Psychologie
Künstliche Intelligenz im Klinikalltag – Fluch oder Segen?
Veröffentlicht am:20.10.2025
3 Minuten Lesedauer
Unser Kolumnist Dr. Heinz-Wilhelm Esser, bekannt als Doc Esser, ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie & Kardiologie. Für uns gibt er Einblicke in den Klinikalltag. Diesmal: Wie KI Ärzten helfen kann – und wo Menschenhand unerlässlich ist.

© Manfred Jasmund / AOK
„Herr Doktor, haben Sie das schon mal gegoogelt?“ – solche Sätze höre ich im Klinikalltag immer häufiger. Und tatsächlich: Patientinnen und Patienten kommen bestens informiert, manchmal auch verwirrt zu uns. Doch längst recherchieren nicht mehr nur die Erkrankten im Netz. Auch wir Ärzte greifen immer öfter auf digitale Helfer zurück – und zunehmend auch auf Künstliche Intelligenz (KI). Aber was kann die wirklich? Und wo sind die Grenzen?
KI im weißen Kittel
KI ist längst im Krankenhaus angekommen. Radiologen etwa nutzen sie, um auf Röntgen- oder CT-Bildern winzige Veränderungen schneller zu erkennen. In der Kardiologie helfen Algorithmen beim EKG-Screening oder bei der Auswertung von Langzeitmessungen. In der Pathologie unterstützen Programme dabei, Krebszellen von gesundem Gewebe zu unterscheiden. Kurz gesagt: KI sieht manchmal mehr als das menschliche Auge – und das kann Leben retten.
Dr. med. Heinz-Wilhelm Esser alias Doc Esser
Dr. Heinz-Wilhelm Esser, auch bekannt als Doc Esser, ist Facharzt für Innere Medizin, Pneumologie und Kardiologie und leitet als Oberarzt die Abteilung Pneumologie am Sana-Klinikum Remscheid.
Seit 2016 moderiert er verschiedene Fernseh- und Hörfunkformate sowie Podcasts, in denen er verständlich und unterhaltsam über Gesundheitsthemen informiert und neue Therapiemöglichkeiten hinterfragt. Er ist Autor verschiedener Gesundheitsratgeber und hält regelmäßig Fachvorträge zu gesundheitsrelevanten Themen.
Für sein Engagement in der gesundheitlichen Aufklärung wurde Dr. Esser mit dem DGK-Preis für Wissenschaftsjournalismus von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und dem Medienpreis der Deutschen Diabetes Gesellschaft in der Kategorie „Hören“ ausgezeichnet.
Zeitgewinn oder Zeitfresser?
Wir Ärztinnen und Ärzte arbeiten im Klinikalltag am Limit. Da klingt ein Tool, das Arbeit abnimmt, zunächst wie der Himmel auf Erden. Befunde schneller schreiben, Laborwerte automatisch sortieren, Therapieempfehlungen ausspucken – herrlich! Doch die Realität zeigt: KI spart nicht immer Zeit. Denn sie muss überwacht werden. Wer sich blind auf den Computer verlässt, macht Fehler. Und am Ende sitzen wir manchmal länger vor dem Bildschirm, weil wir die Vorschläge der Maschine prüfen und korrigieren müssen.
KI ersetzt keine Empathie
Das größte Missverständnis: KI könne Ärztinnen und Ärzte ersetzen. Das wird nicht passieren – jedenfalls nicht in absehbarer Zeit. Denn Heilkunst ist mehr als Datenanalyse. Wenn mir ein Patient mit Herzschmerz gegenübersitzt, zählt nicht nur das EKG. Ich sehe die Angst in seinen Augen, höre die Sorgen zwischen den Zeilen. Trost spenden, Hoffnung geben, gemeinsam Entscheidungen treffen – das kann keine Maschine.
Wo KI glänzt – und wo sie stolpert
Am besten funktioniert KI dort, wo es um Mustererkennung geht: Bilder, Zahlen, Statistiken. Schwierig wird’s, wenn Einfühlungsvermögen gefragt ist oder wenn die Datenlage dünn ist – zum Beispiel bei seltenen Erkrankungen. Außerdem gibt es ein Bias-Problem: KI lernt aus vorhandenen Daten. Wenn diese Daten fehlerhaft oder einseitig sind, übernimmt die Maschine die Fehler. Ein Beispiel: Wenn ein Algorithmus vor allem mit Bildern hellhäutiger Patienten trainiert wurde, erkennt er Hautkrebs bei dunkler Haut schlechter.
KI und Verantwortung
Ein Punkt ist allerdings entscheidend: Verantwortung bleibt immer beim Arzt. Kein Patient möchte hören: „Tut mir leid, die KI hat entschieden.“ Wir treffen die Therapieentscheidung, wir unterschreiben den Arztbrief und stehen für die Konsequenzen ein. KI kann uns beraten, aber sie darf uns nicht entmündigen.
Fazit
KI im Klinikalltag ist weder Allheilmittel noch Teufelszeug. Sie ist ein Werkzeug – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Richtig eingesetzt, hilft sie, Diagnosen schneller zu stellen und Therapien zu verbessern. Falsch eingesetzt, schafft sie neue Fehlerquellen und frisst Zeit. Die Zukunft liegt darin, das Beste aus beiden Welten zu verbinden: die Präzision der Maschine und die Menschlichkeit des Arztes. Denn eins ist sicher: Empathie gibt es (noch) nicht als App.
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