Ländliche Versorgung fit für die Zukunft machen

Land-Krankenhäuser geraten wirtschaftlich immer stärker unter Druck. Um zukunftsfähig zu bleiben, müssen sie sich „ambulantisieren“ und besser vernetzen. Ein maßgeblich von der AOK Nordost mitgestaltetes Modellprojekt zeigt, wie das gelingen kann.

Templin im Norden Brandenburgs ist die achtgrößte Stadt Deutschlands. Sie erstreckt sich über eine Fläche größer als ein Drittel Berlins. In Berlin wohnen auf dieser Fläche mehr als 1,5 Millionen Menschen, in Templin rund hundert Mal weniger Menschen. Berlin wächst, hat eine junge Bevölkerung. Templin wird älter – weil viele junge Menschen wegziehen, sobald sie die Schule abgeschlossen haben.

Wie kann es gelingen, das regionale Krankenhaus so umzustrukturieren, dass es eine wirtschaftlich tragfähige Perspektive hat? Und den Templinern trotzdem auch in Zukunft eine qualitativ hochwertige Behandlung zu Gute kommen zu lassen, wenn sie krank werden – obwohl es vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels sehr schwer ist, Ärzt:innen und Pflegekräfte in die Kreisstadt zu locken?

In dem Innovationsfonds-Projekt „Strukturmigration im Mittelbereich Templin“ – kurz StimMT - hat die AOK Nordost zusammen mit Partnern von 2017 bis 2020 Antworten auf diese Fragen gesucht und erprobt. „Wir wollten in dem Projekt Lösungen testen, die sich auch auf andere deutsche Gegenden übertragen lassen. Denn Templin ist zwar nicht überall, aber Regionen mit ähnlichen Herausforderungen wie in Templin gibt es viele“, sagt Pramono Supantia, der bei der AOK Nordost das StimMT-Projekt geleitet hat.

gab die AOK Nordost im Jahr 2020 für Krankenhausbehandlungen aus.
der deutschen Krankenhäuser schrieben im Jahr 2020 Verluste. (Quelle: Roland Berger Krankenhausstudie 2021)
der Arztstellen in Krankenhäuser könnten im Jahr 2030 unbesetzt bleiben - aufgrund des Fachkräftemangels. (Quelle: Studie Fachkräftemangel im Gesundheitswesen, PWC)

Der erfahrene Kardiologe Dr. Thomas Kokocinski empfängt die Patient:innen in einem gesonderten Raum im Krankenhaus. Er arbeitet zur Hälfte am Sana Krankenhaus Templin und zur Hälfte am Sana Klinikum in Berlin-Lichtenberg. Sein Wohnsitz liegt in Berlin, nach Templin pendelt er. "In Berlin ist die Kardiologie natürlich noch einmal viel größer aufgestellt. Hier in Templin mache ich vor allem Verlaufskontrollen. Wenn bei einem Patienten dann ein größeres Problem auftaucht oder er vielleicht sogar operiert werden muss, kann ich diesen Patienten direkt hier vor Ort in das Templiner Krankenhaus oder bei schweren Verläufen in das Berliner Klinikum einweisen", erklärt Dr. Kokocinski.

Höhere Behandlungsqualität, ohne weit fahren zu müssen

Diese Entscheidung folgt der Erkenntnis, dass es in Landkrankenhäusern weder gut für das Krankenhaus noch gut für die Patient:innen ist, die Expertise für ein breites Spektrum insbesondere komplizierter Operationen aufrecht zu erhalten. Zum einen, weil es wirtschaftlich nicht kostendeckend ist, High-End-Medizin für wenige vorzuhalten. Und zum anderen, weil mehr behandelte Patient:innen mehr Routine bedeuten. Deshalb ist die Behandlungsqualität bei komplexen OPs an spezialisierten großen Häusern wie dem Sana Klinikum Lichtenberg im Schnitt höher – das belegen viele Studien.

Durch die ambulante Sprechstunde werden die Templiner mit Herzschwäche bei anstehenden komplexen Operationen nun direkt in ein geeignetes Krankenhaus überwiesen – und profitieren vor Ort vom Check-Up durch den erfahrenen Herz-Spezialisten Dr. Kokocinski. "Templin ist ja generell eher ein strukturschwaches Gebiet. Diese Patienten müssten sonst mindestens 60 Kilometer fahren für solche Untersuchungen", sagt Kokocinski.

Hausärzte achten stärker auf mögliche Symptome

Und noch auf einer zweiten Ebene profitieren die Templiner Patient:innen mit Herzschwäche durch das "StimMT"-Projekt von einer besseren Vernetzung. Denn die Abteilung für Innere Medizin des örtlichen Krankenhauses arbeitet im sogenannten strukturierten Behandlungspfad Herzinsuffizienz nun viel enger als zuvor mit Hausärzt:innen und niedergelassenen Fachärzt:innen in Templin zusammen.

"Durch die regelmäßigen Sprechstunden sind die Patienten viel besser eingebunden - und wir haben einen viel besseren Einblick in den Krankheitsverlauf." Foto: Maria Seehafer, „Gesund in Templin"

Für die Fachärztin für Innere Medizin Dr. Anke Schwerecke hat das viele Vorteile. Sie betreibt ihre Praxis bereits seit 17 Jahren in Templin. Schon lange vor "StimMT" hat sie sich auf die Versorgung von Patient:innen mit Herzschwäche spezialisiert. "Durch die strukturiertere Behandlung im Rahmen des Projekts klappt die Organisation nun wesentlich besser", sagt sie. Vorher seien Herzinsuffizienz-Patienten oft spontan vorbeigekommen. Jetzt kommen sie auf Überweisung durch den Hausarzt oder die Hausärztin und mit Termin. "Die Hausärzte sind zudem nun mehr dafür sensibilisiert, dass Herzinsuffizienz-Patienten eine intensivere Betreuung benötigen", erklärt die Ärztin. "Sie achten stärker auf mögliche Symptome für Komplikationen und schicken sie bei Verdacht zu uns."

Nur die schwer Erkrankten kommen ins Krankenhaus

Die schwer Erkrankten, die oftmals auch schon einen Herzschrittmacher oder Defibrillator haben, werden dabei direkt zu Dr. Kokocinski in die ambulante Herzinsuffizienz-Sprechstunde am Krankenhaus überwiesen. Die leichteren Fälle übernimmt die niedergelassene Ärztin.

Für diese Patient:innen hat Dr. Schwerecke nun mehr Zeit, bestellt sie viertel- oder halbjährlich ein, um die Medikation und andere Parameter regelmäßig zu überprüfen. Bei Bedarf kann sie nun auch selbst die Krankenhausdiagnostik nutzen. "Dadurch ist es für mich jetzt deutlich einfacher, an Befunde ranzukommen", sagt sie. Zudem ist der Austausch zwischen den Behandlern intensiver geworden. Mindestens einmal in der Woche kommen die niedergelassene Ärztin und der Krankenhaus-Arzt zusammen, besprechen ihre gemeinsamen Patient:innen und werten deren Befunde aus.

Der Lohn der Mühen: Weniger Krankenhauseinweisungen

Der Erfolg der strukturierteren Behandlung für Herzschwäche-Patient:innen macht sich bezahlt: "Durch die regelmäßigen Sprechstunden sind die Patienten viel besser eingebunden - und wir haben einen viel besseren Einblick in den Krankheitsverlauf", resümiert Dr. Schwerecke. Der Evaluationsbericht des Projekts durch einen unabhängigen Gutachter bestätigt: Die behandelten Patient:innen hatten im Schnitt einen günstigeren Krankheitsverlauf als eine Kontrollgruppe – und sie mussten seltener ins Krankenhaus überwiesen werden. Ähnliche Erfolge attestieren die Gutachter auch Patient:innen, die im Rahmen des StimMT-Projekts wegen chronischen Rückenschmerzen und Adipositas behandelt wurden.

Der Clou: Weniger Krankenhaus-Einweisungen bedeuten eine geringere Belastung für die Betroffenen - und weniger Kosten für die Solidargemeinschaft der Versicherten. Das Ambulant-Stationäre-Zentrum in Templin, es kann also wirklich eine Blaupause sein für Landkrankenhäuser in Deutschland. Die auf dem Land lebenden Menschen könnten dank mehr Vernetzung und mehr "Ambulantisierung" auch künftig gut versorgt werden, weil die Krankenhäuser in ihrer Region eine wirtschaftliche Zukunftsperspektive erhalten.

Doch nun ist erst einmal die Politik am Zug. Sie muss den Rechtsrahmen anpassen, damit die stärkere Vernetzung zwischen Krankenhausärzt:innen und niedergelassenen Ärzt:innen auch außerhalb von innovativen Projekten möglich wird. Dass hier ein wichtiger Schlüssel für die Zukunft der ländlichen Versorgung ist, haben die AOK Nordost und ihre Partner mit dem "StimMT"-Projekt bewiesen.

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