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Eltern

Bei jedem Wehwehchen trösten? Wie Eltern sich richtig verhalten

Veröffentlicht am:10.08.2021

6 Minuten Lesedauer

Hier eine Träne, da ein kleiner Plumps auf den Po: Muss man das eigene Kind wirklich bei jedem Wehwehchen trösten? Spannend ist, dass häufig die Tränen immer mehr werden, wenn bei kleinen Missgeschicken getröstet wird. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Kinder, die sich nach dem Sturz direkt wieder aufrappeln und nicht nach Mama oder Papa rufen. Ist das Erziehungssache oder ist jedes Kind da individuell? Ist es gut, das Kind stets zu trösten oder ist Abhärten durchaus hilfreich?

Ein Vater hält sein Baby auf dem Arm und tröstet es.

© iStock / LaylaBird

Dr. Adam Geremek, Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Helios Klinikum Schleswig und Inhaber des Psychosomatikums Kiel

© privat

Dr. Adam Geremek ist Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Helios Klinikum Schleswig und Inhaber des Psychosomatikums Kiel, einer Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Er widmet sich den wichtigen Fragen rund um das Thema Trösten.

Er erklärt, wie man Kinder richtig tröstet, in welchen Situationen es Eltern auch mal bleiben lassen können und wann es besonders wichtig ist.

Warum ist trösten so wichtig für Kinder?

Trösten besitzt eine wichtige soziale Funktion, im Übrigen nicht nur für Kinder, sondern für jeden Menschen. Von seinem Wortursprung her bedeutet Trost: Ermutigung, Zuversicht, aber auch Festigkeit. Insofern ist Trost nicht nur auf den Moment des Schmerzes bezogen, sondern auf den körperlichen und seelischen Zustand in der Zukunft ausgerichtet. Darum hat Trost insbesondere gegenüber Kindern nicht nur den sozialen Aspekt, sondern einen emotionalen, um die Bindung zwischen dem Tröstenden und dem zu Tröstenden zu stärken, aber auch einen pädagogischen Aspekt. Letzterer ist enorm wichtig für die Entwicklung einer altersentsprechenden Schmerzreaktion.

Gibt es auch zu viel Trost?

Jeder Schmerz ist individuell und subjektiv, und so muss auch das Trösten sein. Was einem Zweijährigen wehtut, das schmerzt einen Achtjährigen meistens nicht mehr so sehr. Andererseits ist das Schmerzempfinden eines jeden Menschen, so auch eines jeden Kindes unterschiedlich. Wichtig für Eltern sollte es sein, bei vergleichbaren Situationen vergleichbar zu reagieren. Dabei müssen aber nicht beide Eltern gleich reagieren, sondern ihre Individualität auch im Trost behalten.

Entscheidend für ein Kind, das sich wehgetan hat, ist, dass im Notfall jemand zur Seite ist – jedoch nicht jemand, der auch kleine Stürze und Beulen um jeden Preis verhindert. Schließlich ist Schmerz auch eine wichtige Lernerfahrung im Hinblick auf die Gefahreinschätzung.

„Eltern sollten individuell trösten. Wichtig ist, dass das Kind bei einem Schmerzerlebnis jemanden zur Seite hat. Schließlich ist Schmerz auch eine wichtige Lernerfahrung, um Gefahren zukünftig besser einschätzen zu können.“

Dr. Adam Geremek
Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Helios Klinikum Schleswig und Inhaber des Psychosomatikums Kiel, Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie

In welchen Situationen sollte getröstet werden?

Die allgemeine Erfahrung, aber auch Ergebnisse aus wissenschaftlichen Studien zeigen, dass Eltern einen großen Einfluss auf das Schmerzerleben ihrer Kinder haben. Dieses Schmerzerleben kann damit günstig, aber auch ungünstig beeinflusst werden. Trösten Eltern immer und undifferenziert, so wird das Kind unter Umständen nicht lernen, mit schmerzhaften Erlebnissen selbstwirksam umzugehen.

Das heißt, dass das Kind lernt, immer ein Gegenüber zu benötigen, um mit seinem Schmerz fertig zu werden. In diese Kategorie fallen auch Kügelchen oder sogenannte Rescue-Tropfen, die Eltern oft ihren Kindern verabreichen, wenn sie sich wehgetan haben. Denn damit lernt das Kind: „Ich brauche stets etwas bei mir, um mit Schmerzen umzugehen. Ohne diese Substanz bin ich wehrlos“. Ein solcher Umgang mit Schmerzen ist nicht förderlich für die Entwicklung von einem gesunden Selbstbewusstsein des Kindes.

Ein Mädchen sitzt auf dem Boden und weint nach einem Fahrradunfall.

© iStock / jackscoldsweat

Eltern können ihre Kinder fragen: „Was würde dir jetzt helfen?“ – so können sie aktiv zu ihrer eigenen Schmerzbewältigung beitragen.

Wie erkennen Eltern, wie stark der Schmerz ist?

In der Regel kennen Eltern ihre Kinder gut genug, um die Stärke der Schmerzen und die daraus resultierenden Konsequenzen richtig einzuschätzen. Es ist aber günstig, wenn die Eltern nicht immer das ganze Arsenal an schmerzstillenden Interventionen (Ausruhen, Kühlkissen, Pflaster, Verband, Schmerzsaft oder anderes) auffahren, sondern das Kind erst einmal in den Arm nehmen, trösten und dann fragen, was die Kinder in dem Moment für angebracht halten bzw. was sie sich wünschen. Die Frage: „Was würde dir jetzt helfen?“ ist an sich schon hilfreich.

Im Anschluss können für das Problem geeignete zur Verfügung stehende Mittel genannt und dem Kind die Wahl gelassen werden. Das stärkt die Selbsteinschätzung des Kindes und gibt ihm die Möglichkeit, aktiv zu seiner Schmerzbewältigung beizutragen und zu lernen, was bei welcher Art der Verletzung und welcher Schmerzstärke hilft und was nicht.

„Kinder können aktiv an der Schmerzbewältigung beteiligt werden, indem sie dazu befragt werden, was ihnen nun hilft. Das stärkt die Selbsteinschätzung der Kinder.“

Dr. Adam Geremek
Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Helios Klinikum Schleswig und Inhaber des Psychosomatikums Kiel, Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Können Eltern auch etwas falsch machen beim Trösten bzw. wie geht richtiges Trösten?

Lachen wirkt tröstlich und lenkt vom Schmerz ab. Aber es ist auch ein schmaler Grat beim Trösten, denn es muss zu der Situation passen und angemessen sein. „Wo ist der Hase?“ ist eine gängige Frage, die man ein kleines Kind fragen kann, wenn es beim unbeholfenen Laufversuch gestürzt ist. Auslachen des Kindes ist jedoch immer unangebracht, denn es führt zum Ärger des Kindes über den Tröstenden und verstärkt den Schmerz. Dagegen hilft Ablenkung auf etwas Spannendes oder gleich Anstehendes, die Aufmerksamkeit des Kindes darauf zu lenken und weg vom Schmerz.

Vermeiden sollte man Sprüche wie „Bis du groß bist, ist es längst verheilt.“, denn Kinder können solche langen Zeitabschnitte nicht überblicken, sodass solche Interventionen wenig bringen. Wenig hilfreich oder gar schädlich sind Vergleiche zu Geschwistern oder zu anderen Kindern, die beim vergleichbaren Ereignis weniger geweint oder anders getrauert haben. Dies steigert den Frust des Kindes und führt womöglich zu dem Gefühl bei ihm, nicht gut genug oder minderwertig zu sein.

Darf in unkritischen Situationen zunächst abgewartet werden?

Alle Eltern kennen die Situation, dass ein Kleinkind, das Laufen lernt, bei einem Sturz oft erst zu seinen Eltern schaut, bevor es weint – oder eben nicht. Oft ist es erst die Reaktion der Eltern, die dem Kind vermittelt, ob ein Sturz schlimm oder weniger schlimm war. Insofern ist es sinnvoll und für das kindliche Schmerzerleben und die Schmerzverarbeitung wichtig, in unkritischen Situationen abzuwarten und auch zu signalisieren, dass ein Sturz nicht schlimm war.

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Warum weinen manche Kinder bei Wehwehchen kaum und andere hingegen stark?

Das Schmerzempfinden ist individuell und von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Dies ist einerseits genetisch bedingt, andererseits ist es ein Lernvorgang. In unserem Gehirn ist die Schmerzwahrnehmung eng an die Bereiche gekoppelt, die für die Empfindung von Emotionen zuständig sind. So haben ängstliche Kinder häufig ein stärker ausgeprägtes Schmerzempfinden. Aber auch Kinder von ängstlichen oder auf große Sicherheit fokussierten Eltern erleben Schmerzen als bedrohlicher und damit als stärker. Aus diesem Grund haben Eltern einen enormen Einfluss darauf, wie ihre Kinder schmerzhafte Erlebnisse wahrnehmen.

„Das Schmerzempfinden ist genetisch bedingt, aber auch ein Lernvorgang. Eltern haben einen großen Einfluss darauf, wie ein Kind eine Schmerzsituation beurteilt.“

Dr. Adam Geremek
Oberarzt der Kinder- und Jugendpsychosomatik am Helios Klinikum Schleswig und Inhaber des Psychosomatikums Kiel, Praxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Bei der AOK wird Kindergesundheit großgeschrieben

Kinder müssen erst lernen, auf die eigene Gesundheit zu achten und Körpersignale wahrzunehmen. Mit einem guten Bewegungsprogramm und gesundem Essen kann die geistige sowie körperliche Gesundheit von Kindern gefördert werden. Natürlich darf auch die gemeinsame Zeit nicht fehlen. Laut der AOK Familienstudie 2014 ist die gemeinsam verbrachte Zeit als Familie ein wichtiger Taktgeber in Sachen Gesundheit.

Eine besondere Rolle spielen auch Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen). Die AOK übernimmt die Kosten für alle elf Untersuchungen, die sich von der Geburt bis ins Jugendalter erstrecken. Eltern mit jüngerem Nachwuchs erhalten übrigens bei der Vorsorgeuntersuchung auch Informationen zur Vermeidung von Stürzen und für eine sichere Kinderumgebung. So können Tränen in einigen Fällen vermieden werden.

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