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Gehirn & Nerven

Das kommt bei Aphasie auf Betroffene und Angehörige zu

Veröffentlicht am:07.12.2023

7 Minuten Lesedauer

Gedanken im Kopf zu haben, sie aber nicht mit Worten ausdrücken zu können – das durchleben Betroffene mit einer Aphasie. Wie sich der Alltag durch die Sprachstörung verändern kann und welche Hilfsmittel die Kommunikation erleichtern.

Ein Mann, der unter Aphasie leidet, versucht seiner Frau etwas zu erklären, kämpft dabei allerdings mit seiner Sprachstörung.

© iStock / FG Trade

Porträt von Prof. Annette Baumgärtner

© Dominik Peters

Prof. Annette Baumgärtner leitet die Fachrichtung Logopädie im Studiengang Ergotherapie/Logopädie an der Universität zu Lübeck. Sie erklärt, wie sich eine Aphasie äußert und gibt Tipps, mit denen sich die Kommunikation mit Betroffenen erleichtern lässt. Der folgende Text ist eine Zusammenfassung eines Interviews mit ihr.

Was ist eine Aphasie?

Der Begriff „Aphasie“ bedeutet übersetzt soviel wie „Verlust der Sprache“. Patienten und Patientinnen verlieren ihre Sprachfähigkeit aufgrund einer Hirnschädigung. In den meisten Fällen ist ein vorausgegangener Schlaganfall dafür verantwortlich. Die Verletzungen im Gehirn können aber auch durch einen Tumor oder eine Hirnblutung entstehen. Manchmal bildet sich eine Aphasie aufgrund einer Demenz. Wenn Menschen ihre Sprachfähigkeit einbüßen, ist nicht irgendein Gewebe im Gehirn betroffen. Die sogenannten sprachrelevanten Areale haben einen festen Sitz – sie befinden sich, von außen betrachtet, um das Ohr herum, bei den meisten Menschen auf der linken Seite. Wenn die dort befindlichen Zellverbände durch einen Schlaganfall nicht mehr genügend Sauerstoff erhalten oder bei einem Unfall einen schweren Stoß abbekommen, kommt es häufig zu Sprachstörungen. Personen mit einer Aphasie fällt dann das Schreiben, Lesen, Sprechen oder Verstehen schwer – allerdings jedem beziehungsweise jeder in unterschiedlichem Ausmaß. Die Diagnose Aphasie bedeutet also nicht automatisch, dass Betroffene überhaupt nicht mehr sprechen oder schreiben können.

Diese Symptome und Formen gibt es bei einer Aphasie

Wie erkennen Außenstehende eine Aphasie?

Wer eine Person mit einer Aphasie vor sich hat, kann die Sprachstörung möglicherweise nicht richtig deuten. Das liegt auch daran, dass Aphasie immer noch relativ unbekannt ist. Außenstehende bemerken, dass Betroffene sich mitteilen möchten, aber nicht die richtigen Worte finden oder unverständliche Sätze bilden. Die unverständliche Sprache rührt daher, dass bei Betroffenen die Wörter in der falschen Reihenfolge im Satz stehen oder dass sie nur noch auf wenige Wörter zurückgreifen können. Ein typischer Satz eines Aphasikers oder einer Aphasikerin könnte sein: „Ich … Unfall … nicht … Sprache“. Wie sich eine Aphasie bemerkbar macht, hängt übrigens davon ab, welches der sprachrelevanten Areale des Gehirns geschädigt ist.

Welche Formen der Aphasie gibt es?

Es gibt vereinfacht gesagt vier verschiedene Formen der Aphasie. Ist das Gehinareal, das sich rund um die Ohren befindet, in Richtung Stirn geschädigt, spricht man von einer Broca-Aphasie. Genau diese Region ist für die Sprachproduktion verantwortlich. Kommt es hier zu Beeinträchtigungen, können Betroffene häufig nur die wichtigsten Wörter eines Satzes sagen. Ist die Verletzung weiter hinten, also Richtung Nacken, dann ist hauptsächlich das Verständnis von Sprache gestört. In dem Fall liegt eine sogenannte Wernicke-Aphasie vor. Betroffene hören das Gesagte zwar, können die Wörter aber nicht sinngemäß verstehen oder nutzen. Sie können auch ihre eigene Sprache schwer wahrnehmen und kontrollieren. Das Ergebnis sind oft lange verschachtelte Sätze mit vielen Wiederholungen darin. Bei einer weiteren Form, der amnestischen Aphasie, sind sowohl das Sprachverständnis als auch die Sprachproduktion betroffen, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Die vierte und schwerste Form ist die Globale Aphasie, bei der sich Betroffene meist nur mit wenigen Worten äußern können. Oft treten aber auch gemischte Formen auf, je nach Art und Ort der Hirnschädigung.

Eine Sprachtherapeutin übt mit einer älteren Schlaganfall-Patientin.

© iStock / wanderluster

Die Sprachtherapie ist ein bewährter Ansatz bei einer Aphasie. Ziel ist die Verbesserung des Sprachverständnisses und die Wiederaufnahme der Wort- und Satzproduktion.

Was bedeutet eine Aphasie für die Betroffenen?

Betroffene fühlen sich oft wie in einem Gefängnis. Sie wissen, was sie sagen möchten, können es aber nicht in Worte fassen. Wenn auch das Lesen, Schreiben und Verstehen von Sprache beeinträchtigt ist, sind gewissermaßen alle Kommunikationskanäle gekappt. Entscheidend ist aber der Schweregrad der Aphasie. Ohne Frage stellt eine Aphasie jedoch grundsätzlich eine große Herausforderung für Betroffene dar. Eine erste Konsequenz kann eine Berufsunfähigkeit sein, denn es gibt kaum einen Job, der ohne Sprache auskommt. Außerdem kann es passieren, dass sich andere von ihnen abwenden. Außenstehende fühlen sich im Umgang mit Aphasikern und Aphasikerinnen oft hilflos und wissen nicht, wie sie mit ihnen umgehen sollen. Erschwerend kommt für Betroffene hinzu, dass ihre Sprachstörung häufig mit einer Denkstörung gleichgesetzt wird – manche Menschen sprechen mit Aphasikern und Aphasikerinnen wie mit einem Kind. Es ist wichtig zu wissen, dass bei einer Aphasie keine mentale Beeinträchtigung besteht – die Denkprozesse laufen ganz normal ab.

„Es ist ganz wichtig, zu wissen, dass bei einer Aphasie keine mentale Beeinträchtigung besteht – die Denkprozesse laufen ganz normal ab.“

Prof. Annette Baumgärtner
Leiterin des Fachbereichs Logopädie an der Universität zu Lübeck

Was kommt bei einer Aphasie auf Betroffene, Familienmitglieder und Bekannte zu?

Natürlich verändert sich die Kommunikation bei einer Aphasie stark. Für alle Beteiligten ist es oft hilfreich, die Gestik und Mimik für den Austausch zu nutzen. Nicht immer ist Menschen mit einer Aphasie bewusst, dass ihre Botschaft beim Gegenüber nicht ankommt. Sie können aber an der Mimik ablesen, ob das, was sie sagen, Sinn ergibt. Die meisten Familien entwickeln nach und nach eine Kommunikationsstrategie. Der Alltag muss nicht zwangsläufig in allen Bereichen durch die Aphasie beeinträchtigt sein. Da die Denkleistungen intakt sind, können Betroffene beispielsweise ihre gewohnten Aufgaben meistern, wenn sie keine sprachliche Kommunikation erfordern. Angehörige lassen die Betroffenen am besten weiterhin Dinge ausprobieren – so können sich Aphasiker und Aphasikerinnen ihre Selbstständigkeit so weit wie möglich bewahren. Hilfsangebote wie die Begleitung beim Arztbesuch können jedoch sehr wichtig sein, wenn Betroffene die Kommunikation nicht alleine bewältigen können.

Übrigens ist der Verlauf bei einer Aphasie oft gut. Innerhalb der ersten sechs bis zwölf Monate kann es, auch ohne Therapie, zu einer spontanen Verbesserung kommen. Es gibt zudem Studien, die belegen, dass ein nicht unerheblicher Teil der schlaganfallbedingten (leichten) Aphasien komplett zurückgeht – die Sprache erholt sich also wieder vollständig. Dies ist nicht der Fall, wenn die Aphasie Symptom einer Demenz ist. Doch auch bei einer Demenz lohnt es sich, am Ball zu bleiben. Eine Sprachtherapie kann Strategien vermitteln, mit denen Betroffene die Beeinträchtigung möglichst lange ausgleichen können.

„Angehörige lassen die Betroffenen am besten weiterhin Dinge ausprobieren – so können sich Aphasiker und Aphasikerinnen ihre Selbstständigkeit soweit es geht bewahren.“

Prof. Annette Baumgärtner
Leiterin des Fachbereichs Logopädie an der Universität zu Lübeck

Wie kann eine Sprachtherapie bei einer Aphasie helfen?

Die Sprachtherapie ist ein wirksamer Ansatz bei einer Aphasie. Bevor die Behandlung beginnt, ist es wichtig, dass sich der Sprachtherapeut oder die Sprachtherapeutin einen Überblick verschafft. Welcher Schweregrad und welche Form liegen vor? Inwieweit kann der Betroffene oder die Betroffene lesen, schreiben, sprechen und Sprache verstehen? Grundsätzlich geht man davon aus, dass das Wissen rund um ein Wort, beispielsweise „Frühling“, nicht verloren gegangen ist. Betroffene wissen also, was den Frühling ausmacht. Allerdings ist der Zugriff auf das Wort momentan nicht möglich. In der Therapie arbeitet man viel mit Assoziationen und Ergänzungen. „Ich suche einen Begriff, der aus zwei Teilen besteht: Pferd und …“ Manchmal kommen Betroffene dann auf das Wort „Reiter“. In der Sprachtherapie werden zum Beispiel auch häufig Familienfotos eingesetzt. Beim Betrachten der Fotos kann es spontan zu einer Wortäußerung kommen, die Therapeuten und Therapeutinnen für die weitere Behandlung nutzen können. Konkretes Ziel der Sprachtherapie ist die Verbesserung des Sprachverständnisses und die Wiederaufnahme der Wort- und Satzproduktion. Dabei stehen die Wünsche des Patienten oder der Patientin klar im Vordergrund. Ein Wunsch könnte beispielsweise sein, mit den Enkelkindern wieder Bücher zu lesen.

Viele Betroffene fallen besonders in den ersten Wochen und Monaten in ein tiefes Loch – sie können dann eine Depression entwickeln. In solchen Fällen ist eine Behandlung unbedingt notwendig, um die Erfolge einer Sprachtherapie nicht zu beeinträchtigen und die allgemeine Lebensqualität möglichst hoch zu halten.

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So klappt die Kommunikation mit Betroffenen besser

Wie können Angehörige die Kommunikation mit Betroffenen gestalten?

Zunächst ist es wichtig, die Betroffenen trotz ihrer Sprachstörung zu respektieren. Dazu gehört, nicht automatisch für Menschen mit einer Aphasie zu sprechen, ihnen also nicht das Wort aus dem Mund zu nehmen oder sie zu korrigieren. Am besten vereinbaren Familienangehörige oder Bekannte mit dem oder der Erkrankten, was passieren soll, wenn ein Wort fehlt: Möchtest du, dass ich dir dann helfe? Manchmal kommt es vor, dass Menschen mit einer Aphasie sehr laut angesprochen werden – da aber bei Aphasie nicht zwangsläufig eine Hörstörung vorliegt, gibt es dafür keinen Grund. Außenstehende sprechen am besten ganz normal mit Betroffenen. Ein guter Tipp ist auch, möglichst kurze Sätze zu bilden und keine Fremdwörter zu verwenden. So funktioniert die Sprachverarbeitung bei Betroffenen besser.

Gibt es Hilfsmittel, die die Kommunikation unterstützen können?

Ja, es gibt tatsächlich einiges. Manche Menschen mit Aphasie drucken sich einen kurzen Satz auf ein Kärtchen und laminieren es. Darauf kann beispielsweise stehen: Ich habe eine Sprachstörung, keine Denkstörung – bitte reden Sie normal mit mir. Auch Kärtchen mit Bildern, Symbolen oder Buchstaben können die Kommunikation vereinfachen. Bei einer Aphasie kommen außerdem elektronische Kommunikationshilfen zum Einsatz. Im Smartphone können sich Betroffene bestimmte Sätze als Audioaufnahme einspeichern und bei Bedarf abspielen. Diese Form der unterstützten Kommunikation kann zum Beispiel den Besuch bei einem Friseur vereinfachen. Außerdem gibt es mittlerweile elektronisch unterstützte Übungen, die Betroffene mit nach Hause nehmen können. Hier kann ein Gerät unter anderem überprüfen, ob Menschen mit einer Aphasie verschiedene Wörter richtig aussprechen. Bei Bedarf können sie sich ein Wort, zum Beispiel „Kaffee“, vorlesen lassen, und dann selbstständig üben.

„Im Smartphone können sich Betroffene bestimmte Sätze als Audioaufnahme einspeichern und bei Bedarf abspielen.“

Prof. Annette Baumgärtner
Leiterin des Fachbereichs Logopädie an der Universität zu Lübeck

Was kann Betroffenen helfen, besser mit der Diagnose umzugehen?

Auf jeden Fall ist es hilfreich, Kontakt zu anderen Betroffenen zu suchen. Dafür bietet der Bundesverband Aphasie regionale Gruppen an. Übrigens gibt es sowohl Selbsthilfegruppen für Betroffene als auch für Angehörige – Familienmitgliedern tut es erfahrungsgemäß ebenfalls gut, sich auszutauschen. Generell hilft es meist sehr, wenn Betroffene Freunde, Bekannte und vor allem Angehörige über die Aphasie aufklären. Betroffene können Kommunikationsregeln aufstellen, das macht es für alle Beteiligten oft einfacher. Ein guter Tipp sind auch die „Würzburger Aphasietage“. Diese Tagung ist hauptsächlich für Betroffene und Angehörige gedacht. Etwas Besonderes ist, dass Menschen mit Aphasie die Tagung mitgestalten.

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