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Häusliche Gewalt: Es gibt immer einen Ausweg
Veröffentlicht am:12.08.2025
6 Minuten Lesedauer
Häusliche Gewalt kann in jeder Beziehung oder Familie vorkommen. Betroffene empfinden ihre Situation oft als ausweglos – aber es gibt viele Hilfsangebote. Was du tun kannst, wenn du Zeuge häuslicher Gewalt wirst, und wo Betroffene Unterstützung finden.

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Inhalte im Überblick
- Häusliche Gewalt: keine Privatsache
- Daran erkennst du häusliche Gewalt
- Häusliche Gewalt: Das Opfer hat keine Schuld
- Hier gibt es Hilfe für Opfer von häuslicher Gewalt
- Was du als Außenstehender bei Gewalt gegen Frauen und Männer tun kannst
- Hilfsangebote in Hessen und deutschlandweit
- Jeder Mensch hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben!
Häusliche Gewalt: keine Privatsache
Häusliche Gewalt trifft Menschen dort, wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen sollten – im eigenen Zuhause. Vor allem Frauen müssen diese Erfahrung machen: Jede vierte Frau erlebt in ihrem Leben mindestens einmal Gewalt in einer engen Beziehung, und das in jeder Gesellschaftsschicht. Viele denken bei häuslicher Gewalt an Schläge und sexuelle Übergriffe, meist beginnt sie aber viel früher: durch gezielte Demütigungen, Drohungen oder finanzielle Kontrolle. Das Opfer steckt in einer Gewaltspirale, die immer exzessiver wird. Meist geht es den Tätern darum, Macht auszuüben und den anderen zu kontrollieren. Gerade weil häusliche Übergriffe hinter verschlossenen Türen stattfinden, gilt: Gewalt ist niemals Privatsache. Sie betrifft nicht nur die Opfer, auch Kinder, die Gewalt miterleben, leiden oft ein Leben lang unter den Folgen – psychisch und körperlich. Und: Häusliche Gewalt belastet die Gesundheitssysteme, Justiz, Polizei und soziale Einrichtungen. Sie verstärkt soziale Ungleichheiten und verhindert Chancengleichheit, vor allem für Frauen. Schweigen und Wegsehen machen Täter stark – und halten Opfer klein. Deshalb geht häusliche Gewalt uns alle an. Hier erfährst du, welche Wege aus der Gewaltspirale herausführen.
„Gewaltspirale“ – was bedeutet das eigentlich?
Häusliche Gewalt bleibt selten bei einem einmaligen Übergriff. Oft beginnt sie schleichend und wiederholt sich nach einem bestimmten Muster: Auf die körperliche oder verbale Gewalt folgt eine Reuephase des Täters. Er entschuldigt sich und verspricht, sich zu bessern. Diese plötzliche Zuwendung wird als schön empfunden, plötzlich ist der Partner wieder die Person, in die man sich verliebt hat. Danach baut sich wieder eine Spannung auf, es kommt erneut zum Gewaltausbruch, oft steigert sich die Intensität mit der Zeit. Wer in einer solchen Gewaltspirale lebt, verliert das Gefühl dafür, was normal ist – Kontrolle, Angst und Gewalt werden Teil des Alltags. Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Außenstehende hinschauen und sensibel nachfragen
Daran erkennst du häusliche Gewalt
Betroffene ziehen sich häufig zurück, wirken ängstlich oder unsicher und vermeiden den Kontakt zu Freunden und Familie. Oft rechtfertigen sie Verletzungen als Unfälle oder verhalten sich auffällig angepasst gegenüber dem Partner – aus Angst, zu provozieren oder die Situation zu verschlimmern. Außenstehende können auf wiederkehrende blaue Flecken, auffällige Kleidung wie Schals bei warmem Wetter, ständige Nervosität oder den plötzlichen Kontaktabbruch achten. Auch wenn jemand immer wieder Termine absagt, nicht mehr über private Dinge spricht oder von Eifersucht und Kontrolle durch den Partner erzählt, sind das Warnsignale. Häufig wirken Betroffene wie ausgewechselt: Sie sind traurig, erschöpft, depressiv oder haben Stimmungsschwankungen. Sie brechen langjährige Kontakte ab, erscheinen nicht mehr zu gewohnten Treffen oder meiden soziale Anlässe. Auch das Verhalten des Partners kann Hinweise geben: Wenn er sie kontrolliert, ständig anruft oder Nachrichten schreibt, ihre Kontakte einschränkt oder für sie spricht und entscheidet.
Häusliche Gewalt: Das Opfer hat keine Schuld
Kommt es zu Gewalt, sehen viele Opfer das als persönliches Versagen, da sie sich dafür verantwortlich fühlen, dass die Partnerschaft gelingt. Sie geben sich selbst die Schuld daran, oder glauben dem Täter, wenn der ihnen die Schuld zuweist. Gerade bei Frauen kommt häufig auch die Sorge vor einem sozialen Abstieg dazu. Sie sind finanziell abhängig – weil der Partner das Konto kontrolliert, den Job verbietet oder sie nicht wissen, wie sie allein über die Runden kommen. Oft droht der Täter auch damit, bei einer Trennung die Kinder zu entziehen. Viele haben auch Angst, dass die Situation eskaliert, wenn sie gehen. Sie fürchten, der Partner könnte noch aggressiver werden oder ihnen und den Kindern etwas antun. Was wichtig ist: Gewalt ist niemals die Schuld des Opfers. Verantwortung trägt allein der Täter. Hilfe zu suchen, ist der erste Schritt – auch wenn er schwerfällt.
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Hier gibt es Hilfe für Opfer von häuslicher Gewalt
Zuerst einmal: Was dir passiert ist nicht deine Schuld, und du bist nicht allein. Es gibt viele Wege, dir Unterstützung zu holen:
- In akuten Gefahrensituationen: Ruf die Polizei unter 110 – so schnell wie möglich.
- Beratungsstellen, Frauenhäuser und das bundesweite Hilfetelefon (08000 116 016) sind wichtige Anlaufstellen. Hier bekommst du Unterstützung, auch anonym und rund um die Uhr.
- Ein Sicherheitsplan kann in gefährlichen Situationen lebenswichtig sein. Pack wichtige Dokumente, Schlüssel, Geld, Medikamente und persönliche Dinge in eine Tasche – verstecke sie an einem sicheren Ort, um im Notfall schnell fliehen zu können.
- Wenn du kannst, sichere Beweise: Fotos von Verletzungen, ärztliche Atteste, Notizen über Vorfälle – mit Datum, Uhrzeit, Ort und Details. Diese Unterlagen können später wichtig sein, zum Beispiel für eine Anzeige oder Schutzanordnungen vom Gericht.
- Du hast Anspruch auf rechtlichen Beistand. Durch eine Anzeige oder Schutzanordnung kann ein Täter vom Gericht verpflichtet werden, Abstand zu halten oder die gemeinsame Wohnung zu verlassen.
- Sprich mit jemandem, dem du vertraust. Freunde, Familie oder Nachbarn können dich unterstützen oder im Notfall für dich da sein. Auch Beratungsstellen helfen dir, ein Netzwerk aufzubauen.
- Kennst du das Codewort „Maske 19“? In Apotheken, bei Ärzten und in Kliniken können Betroffene es als unauffälligen Hilferuf nutzen, um sich Hilfe zu holen. Auch das stille Handzeichen – eine Faust, bei der der Daumen in die Handfläche gelegt und von den Fingern umschlossen wird – ist ein Signal, um darauf aufmerksam zu machen, dass man Gewalt erlebt und Hilfe braucht.

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Was du als Außenstehender bei Gewalt gegen Frauen und Männer tun kannst
Bei Anzeichen von häuslicher Gewalt sind Menschen im Umfeld der Betroffenen oft unsicher, wie sie die Situation einschätzen und wann sie eingreifen sollen. Das Wichtigste: Schweigen hilft den Betroffenen nicht – wer aufmerksam hinschaut und sensibel nachfragt, kann helfen:
- Sprich die Person vorsichtig an – ohne Druck aufzubauen. Frag nach, höre zu, nimm Sorgen ernst.
- Vermeide es, die Situation zu bagatellisieren oder der betroffenen Person Vorwürfe zu machen. Schuld trägt niemals das Opfer, sondern immer der Täter.
- In akuten Gefahrensituationen: Ruf die Polizei – das kann Leben retten. Wenn du in der Nähe bist, sprich Nachbarn an, bitte andere um Hilfe.
- Auch langfristig kannst du viel tun: Sei da, höre zu, biete deine Unterstützung an. Ermutige die betroffene Person, Hilfe in Anspruch zu nehmen, begleite sie auf Wunsch zu einer Beratungsstelle oder stehe bei der Suche nach sicheren Orten zur Seite. Informationen und Adressen von Hilfsangeboten können ein wichtiger erster Schritt sein – besorge sie, teile sie. Jede Hilfe zählt.
Hilfsangebote in Hessen und deutschlandweit
Wir haben die wichtigsten Adressen zusammengestellt. Hier bekommen Betroffene in Hessen Hilfe:
- Frauenhäuser in Hessen bieten einen sicheren Ort und umfassende Unterstützung wie Beratungsgespräche, Hilfe bei Anträgen, Begleitung zu Ämtern oder Behörden und Kinderbetreuung.
- Der Verein Wildwasser Frankfurt e.V. unterstützt Opfer von sexuellem Missbrauch.
- Beratungs- und Interventionsstellen informieren über Rechte und Möglichkeiten – zum Beispiel, wie du Schutzanordnungen beantragst oder Unterstützung bei Ämtern und Behörden bekommst.
- Soforthilfe findest du beim Frauennotruf.
- Der Landkreis Fulda bietet einen Bürgerservice für Gewaltopfer an.
- Beim Forensischen Konsil Gießen kannst du Verletzungen vertraulich und unabhängig von einer Strafanzeige rechtsmedizinisch dokumentieren lassen.
Und diese Angebote unterstützen deutschlandweit:
- Der Weiße Ring e.V. leistet Opfern von Gewalt Beistand und berät auch in rechtlichen Fragen.
- Beim Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ erhalten betroffene Frauen unter der Nummer 116 016 und über die Website www.hilfetelefon.de rund um die Uhr anonym und vertraulich Unterstützung.
- Auch Männer können Opfer von häuslicher Gewalt werden. Für sie gibt es das Männerhilfetelefon, zu erreichen unter der Nummer 0800 1239900.
- Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, finden bei der Nummer gegen Kummer unter 116 111 Hilfe.
Jeder Mensch hat das Recht auf ein gewaltfreies Leben!
Du hast ein Leben ohne Angst verdient. Niemand darf dich klein machen, kontrollieren oder verletzen. Und auch wenn es sich manchmal so anfühlt: Du bist nicht allein. Es gibt viele Hilfsangebote, und du kannst sie in Anspruch nehmen. Vielleicht kann eine Selbsthilfegruppe ein erster Schritt in die richtige Richtung sein? Trau dich, den ersten Schritt zu gehen – in ein Leben in Freiheit und ohne Gewalt. Auch wir sind für dich da und unterstützen dich mit unserem medizinischen Info-Telefon Clarimedis. Und wenn du nicht selbst betroffen bist: Wenn es jemanden gibt, um den du dir Sorgen machst, sprich die Person an – behutsam und ohne Vorwürfe. Denn du könntest für sie oder ihn den Stein für ein Leben ohne Gewalt ins Rollen bringen. In deiner Familie gibt es jemanden, der aufgrund einer Gewalterfahrung depressiv ist? Wir unterstützen dich mit dem Familiencoach Depression, unserer Online-Hilfe für Angehörige.
Deine AOK wünscht dir viel Kraft!