind auf der Intensivstation liegt?

Eltern sollten dem Team vertrauen. Pflegepersonal und Mediziner hätten den Beruf auf der Intensivstation nicht ergriffen, wenn sie nicht eine sehr große Leidenschaft dafür mitbringen würden. Alle kämpfen wirklich unermüdlich und mit aller Kraft um die Gesundheit ihrer kleinen Patienten.

Wenn Eltern glauben, das alles nicht schaffen zu können, dann sollten sie um Hilfe bitten. Jede Kinder-Intensivstation hat ein Unterstützungsteam. Da finden Betroffene psychologische Betreuung, aber zum Beispiel auch Hilfe bei der Betreuung von Geschwisterkindern. 

Das Wichtigste ist aber: Eltern sollten für ihr Kind da sein. Selbst wenn ein Kind in Narkose liegt, nimmt es die Anwesenheit der Eltern wahr – und das wirkt sich positiv auf die Genesung aus. Gleichzeitig ist es aber unglaublich wichtig, dass die Eltern sich auch Zeit für sich selbst nehmen.

Ihr Stress überträgt sich auf das Kind. Eltern sollten also versuchen, zwischendurch immer wieder etwas Kraft zu tanken. Die werden sie nämlich brauchen, wenn ihr Kind ihnen zu Hause irgendwann wieder auf der Nase herumtanzt.

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