AOK Hessen
Geführte Kräuterwanderung in Hessen: Im Gespräch mit dem Kräuter-Thomas
Veröffentlicht am:23.05.2025
6 Minuten Lesedauer
Brennnessel, Löwenzahn oder Giersch: Bei vielen gelten Wildkräuter als Unkraut. Dabei sind sie schmackhaft, nährstoffreich und haben eine heilende Wirkung. Uns hat der Kräuterexperte Thomas Otterpohl erzählt, welche Schätze am Wegesrand wachsen.

© gettyimages / m-gucci
Wildkräuter: Apotheke am Wegesrand
So etwas wie Unkraut gibt es für Thomas Otterpohl nicht: In seinem Garten in Hofgeismar dürfen über 80 verschiedene Wildkräuter frei wachsen. Denn für ihn steckt in jedem Kraut eine Apotheke für Mensch und Tier. Genau deshalb möchte er den Menschen in seiner hessischen Wahlheimat zeigen, was Pflanzen alles können – und wie sie uns nützen.
Herr Otterpohl, bei Ihren Führungen lernen wir Sie als „Kräuter-Thomas“ kennen – wie entstand Ihre Vorliebe für Heilpflanzen?
Ich war schon als Jugendlicher oft zum Pilzesuchen im Wald oder habe an stillen Waldseen geangelt – so entstand bei mir eine tiefe Verbindung zu Pflanzen und zur Natur. Mein Berufswunsch damals war Schäfer oder Förster. Und im Schrebergarten meines Vaters wuchsen jede Menge Wildkräuter, den Duft habe ich heute noch in der Nase. Ich erinnere mich gern daran, wie wir sie auf verschiedenste Weisen zubereitet und gekostet haben.
Keimte damals schon die Idee, den Menschen die Vielfalt der Kräuter nahezubringen?
Bis dahin hat es noch eine kleine Weile gedauert, dazwischen liegen 40 Jahre Arbeit in der Landwirtschaft. Wobei sich die Schweine auch schon über meine Liebe zur Natur freuen konnten, ich habe sie nämlich lieber mit Kräutern als mit Antibiotikum behandelt. Dann ging der Landwirt, bei dem ich zuletzt angestellt war, in Rente. An dem Punkt war mir klar, dass ich mich wieder den Pflanzen widme. Ich wollte den Menschen zeigen, wo Kräuter wachsen, wie sie schmecken und was sie bewirken. Das Wissen dazu habe ich mir selbst angeeignet und zusätzlich eine Schulung zum Kräuterexperten absolviert – und jetzt bin ich eben der Kräuter-Thomas.
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Wie läuft denn eine Führung mit dem Kräuter-Thomas ab?
Das kann ein Feierabendspaziergang sein oder eine märchenhafte Kräuterwanderung. Beliebt ist die Führung, bei der ich die Geschichte der Wildkräuter seit dem Mittelalter erzähle – da trage ich natürlich auch ein passendes Gewand (Anmerkung der Redaktion: siehe Bild). Rund um Hofgeismar suche ich mir am Wegesrand die Kräuter, die gerade wachsen und erzähle den Teilnehmern, wie das jeweilige Kraut heißt, was es bewirkt und wie man es verwendet. Mir ist auch wichtig, dass dabei jeder selbst erlebt, wie sich ein Kraut anfühlt und wie es schmeckt. Besonders gut können sich die Menschen die Namen der Pflanzen merken, wenn ich eine Geschichte aus längst vergangenen Zeiten dazu parat habe.

© Paavo Blåfield
Diese Geschichten interessieren uns natürlich auch…
Ich erzähle zum Beispiel gern vom Holunder, gewidmet der keltischen Göttin Holla – auch als Frau Holle aus dem Märchen der Gebrüder Grimm bekannt. Er beschützt Haus und Hof vor bösen Geistern, Feuer oder Blitzschlag. Deshalb wuchsen die Holunderbüsche damals nah an Gebäuden und durften auf keinen Fall abgeschlagen werden, denn das brachte den Bewohnern Unglück. Heute schätzen wir den Holunder vor allem für seine vielfältigen Heilkräfte.
Welche Heilkräfte sind das denn?
In erster Linie stärken die weißen Blüten und die dunkelroten Beeren des Holunders unser Immunsystem, am besten als Tee oder Saft. Ich trinke den selbstgemachten Holunderbeerensaft ab November täglich und bin damit den Winter über gut gegen Erkältungen gewappnet. Wichtig ist dabei nur, die Beeren abzukochen, roh sind sie ungenießbar. Die Holunderblätter wiederum haben als Tee eine blutreinigende Wirkung, und das ausgekochte Mark der Rinde ist gut für die Nieren. Es tun uns also wirklich alle Teile des Holunderbusches auf ihre Weise gut.
Apropos Winter: In der kalten Jahreszeit finde ich keine frischen Wildkräuter, oder?
Stimmt, dafür ist die beste Zeit zwischen Mai und August. Aber wir können die Kräuter ganz leicht trocknen: Einfach in den Schatten legen, bis sie trocken sind, und dann in Papiertüten oder Schraubgläsern gut verwahren. So halten sich Geschmack und Wirkstoffe bis zu einem Jahr. Einfrieren ist nur für Küchenkräuter wie Petersilie sinnvoll, um die Würzkraft zu erhalten – die Wirkstoffe von Heilkräutern gehen dabei aber leider verloren. Eine tolle Alternative zu Wildkräutern sind im Winter auch Keimlinge aus Brokkoli oder Mungobohnen, die stecken ebenfalls voller Nährstoffe.
Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Küchenkräutern und Wildkräutern?
Küchenkräuter sind wunderbar – sie sind aber natürlich für den Gebrauch in der Küche gezüchtet. Für mich bringen Wildkräuter noch einmal einen ganz eigenen Geschmack und eine Vielfalt in unsere Speisen, den wir sonst nicht kennen. Sie enthalten auch Bitterstoffe, die aus den meisten anderen Kräutern herausgezüchtet wurden. Wildkräuter sind quasi eine Gratis-Apotheke, die uns immer zur Verfügung steht.
Klingt gut. Aber wie kann ich als Einsteiger Wildkräuter in meine tägliche Ernährung bringen?
Ganz einfach funktioniert es, den Salat mit verschiedenen Wildkräutern wie Bärlauch, Löwenzahn, Brennnessel und Giersch aufzupeppen. Giersch ist ja bei Gartenbesitzern oft verhasst, weil er sich überall ausbreitet, aber er ist eine richtige Nährstoffbombe und enthält mehr Vitamin A und Vitamin C als beispielsweise Spinat. Er schmeckt ähnlich wie Petersilie – probieren Sie es einfach mal aus.
Haben Sie eigentlich ein ganz persönliches Lieblingskraut?
Ich finde, die Brennnessel ist ein echtes Wunderkraut. Sie kann Beschwerden bei Harnwegsinfektionen lindern, wirkt entzündungshemmend und enthält wichtige Mineralstoffe wie Eisen und Kalium. Ich würde sagen, sie ist unsere wertvollste Heilpflanze. Sie lässt sich ähnlich wie Spinat verarbeiten, durch kurzes Kochen oder Blanchieren macht man die Brennhaare unschädlich. Roh schmeckt sie im Smoothie oder Salat, dafür reicht es, die Blätter vorsichtig unter lauwarmes Wasser zu halten, das macht die Brennhaare weich. Auch die Samen der Brennnessel sind essbar: Einfach in einer Pfanne mit etwas Butter anbraten und über den Salat geben.
Was muss man beim Wildkräuter sammeln beachten – haben Sie Tipps für uns?
Es gibt inzwischen gute Bestimmungs-Apps, die sind besser als manche Bücher. Wer ein Fachbuch schaut, sollte eines mit Zeichnungen nehmen, die sind genauer als Fotografien. Und dann einfach mit offenen Augen durch die Natur gehen – wer einmal angefangen hat, auf Wildkräuter zu achten, wird sie überall entdecken. Viele ehemalige Teilnehmer meiner Wanderungen sagen mir, dass sie seither viel achtsamer geworden sind.
Sie sind ursprünglich aus Magdeburg, leben aber seit 30 Jahren in Nordhessen. Gibt es etwas an der Natur hier, was sie besonders fasziniert?
Ein ganz besonderer Ort ist für mich der Urwald Sababurg im Naturpark Reinhardswald, der im 18. Jahrhundert als Weidewald diente. Seit 1907 steht er unter Schutz und wurde nicht künstlich aufgeforstet. Die knorrigen, Jahrhunderte alten Hute-Eichen, meterhoher Adlerfarn und bizarre Gebilde aus Totholz schaffen eine mystische Atmosphäre, fast wie im Märchen. Man fühlt sich richtiggehend in die Zeiten von Feen und Waldgeistern versetzt. Mich hat dieser Wald so fasziniert, dass ich dort mittlerweile auch Führungen anbiete.
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