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Psychologie

Richtig mit Trauer umgehen

Veröffentlicht am:19.10.2021

5 Minuten Lesedauer

Abschiede gehören zum Leben dazu, genauso wie traurige Momente. Stirbt allerdings ein geliebter Mensch oder trennt sich der Lebenspartner, kann die Trauer anhalten. Ein richtiger Umgang mit Trauer ist wichtig, um die Lebensfreude zurückzugewinnen und mit Freude die Zukunft zu gestalten. Doch wie gelingt das? Im Interview spricht die Trauerbegleiterin Nicole Friederichsen.

Zwei Menschen halten sich die Hände und unterstützen sich in der Trauer.

© iStock / PeopleImages

Porträtfoto von Nicole Friederichsen

© Iris Klöpper

Nicole Friederichsen ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Bundesverband Trauerbegleitung e.V. (BVT) und systemische Trauerbegleiterin (BVT) sowie Traumapädagogin. Sie erklärt im Interview, warum Trauer eine wichtige Bewältigungsstrategie ist.

Warum ist Trauern wichtig?

Trauer ist die natürliche Reaktion auf einen Verlust. Zunächst einmal ist sie damit ein Teil vom Abschiednehmen. Das erlebt jeder Mensch in seinem Leben und ist auch nicht auf Trauer durch Tod beschränkt. Jeder trauernde Mensch benötigt Zeit, um das Geschehene zu begreifen und in sein Leben zu integrieren. Es ist dafür wichtig, dass wir eine gesellschaftliche Anerkennung für trauernde Menschen finden, um Trauerprozessen einen natürlichen Raum zu geben.

Wie gestaltet sich ein Trauerprozess?

Trauer ist so individuell wie die Menschen selbst. Es gibt sicherlich wiederkehrende Muster im Verlauf der Trauer, aber ich würde mit meinem heutigen Wissensstand Abkehr nehmen von festen Zeiten für die Dauer eines Trauerprozesses oder die Einteilung in Phasen. Vielmehr ist es wichtig zu wissen, dass auch noch nach Monaten oder Jahren ein Tief erfolgen kann. In der Fachliteratur finden wir hierzu beispielsweise Bilder von Gezeiten. Es geht im Trauerprozess vornehmlich darum, die Trauer und die Erinnerungen in das Leben zu integrieren und mit dem Verlust zu leben und auch daran zu wachsen.

Trauert jeder Mensch gleich?

Nein, aber natürlich gibt es Ähnlichkeiten. Viele trauernde Menschen leiden unter Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Konzentrationsstörungen und Antriebslosigkeit. Andere vergraben sich in Ablenkung. Wieder andere sind kontrolliert und die nächsten haben vielleicht schon Verluste erlebt und haben Erfahrungen gesammelt. Niemand kann vorhersehen, wie ein Verlust sich auswirkt. Ich finde es wichtig, die Trauer zuzulassen, denn durch Reaktionen wie Weinen, Wut und den Schmerz lösen sich die Gefühle und wir kommen voran in der Verarbeitung.

„Niemand kann vorhersehen, wie ein Verlust sich auswirkt. Ich finde es wichtig, die Trauer zuzulassen, denn durch Reaktionen wie Weinen, Wut und den Schmerz lösen sich die Gefühle und wir kommen voran in der Verarbeitung.“

Nicole Friederichsen
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Bundesverband Trauerbegleitung e.V. (BVT), systemische Trauerbegleiterin (BVT) sowie Traumapädagogin

Warum ist Verdrängung keine geeignete Strategie?

Eine Unterdrückung oder Verdrängung von Trauer kann eventuell zu körperlichen oder seelischen Erkrankungen führen. Die Gefühle, die nicht ausgelebt werden, bahnen sich dann manchmal einen anderen Weg im Körper. Freude würden wir vermutlich nie unterdrücken und durch die Tabuisierung von Sterben, Tod und Trauer fühlen sich viele Menschen verunsichert, ihre Trauer zu zeigen. Wir müssten diese Frage nicht beantworten, wenn es „normal“ wäre, Trauer im Alltag zu zeigen. Das ist uns im Bundesverband Trauerbegleitung e.V. ein großes Anliegen, dafür engagieren wir uns bundesweit ehrenamtlich.

Wie geht „richtig“ trauern?

Trauern geht nicht richtig oder falsch. Jeder Mensch muss für sich einen Weg finden, den Verlust in sein Leben zu integrieren und zu begreifen, was da passiert ist. Auch die Umstände des Verlusts haben einen großen Einfluss auf die Trauer jedes Einzelnen. Wichtig finde ich es, mit sich selbst ehrlich zu sein, seine Gefühle zu achten und zu spüren, was jetzt guttut. Ungeachtet von den „Ratschlägen“ von außen, denn da gibt es keine Vergleiche. Jeder Mensch ist individuell und damit auch seine Trauer.

Wie lange dauert es, bis der Schmerz nachlässt?

Der Schmerz verändert sich. Für jeden. Das kann Wochen dauern, Monate oder Jahre. Wenn trauernde Menschen genau hinschauen, dann sind es minimale Veränderungen oder auch mal riesige Schritte. Der Schmerz darf sein, soll sein und stellt für manche auch eine liebevolle Verbindung zum Verstorbenen oder dem Verlust dar. Ich gebe mal ein bildliches Beispiel. Den Schmerz kann man sich wie eine Wunde vorstellen, die anfangs ganz tief ist und dann langsam verheilt.

Die Größe der Narbe hängt am Ende auch davon ab, wie oft man den Schorf wieder abgerissen hat und wie die Wundheilung insgesamt verlaufen ist. Manche Narben schmerzen auch nach Jahren noch. Andere verblassen im Laufe der Zeit und spielen im Alltag eine untergeordnete Rolle.

„Der Schmerz darf sein, soll sein und stellt für manche auch eine liebevolle Verbindung zum Verstorbenen oder dem Verlust dar.“

Nicole Friederichsen
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied beim Bundesverband Trauerbegleitung e.V. (BVT), systemische Trauerbegleiterin (BVT) sowie Traumapädagogin

Wann und von wem sollte ich mir Hilfe holen?

Wenn Sie nach Wochen und Monaten das Gefühl haben, nicht wieder in den Alltag zu finden, oder zum Beispiel gar nicht in der Lage sind zu arbeiten, dann fände ich es wichtig, darüber nachzudenken. Dabei könnten Sie den Erstkontakt zu Ihrem behandelnden Arzt, einem vertrauten Menschen oder auch dem Arbeitgeber aufnehmen, um sich Verbündete und Unterstützung zu suchen.

Nahezu in jedem Ort gibt es zunächst niedrigschwellige Angebote wie Trauercafés. Auch Trauergruppen, Einzelbegleitung oder Selbsthilfegruppen sind im Internet oder über entsprechende Einrichtungen vor Ort zu finden. In der Praxis erlebe ich viele Fälle, in denen Trauergruppen oder eine Beratung präventiv aufgesucht werden.

Doch natürlich benötigt nicht jeder trauernde Mensch eine Gruppe oder psychotherapeutische Hilfe, manchen reicht auch schon ein stabiles, geduldiges Umfeld – sowohl beruflich wie auch privat. Das ist sicherlich die Herausforderung, in all den Angeboten für sich selbst den richtigen Weg zu finden und zu erkennen, wann es nicht mehr ohne fremde Hilfe geht. Auch das ist Teil der Trauer.

Zwei Frauen bei einer Therapiegruppe zur Trauerbewältigung schenken sich gegenseitig Trost.

© iStock / FatCamera

Kann die Trauer allein nicht überwunden werden, können Selbsthilfegruppen oder Gesprächsrunden eine Hilfe sein.

Wie kann ich Menschen unterstützen, die trauern?

Seien Sie da! Egal ob Kollege, Chef, Freund, Nachbar. Ein Verlust ist ein einschneidendes existenzielles Erlebnis und braucht viel Zeit. Seien Sie ein guter Zuhörer und lassen Sie nicht nach. Es ist nicht nach sechs Wochen wieder alles gut, sondern es dauert. Melden Sie sich regelmäßig und bieten Sie Hilfe an. Scheuen Sie sich nicht, das Thema anzusprechen, und machen Sie auch die eigene Hilflosigkeit sichtbar. Bewerten Sie nicht, sondern begleiten in dem Bereich, der Ihnen liegt. Hauswirtschaftliche Unterstützung, Spaziergänge, gemeinsame Mittagspausen im Job. Wenn wir alle wieder ein wenig mehr Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten als Gemeinschaft bekommen, dann sind wir auch eine gute Unterstützung für trauernde Menschen.

Die AOK unterstützt individuell im Trauerfall

Wie jemand trauert und welche Unterstützung er dann benötigt, ist ganz unterschiedlich. Um die Trauer überwinden zu können, ist deshalb ein individueller Ansatz sinnvoll. Die AOK kümmert sich um ihre Versicherten und hat zahlreiche Hilfsangebote entwickelt. Mit einem Aufenthalt in einer Rehabilitationseinrichtung, die auf die Trauerbewältigung spezialisiert ist, kann neue Kraft geschöpft werden. Wenn sich eine Depression ankündigt, ist eine ambulante psychotherapeutische Behandlung sinnvoll. Die AOK übernimmt dafür die Kosten. Menschen, die sich in der Pflege engagieren, sind häufig mit dem Thema Trauer konfrontiert. Der Familiencoach Pflege stärkt die seelische Gesundheit von Angehörigen und nimmt sich dem wichtigen Thema Trauer an.

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