So funktioniert die ePA in der Praxis

Die elektronische Patientenakte hatte einen holprigen Start, doch nach und nach schließen sich immer mehr Arztpraxen an das System an. Ein Berliner Neurologe ist überzeugt: "Wenn Patient:innen die ePA nutzen, haben sie langfristig große Vorteile."

Chronische Kopfschmerzen, Multiple Sklerose, Parkinson: Wer sich als Patient:in in der neurologischen Praxisgemeinschaft von Dr. Oliver Fasold in Berlin-Tempelhof zum ersten Mal für eine Behandlung anmeldet, hat häufig schon eine längere Krankheitsgeschichte hinter sich.

Am Empfangstresen der hellen, modern eingerichteten Praxis telefonieren die medizinischen Fachangestellten an diesem Vormittag etlichen Patient:innen, Vor-Befunden oder Diagnosen von anderen Ärzt:innen hinterher. "Rund jeder zweite Patient, der das erste Mal zu uns kommt, hat keine Unterlagen dabei. Obwohl wir jeden Patienten bei der Terminvereinbarung extra darum bitten, Medikationsplan und Vor-Befunde mitzubringen," sagt Dr. Fasold in seinem Behandlungszimmer und seufzt.

Die Folge: Einige Patient:innen müssen in der Praxis noch einmal für eine Blutentnahme gepiekt werden - um Laborwerte neu festzustellen, die der Hausarzt oder die Hausärztin erst kürzlich bestimmt hat. Unnötige Zusatzkosten, für die letztlich alle Versicherten über ihre Krankenkassen-Beiträge aufkommen müssen.

"Je mehr ich über den Patienten weiß, desto besser kann ich entschieden."

Dr. Fasold setzt deshalb große Hoffnungen in die elektronische Patientenakte (ePA), die sich jeder Versicherte seit Januar 2021 bei seiner oder ihrer Krankenkasse freischalten lassen kann. "Bei Patienten, die eine gut gefüllte ePA haben, wird sich die Behandlungsqualität langfristig deutlich verbessern. Denn je mehr ich als Arzt über den Patienten weiß, desto besser kann ich entscheiden – und eine Krankheit ganzheitlicher behandeln," sagt Fasold. 

Der Neurologe Oliver Fasold im Gespräch mit einem Patienten
„Je mehr ich über den Patienten weiß, desto besser kann ich entschieden.“

Seit Juli 2021 sind niedergelassene Ärzt:innen gesetzlich dazu verpflichtet, ihren Patient:innen auf Wunsch verordnete Medikamente und die in der Praxis erhobenen Befunde in die ePA einzustellen. Diese Daten können Versicherte dann anderen Ärzt:innen zur Verfügung stellen – AOK-Versicherte, die auf diese Weise den vollen Überblick über ihre Gesundheit haben möchten, können sich kostenfrei die App ´AOK Mein Leben´ herunterladen. (weiterführende Fragen und Antworten zur ePA finden Sie hier).

Die Praxisgemeinschaft von Dr. Fasold und seinen beiden Kolleg:innen ist eine der ersten Praxen in Berlin, bei der Versicherte die ePA nutzen können. Das Neurozentrum hat an einer mehrmonatigen ePA-Testphase der gematik in ausgewählten Arztpraxen in Berlin und Nordrhein-Westfalen teilgenommen. Die gematik ist in Deutschland federführend für die Weiterentwicklung der digitalen Infrastruktur für das Gesundheitswesen verantwortlich.

Unschätzbare Vorteile im Hinblick auf bessere Behandlung

Für die AOK Nordost ist die ePA ein entscheidender Baustein, um in der Versorgung künftig vernetzter arbeiten zu können. Deshalb haben die Arztberater:innen der Kasse vor der ePA-Einführung rund 3.000 Arztpraxen in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern kontaktiert und auf Wunsch mit Informationsmaterial zur ePA versorgt. „Wir engagieren uns für dieses Zukunftsthema, weil wir darin unschätzbare Vorteile im Hinblick auf bessere und kompetentere Behandlung unserer Versicherten sehen. Viele andere Länder haben bereits bewiesen, wie gut das funktioniert“, sagt Daniela Teichert, Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost.

Aktiv beworben wird die ePA derzeit jedoch noch nicht. Denn in vielen anderen Arztpraxen verlief der ePA-Start noch recht holprig – auch weil manche technischen Dienstleister nicht rechtzeitig liefern konnten. Um eine Arztpraxis „ePA-ready“ zu machen, müssen die Mediziner:innen ihre eigene Technik auf den aktuellen Stand bringen, das Praxispersonal muss geschult werden – und der Arzt oder die Ärztin braucht einen elektronischen Heilberufe-Ausweis. Und wie das so ist bei technischen Neuerungen, die ans „Eingemachte“ eines komplexen Systems gehen: Am Anfang gibt es hier und da noch Kinderkrankheiten.

der deutschen Arztpraxen würden gerne einen elektronischen Medikationsplan nutzen können. (Quelle: Praxisbarometer Digitalisierung 2020, November 2020)
der Deutschen möchten die elektronische Patientenakte nutzen. (Quelle: Digital health 2021, Bitkom research, Juli 2021)
der Deutschen finden, wir brauchen mehr Tempo beim Ausbau digitaler Medizin. (Quelle: Digital health 2021, Bitkom research, Juli 2021)

Um diese Kinderkrankheiten zu entdecken und zu heilen, gab es im zweiten Quartal 2021 eigens die ePA-Testphase. Im Neurozentrum Tempelhof liefen diese Tests im laufenden Betrieb, das gesamte Praxisteam testete mit. "Es war viel Aufwand, aber es hat sich gelohnt. Seit Anfang Juni läuft die ePA bei uns reibungslos", sagt Fasold.

Dank ePA können Ärzt:innen Befunde schon vor dem Patientengespräch anschauen

Erste Patient:innen machen auch schon mit. Eine Patientin mit Multipler Sklerose beispielsweise, die dauerhaft bei Dr. Fasold in Behandlung ist. Sie ließ sich die in der Praxis erhobenen Laborwerte in ihre ePA einstellen. So bekommt ihr Hausarzt einen schnelleren Überblick darüber, wie es seiner Patientin geht.

Häufig behandelt Dr. Fasold auch Patient:innen mit chronischen Kopfschmerzen, die er zur weiteren Diagnostik für ein MRT in eine radiologische Praxis überweist. Diese Praxen schicken die Befunde vorwiegend per Post oder per Fax zurück - aber häufig liegen sie zum nächsten Besprechungstermin bei Dr. Fasold noch nicht vor. Wären alle radiologischen Praxen an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen, würde Dr. Fasold die MRT-Befunde sicher vor dem nächsten Termin erhalten - und könnte optimal vorbereitet in die Patientengespräche gehen.

Ein weiterer Vorteil: wer sich eine Kopie des MRT- oder Laborbefundes abholen möchte, muss künftig dafür gar nicht mehr in die Praxis kommen. Auf Wunsch kann Dr. Fasold die Daten einfach in die ePA einstellen – der Patient kann die Befunde dann direkt auf seinem Handy abrufen.

Patient:innen werden die ePA einfordern, wenn sich die Vorteile herumsprechen

Zudem könnte die ePA den medizinischen Fortschritt künftig enorm beschleunigen. Ab 2023 soll es möglich sein, die in der ePA gespeicherten Daten in anonymisierter Form zu spenden. "Wenn viele Patienten ihre ePA-Daten spenden, würde das industrieunabhängige Forschungsvorhaben erheblich erleichtern", wagt Dr. Fasold einen Blick in die Zukunft. Langfristige Nebenwirkungen neu zugelassener Medikamente könnten leichter erkannt werden, ebenso Wechselwirkungen und Komplikationen im Krankheitsverlauf. Und nicht zuletzt könne die ePA Ärzt:innen und Praxispersonal sehr viel überflüssige analoge Arbeit ersparen.

Auch Dr. Fasold und sein Team müssen derzeit notgedrungen noch viel per Fax erledigen. In sein Behandlungszimmer kommt eine medizinische Fachangestellte (MFA), sie legt ihm einen Stapel Befunde auf den Schreibtisch. Er muss einen nach dem anderen unterschreiben. Die MFA trägt die Befunde zum Faxgerät, verschickt sie an jene Arztpraxen, die noch nicht an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen sind.

Dr. Fasold kann zwar nachvollziehen, dass sich insbesondere ältere ärztliche Kolleg:innen noch schwer tun mit der ePA. Sein Appell lautet dennoch: "Je mehr sich die Vorteile unter den Patienten herumsprechen werden, desto mehr Patienten werden die ePA auch einfordern. Es lohnt sich deshalb, jetzt die Zeit dafür zu investieren, die Praxis digital fit zu machen - denn es geht um die Medizin der nächsten zehn bis zwanzig Jahre."

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