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Jetzt chillt doch mal zusammen!

Veröffentlicht am:19.12.2025

5 Minuten Lesedauer

Digitale Medien im Familienalltag: Der Bremer Experte Markus Gerstmann gibt Tipps, wie Eltern ihre Kinder begleiten und gemeinsam eine gute Zeit verbringen können. Drei Familien erzählen, wie das zu Hause funktioniert.

Vater und Tochter sind von hinten zu sehen, wie sie gemeinsam an einem Tablet sitzen und eine App auswählen.

© Jens Lehmkühler

Entspannter Umgang mit der Handynutzung

Antje Noah-Scheinerts Töchter bekamen ihre ersten Smartphones mit 12 und 14 Jahren. Die Eltern gingen mit der Handynutzung der Kinder entspannt um: „Das war kein Thema für uns. Niemand wäre auf die Idee gekommen, das Handy am Esstisch zu benutzen“, erinnert sich die Wahlbremerin. Die Handyzeit zu beschränken oder Verbote auszusprechen, kam für die Mutter nicht infrage. „Das hätte eher den Reiz erhöht“, vermutet sie. Ihre jüngere Tochter habe beispielsweise gern E-Books auf dem Smartphone gelesen. „Dagegen war ja nichts einzuwenden.“

Fast alle Kinder nutzen Smartphones

Das Internet gehört fest zum Alltag Heranwachsender: 98 Prozent aller Kinder und Jugendlichen zwischen sechs und 18 Jahren in Deutschland nutzen ein Smartphone, Tablet und Computer – allein oder gemeinsam mit den Eltern. Das besagt eine Studie des Digitalverbands Bitkom aus dem Jahr 2022, für die mehr als 900 Kinder und Jugendliche befragt wurden. Bereits zwei Drittel der Sechs- bis Neunjährigen verwenden demnach Smartphones. Bei den Zehn- bis Zwölfjährigen sind es 92 Prozent. Ab dem Alter von zwölf Jahren gibt es kaum noch Kinder oder Jugendliche ohne eigenes internetfähiges Handy. 

Angst vor Mediensucht

Markus Gerstmann im Gespräch
Markus Gerstmann

Die Faszination, die digitale Medien auf junge Menschen ausüben, scheint groß zu sein. Der diesjährigen JIM-Studie zufolge verbringen Kinder und Jugendliche zwischen 12 und 19 Jahren täglich im Schnitt knapp vier Stunden am Bildschirm. Die internetfähigen Geräte können einerseits nützliche Helfer für Hausaufgaben, schulische Präsentationen und Recherchen sein. Andererseits bergen Spiele, YouTube-Videos und soziale Medien wie TikTok hohes Ablenkungspotenzial. „Digitale Medien haben eine große Sogkraft. Viele Eltern fragen sich, ob ihr Kind mediensüchtig ist“, bestätigt Markus Gerstmann. Der außerschulische Bildungsreferent im Bremer Servicebureau Jugendinformation beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren mit dem Einfluss der digitalen Welt auf Kinder und Jugendliche. Bei Elternabenden, in Seminaren und Workshops erläutert er, welche Medien gerade beliebt sind und worin die Gefahren liegen. Er gibt Tipps dazu, wie Eltern ihre Kinder dabei begleiten und digitale Medien in den Familienalltag integrieren können. 

Differenzierte Betrachtung der Nutzung

„Wichtig ist, digitale Medien nicht zu verteufeln, sondern zu differenzieren“, sagt Gerstmann. Eltern können mit ihren Kindern eine gute Zeit verbringen – völlig egal ob analog oder digital. „Es geht immer um die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, um das gute Gefühl und schöne Erinnerungen.“ Für gemeinsame Erlebnisse eigneten sich digitale Brettspiele, Sprachlern-Anwendungen, Natur-Apps zum Erkennen von Pflanzen, Vogelstimmen oder Flugzeugen am Himmel ebenso wie digitale Stadtführungen, bei denen die Familie draußen etwas entdecken kann.

Verstehen statt verbieten

Bei jüngeren Kindern empfiehlt Gerstmann, ein Wochenbudget für die Mediennutzung statt einer täglich festgelegten Zeit auszumachen. Das Kind könne sich die Zeit so nach seinen Bedürfnissen und Interessen selbst einteilen. Wer mit seinem Nachwuchs Gutscheine dafür bastele, stärke zusätzlich die Bindung. Medienkompetenz heiße, eigene Erfahrungen zu sammeln. „Sich in einem gewissen Rahmen die Finger zu verbrennen, hat einen Lerneffekt“, erläutert der Medienexperte. Auf diese Weise erkennen Kinder und Jugendliche, was ihnen guttut und was nicht. Sie lernen, Grenzen zu setzen – auch sich selbst. 

Echtes Interesse der Eltern wichtig

Eine gute Bindung entstehe auch durch echtes Interesse der Eltern für die Onlinewelt ihrer Kinder, sagt Gerstmann. Erwachsene müssten nicht ständig daneben sitzen. Sie können ein paar Minuten zugucken, zuhören und sich etwas erklären lassen, ohne zu bewerten – selbst wenn es um ein vermeintlich unsinniges TikTok-Video gehe. „Die Botschaft an die Eltern lautet: ,Guckt mal, das finde ich gerade toll!’ Diese lichten Momente, in denen sich Jugendliche öffnen, sind eine Chance, im Gespräch zu bleiben und über Werte in der Familie zu verhandeln. Die Spülmaschine kann dann mal warten.“

Eine Familie begeistert sich für Sport

Eine halbe Stunde Medienzeit am Tag und kein Handy beim Essen: Das sind die Regeln bei Familie Gluza. Die elfjährige Tochter Lynn hat seit der fünften Klasse ein eigenes Smartphone. Einen Instagram-Account hat sie nicht, dafür nutzt sie den ihrer Mutter. „So sehe ich, was sie sich anschaut und wem sie folgen will“, sagt Inken Gluza. Lynns Schwester Emmy ist acht und besitzt kein eigenes Handy. Sie greife aber auf das Smartphone oder Tablet der Eltern zurück, die mit ihr besprechen, was sie verwenden darf. Ihre Mutter ist überzeugt, dass das der richtige Weg ist: „Wir können die Mädchen nicht davon fernhalten oder beschützen. Also begleiten wir sie.“ 

Sie seien eine sportbegeisterte Familie, sagt Vater Martin Gluza. Ob Voltigieren, Tischtennis oder die Olympischen Spiele: „Durch das Internet sind wir viel dichter an unseren Hobbys dran“, findet Inken Gluza. Emmy übe mit einer Sprachlern-App Spanisch. Schwester Lynn spiele gern digital Schach „gegen echte Menschen“. Emmy und ihr Vater begeistern sich zudem für „Pokémon“, worüber sie beim Abendbrot auch mal ausgiebig diskutieren.

Medienzeit nicht pauschal für jede Nutzung

Lynn nutzt das Smartphone auch, um auf Stunden- und Vertretungspläne zuzugreifen, außerdem kommuniziert sie über WhatsApp mit ihren Klassen- und Sportgruppen. Das Handy habe viele Vorteile, findet Lynn. Aber auf WhatsApp-Nachrichten zu warten, nehme viel Zeit weg, sagt sie. „Das hat mich genervt“. Deshalb stelle sie sich einen Timer, der ihre Whatsapp-Zeit begrenzt und der sie daran erinnert, wenn zehn Minuten abgelaufen sind. 

 Digital für die Schule lernen oder E-Books lesen? „Das zählt für uns nicht zur Medienzeit“, betont Martin Gluza. Ebenso wenig wie die Familienabende bei großen Sportveranstaltungen oder wenn „Kevin allein zu Haus“ läuft. Dann sitzen alle zusammen vor dem Fernseher.

Mit Geocaching raus in die Natur

Bei Familie Hahndorf hat es früher ständig Diskussionen gegeben, weil die Jungs so viel Zeit mit Computerspielen verbrachten. Daran erinnert sich Sabine Hahndorf. Irgendwann aber habe ihr Mann Ulli Hahndorf, ein Software-Entwickler, seine Söhne mit seiner Leidenschaft für das Geocaching angesteckt. Das findet draußen statt. Mittels GPS-Daten sucht man sogenannte Caches, zudem sind allerlei Aufgaben zu lösen. Wer ein Versteck gefunden hat, entdeckt dort auch ein Minilogbuch, in das sich die Finder eintragen können. „Die Jungs fanden das super. Eine Schatzsuche draußen mit Rätseln und Tüftelei, besser geht es nicht, um zusammen in Bewegung zu kommen.“ Jonas sei damals keine zehn Jahre alt gewesen. Sein Bruder Moritz war 13. 

Stundenlang waren sie draußen unterwegs. „Du guckst nicht konstant aufs Handy, nutzt es aber aktiv“, sagt Hahndorf. Zum Beispiel um sich in der Natur zu orientieren, Koordinaten zu verstehen, einen Kompass zu benutzen und den nächsten Code zu knacken. Bei den digitalen Schnitzeljagden seien seine Kinder mit ihm auf Bäume geklettert, mit dem Boot gefahren und nachts mit Kopflampe durch Wälder gestapft. Irgendwann haben sie selbst ihren ersten Cache gemacht und dafür Playmobil-Figuren in einem Baum versteckt. 

Familien-Snapchat und Picknick vor dem Fernseher

Antje Noah-Scheinerts Töchter sind inzwischen erwachsen. Um in Kontakt zu bleiben, nutzt die Familie den Messenger-Dienst „Snapchat“, bei dem die Nachrichten nach dem Betrachten wieder verschwinden. „Das ist unser Hauptkommunikationsmittel für schnelle Infos oder Fotos zwischendurch.“ So tolerant die Mutter bei der Handynutzung ihrer Töchter auch war – eine Regel gab es im Hause Noah-Scheinert doch. „Die Mädchen durften fernsehen, aber nur, wenn ich mitgucke“, erzählt sie. Dann gab es „Bibi und Tina“ oder „Amadeus“ und ein Picknick auf dem Teppich vor dem Sofa. Es scheinen schöne Erinnerungen zu sein – auch für die Töchter: „Jahre später haben mir die beiden zum Muttertag einen Gutschein für einen Fernsehabend mit Picknick geschenkt.“

Text: Catrin Frerichs, Fotos: Jens Lehmkühler

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